22. Februar 2004

Emil Sigerus – Volkskundler, Sammler, Historiker

Als im Jahre 1918 die Sammlung mit siebenbürgisch-sächsischer Volkskunst von Emil Sigerus, die bis dahin das „Siebenbürgische Karpatenmuseum“ von Hermannstadt beherbergt hatte, ins Brukenthal-Museum umzog, schrieb er: „Jetzt zogen meine volkskundlichen Sammlungen dort ein, wohin sie gehörten, und ich war stolz und glücklich, dieses erlebt zu haben! Wenn der große Stifter des Museums aus den Himmelssphären hinabblickt, wird ihm die Erweiterung seines Museums sicherlich nicht als Sakrileg erscheinen. Zu seiner Lebenszeit wußte man noch nichts von Volkskunst, sonst wäre er nicht achtlos an ihr vorübergegangen.“
Die Sigerus-Sammlung lässt sich natürlich nicht mit der Brukenthals vergleichen, sie ist jedoch mit derselben Leidenschaft zusammengetragen worden. Sie erfasste einen Bereich, den die Leitung des Brukenthal-Museums noch 1880 abgelehnt hatte. Sigerus begann seine Sammlertätigkeit, als in immer mehr Bürger- und Bauernhäusern alte Möbel, Gerätschaften, Textilien (insbesondere bestickte Wandbehänge, Polster, Tischtücher, Umhänge), Trachten, Keramik, Zinngefäße aufgegeben wurden. Bereits 1885 hatte er 500 Objekte gesammelt, die den Grundstock des damals eröffneten „Karpatenmuseums“ von Hermannstadt bildeten. Das war bloß der Anfang. Sigerus sammelte bis an sein Lebensende volkskundliche Objekte, Graphiken, alte Gemälde, Handschriften, Exlibris und andere Gegenstände der Volkskultur. Er begnügte sich nicht mit dem Zusammentragen, sondern eignete sich als Autodidakt ein gründliches Wissen an und machte durch zahlreiche Studien auf die volkskundlichen Schätze aufmerksam. So wurde Sigerus zum Begründer der siebenbürgisch-sächsischen Volkskunde, widmete seine Aufmerksamkeit aber auch der rumänischen und ungarischen Volkskunst.



Blumen für das Geburtstagskind: Emil Sigerus wurde anlässlich seines 90. Geburtstags am 19. November 1944 mit einer Ehrenurkunde und dem 'Ehrenzeichen für Verdienste im Volkstumskampf' der Volksgruppe ausgezeichnet. Foto: Emil Fischer (Bildarchiv Konrad Klein).
Blumen für das Geburtstagskind: Emil Sigerus wurde anlässlich seines 90. Geburtstags am 19. November 1944 mit einer Ehrenurkunde und dem 'Ehrenzeichen für Verdienste im Volkstumskampf' der Volksgruppe ausgezeichnet. Foto: Emil Fischer (Bildarchiv Konrad Klein).


Sein besonderes Interesse galt den Stickereien. Um auf ihre Schönheit aufmerksam zu machen und sie zu erhalten, gab er 1906 eine Bildmappe mit „Siebenbürgisch-sächsischen Leinenstickereien“ heraus. Es bedurfte zunächst ausländischen Zuspruchs, bis die Mappe auch unter seinen Landsleuten Aufmerksamkeit fand. Dann wurde sie aber zu einem Modellbuch für Stickereien und deren Vorlagen zu einem Inbegriff für diese Handarbeiten. Bis 1939 erlebte die Mappe in Siebenbürgen drei und ab den 60er Jahren mehrere Auflagen in München, Oxford und Innsbruck. Sie diente zugleich als Vorbild für weitere Veröffentlichungen über siebenbürgische Haustextilien und Wandschmuck in Siebenbürgen sowie in der Bundesrepublik und trug gleichzeitig zu deren Belebung bei. Nicht nur in Siebenbürgen, sondern auch in Deutschland und Österreich zeigt so manche sächsische Frau mit Stolz ihre Stickereien und vermehrt nicht selten ihre Sammlung.

Sigerus widmete weitere Forschungen der siebenbürgischen Keramik und veröffentlichte dazu eine Reihe von Studien, dem Hafnerhandwerk in Agnetheln verlieh er in der Zwischenkriegszeit neuen Auftrieb.

Durch die von Sigerus veröffentlichten Mappe über Siebenbürgisch-sächsische Burgen und Kirchenkastelle im Jahre 1900 wurde die Fachwelt auf diese die siebenbürgisch-sächsische Landschaft prägenden Baudenkmäler aufmerksam gemacht. Der Band erlebte bis 1923 fünf Auflagen. Durch diese und andere Veröffentlichungen der Zwischenkriegszeit wurden die siebenbürgischen Kirchenburgen zum Inbegriff solcher Bauten schlechthin, ja es bildete sich sogar die Meinung, es gäbe solche Wehrkirchen nur in Siebenbürgen. Für die Sachsen selbst gehören die Kirchenburgen mittlerweile zu ihrem Identitätsbild. Sigerus hatte die Genugtuung, dass die Kirchenburgen, deren Wehrmauern und Wehrtürme Ende des 19. Jahrhunderts in Gefahr waren, abgetragen zu werden, unter Denkmalschutz gestellt wurden. Dieser Aufgabe nahm sich unter anderen der 1904 gegründete „Sebastian-Hann-Verein“ in Hermannstadt an, zu dessen Initiatoren Sigerus gehörte und der bis 1946 eine segensreiche Tätigkeit auf dem Gebiete der heimischen Kulturförderung entfaltete.

Verdienste hat sich Sigerus auch um die Erschließung der heimischen Bergwelt und um die Verschönerung von Hermannstadt erworben. Von 1881 bis 1901 war er Sekretär des „Siebenbürgischen Karpatenvereins“ und von 1914 bis 1921 Vorstand des „Hermannstädter Verschönerungsvereins“. In Hermannstadt galten seine Bemühungen insbesondere dem Erlen- und Soldischpark, in denen Grasflächen, Blumenbeete und mit Kies belegte Spazierwege angelegt, Bäume gepflanzt und Bänke aufgestellt wurden. Durch Veröffentlichung von Reiseführern über Siebenbürgen und Rumänien machte Sigerus auf die Sehenswürdigkeiten seines Landes aufmerksam.

Da ihm als Rentner ein langes Leben beschieden war, konnte er in den letzten Jahrzehnten als Historiker und Schriftsteller auf sich aufmerksam machen. In drei Bänden „Vom alten Hermannstadt“ (1922-1928) hat er das Leben seiner Vaterstadt in vergangener Zeit liebevoll rekonstruiert und in einer Chronik der Stadt Hermannstadt (1930) die wichtigsten Daten aus deren Geschichte in chronologischer Reihenfolge zusammengefasst. Seine schriftstellerischen Veröffentlichungen haben nicht den Anspruch, hohe Literatur zu sein, er wollte vielmehr dem Volk unterhaltende Lektüre bieten über Begebenheiten, die er gehört oder in alten Chroniken und Schriften gelesen hatte. Sie erschienen gesammelt in Von alten Leuten und alten Zeiten in zwei Bänden 1937. In der Einleitung zu einer Auswahl dieser Erzählungen (Kriterion-Verlag Bukarest 1969) schrieb Viktor Theiß, Sigerus habe nicht nur Objekte der Volkskultur gesammelt, sondern dem Volk auch „aufs Maul gesehen“ und Anekdoten, Histörchen, Geschichten gesammelt und als Kurzerzählungen veröffentlicht. Und wer könnte „von alten Leuten und alten Zeiten“ besser erzählen als ein alter Herr in einer kleinen Stadt, einer der selbst schon zu den Originalen und Sehenswürdigkeiten dieser Stadt gehörte und der den größten Teil seines Lebens und Wirkens darauf verwendet hat, Vergangenem nachzuspüren und in Vergessenheit geratene Schätze zu heben.

Heute befindet sich die Volkskundesammlung Sigerus’ nicht mehr im Brukenthal-Museum, sondern gehört als selbstständige Institution und „Emil-Sigerus-Museum“ dem „Astra“-Museumskomplex auf dem Kleinen Ring an. Für März 2004 ist daselbst die Eröffnung einer Sigerus-Ausstellung geplant.

Michael Kroner



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