28. März 2004

Kontrovers - Paul Schuster las in München

Seit 32 Jahren lebt der siebenbürgisch-sächsische Schriftsteller Paul Schuster in Berlin. Seine erste Autorenlesung in München nach seiner Ausreise fand am 4. März 2004 im Haus des Deutschen Ostens statt. Der erste Teil seines Auftrittes war vorwiegend geprägt von Erzählungen über Erlebnisse mit Zeitgenossen aus Politik und Literatur in Rumänien, aber auch in Deutschland und von seinem Einsatz für die deutschsprachige Literatur und Kunst in Rumänien, besonders während der Ära Ceausescu.
Zu diesem Zeitabschnitt las Schuster einige vorbereitete Texte. Gleiches galt für seine Anfänge in Deutschland, in Berlin, wohin es ihn 1972 verschlagen hatte, damals, als Mauer und Stacheldraht seit einem Jahrzehnt die deutsche Hauptstadt und das Land durchzogen, aber bereits die 68er begonnen hatten, die Republik umzukrempeln. Vielleicht zog es ihn gerade deswegen hin, wenngleich man den Eindruck gewinnt, dass er trotz Nähe zu seiner politischen Heimat dort nicht heimisch geworden ist.

Denn liest man seine im Selbstverlag herausgegebene „Heidelberger Auslese“ (800 Seiten) - die Texte sind in den letzten drei Jahrzehnten entstanden, teilweise gedruckt, zum Teil für den Hörfunk geschrieben -, erkennt man, dass Paul Schuster, wie viele seiner aus der rumäniendeutschen Literaturszene stammenden Kollegen, von den Handlungsorten seiner Rumänienjahre nicht wegkommt. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn Schusters Geschichten sind gut und spannend geschrieben. Das spürte bei der Lesung im „Haus des Deutschen Ostens“ auch das Publikum, das trotz vorgerückter Stunde sehr aufmerksam die gut vorgetragene Erzählung „Nutella“ verfolgte.



Der 71-jährige Hermannstädter Paul Schuster während seiner Lesung. Foto: Konrad Klein
Der 71-jährige Hermannstädter Paul Schuster während seiner Lesung. Foto: Konrad Klein


Die Handlung spielt während des Staatsbesuchs von Bundespräsident Gustav Heinemann in Rumänien im Jahr 1971, der auch den Gottesdienst in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt besucht. Beim anschließenden Mittagessen, das als „private“ Einladung an den Staatsgast im Pfarrhaus arrangiert war, kommt es – ob real oder der Phantasie des Erzählers entsprungen, bleibt offen – zu zwei Szenen, die mit der damals sehr realen Frage „Bleiben oder Gehen?“ zu tun hatten. Beide Alternativen werden in der Erzählung ausgesprochen bzw. angedeutet, so dass jeder mit der Situation im Lande Vertraute wusste, was gemeint war, als plötzlich ein Schrei durch den Saal erschallte: „Holen Sie uns hier raus, Herr Präsident!“

Schuster äußerte dabei auch subtil Kritik am Vorgehen der landsmannschaftlichen Führung und ihrem Eintreten für die Auswanderung der ausreisewilligen Siebenbürger Sachsen. Die damalige Situation sollte jedoch im zeitgeschichtlichen Zusammenhang betrachtet werden, denn die überwiegende Zahl der Sachsen war schon mangels Alternative zum Verlassen des Landes bereit. Und hätten die rumäniendeutschen Landsmannschaften nicht schon in den Anfangsjahren der Bundesrepublik für ihre Landsleute den gleichen Status erwirkt, wie Millionen andere Flüchtlinge und Vertriebene, dann wäre wohl Schuster selbst heute noch nicht in Deutschland und das Thema hätte sich nie gestellt. Der Gang der Geschichte war jedoch ein anderer.

Der Autor ließ sich in seinen Kommentaren in München zu teilweise recht heftigen Ausfällen gegen beinahe jeden hinreißen, der unter den Sachsen im Siebenbürgen der letzten einhundert Jahre und in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eine mehr oder weniger führende Position inne hatte. War es verletzte Eitelkeit oder tiefste Überzeugung, wenn er seinem Unmut über die all zu ausgeprägte deutschnationale Gesinnung der Altvorderen, wie z.B. der Bischöfe Vater und Sohn Teutsch und ihrer „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“, aber natürlich auch der in der Zwischen- bzw. Kriegs- und Nachkriegszeit Handelnden kund tat? Schon in einem vor zwei Jahren den Südostdeutschen Vierteljahresblättern gewährten Interview konnte man einiges erfahren über seine Einstellung während der braunen und der roten Diktatur, ambivalent zwischen Begeisterung und Ablehnung.

Diese und andere Anmerkungen konnten während der zweieinhalbstündigen Veranstaltung nicht mehr angebracht werden. Und auch danach war keine Zeit mehr für eine Diskussion mit dem Autor. Als Fazit bleibt ein Abend, der vielleicht etwas mehr Literatur als Polemik verdient hätte, jedoch die Begegnung mit einem streitbaren Erzähler brachte, dem trotzdem mehr Beachtung in der literarischen Öffentlichkeit zuteil werden sollte.

uwa

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