22. Juni 2001

Schwieriger sozialer Wandel in Südosteuropa

Der Historiker Dr. Michael Kroner rezensiert im Folgenden den Band Annelie Ute Gabany, Anton Sterbling (Herausgeber): Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südostreuropa. Südosteuropa-Studien, Band 65. Südosteuropa-Gesellschaft, München 2000, 265 Seiten, 50,00 DM; ISBN: 3-925450-86-6.
Nach mehr als zehn Jahren seit dem Beginn des Transformationsprozesses von kommunistischen Diktaturen und sozialistischer Planwirtschaft zu demokratischen Staatswesen mit marktwirtschaftlichen Strukturen in Ost- und Südosteuropa fragen sich heute vermehrt Politiker, Manager, Unternehmer, Banker, Berater und auch der einfache Mann, was man falsch gemacht hat, dass nur im Bereich des demokratischen Aufbaus und der Menschenrechte ein zufriedenstellender Wandel vollzogen wurde, während auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet in allen südosteuropäischen, postkommunistischen Transformationsländern ein "chaotischer Kapitalismus" mit seinen unliebsamen Folgen herrscht. Diesen Fragen, vor allem den sozialen Folgen der Transformation nachzugehen, widmete sich im März 2000 eine Fachtagung der Südosteuropa-Gesellschaft sowie der Sektion Ost- und Ostmitteleuropa der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Die Referate dieser Tagung werden in vorliegendem Band veröffentlicht. Es kommen zu Wort bundesdeutsche sowie rumänische, bulgarische und ungarische Fachleute.
Zunächst einige Fakten, wobei wir bloß Rumänien als Beispiel heranziehen. Nach ihrem Lebensniveau im Oktober 1999 gefragt, antworteten 61 Prozent Rumänen, dass sie 1989 besser gelebt haben als jetzt, elf Prozent meinten, es wäre genau so wie früher, und nur 24 Prozent erfreuen sich eines höheren Lebensstandards. Betrug der bereits sehr niedrige monatliche Durchschnittslohn 1990 immerhin etwa 160 Dollar, so ist er innerhalb von zehn Jahren auf fast die Hälfte - 87 Dollar - gesunken. Die Zahl der rumänischen Rentner ist weit höher als die Zahl der Beschäftigten. Zudem wuchs die Zahl der Arbeitslosen während des Übergangs zur Marktwirtschaft durch die Schließung unrentabler Unternehmen und erreichte 1999 rund 12 Prozent. In Rumänien ist infolgedessen eine wachsende Verarmung zu verzeichnen, etwa ein Drittel der Bevölkerung muss von einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze leben. Ohne Schattenwirtschaft mit Nebenverdiensten könnten sich die meisten Menschen kaum über Wasser halten. Die rumänische Referentin Lavinia Betea zeigt am Beispiel der Einwohner ihres Arader Wohnblocks, worin deren Nebenverdienste bestehen.
Ähnliche Zustände gibt es auch in den anderen südosteuropäischen Staaten. Der bulgarische Soziologe Nikolai Genov weist zudem darauf hin, daß der Übergang vom Staatssozialismus zur Marktwirtschaft zu einer Deindustrialisierung, Reagrarisierung, verbunden mit einem Rückgang der Produktivität, der Produktenqualität, der Zahl der Arbeitsplätze und dem Abbau des sozialen Sicherungsnetzes, führte. Die Auflösung der Kollektivwirtschaften und die Privatisierung auf dem Lande brachte eine Demodernisierung und einen Rückfall auf das technische Niveau und den kleinbäuerlichen Besitz aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg mit sich. Die postsozialistische Wirtschaft ist infolgedessen international nicht konkurrenzfähig, wobei nach dem Verlust des einstigen sozialistischen Marktes gleichzeitig der Druck der entwickelten Industrieländer hinzukommt, die mit ihren Waren auch die Märkte der postkommunistischen Transformationsländer überschwemmen, und das zum Teil sogar mit Agrarprodukten.
Die Ursachen für diese negative Entwicklung liegen nach Jürgen Althammer darin, dass sich die gesamte Systemtransformation weitgehend in einem "theoriefreien" Raum abspielt. Während zum Übergang von der kapitalistischen in die sozialistische Volkswirtschaft eine Fülle von Literatur existiert, gibt es für den entgegengesetzten Vorgang kaum theoretische Vorgaben. Insofern sind die Transformationsstaaten mehr oder minder gezwungen, sich an erfolgreichen gesellschaftlichen Gegebenheiten westlichen Zuschnitts zu orientieren. Das hat bis jetzt jedoch nicht funktioniert.
Die im Band enthaltenen Studien bieten zwar verschiedene Lösungsmodelle an, warnen aber vor falschen Vorstellungen. Der Vorstellung, dass allein der Markt die Probleme lösen könnte und dass es einen einzigen Rückweg vom Sozialismus zum Kapitalismus gibt, wird eine Absage erteilt und die Notwendigkeit staatlicher Sozialpolitik betont. Ob die soziale Marktwirtschaft, wie sie in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde, auf die südosteuropäischen Transformationsländer übertragbar ist, bedarf vorsichtiger Überprüfung, zumal der Sozialstaat im Westen sich ebenfalls in einer Krise befindet. Angesichts der überlegenen westlichen Wirtschaftskonkurrenz müssten die postsozialistischen Staaten Abwehrkräfte mobilisieren, was jedoch zu einem "Entwicklungsnationalismus" führen könnte. Als Beispiel biete sich Japan an. Wie das japanische Modell aber dort funktionieren soll, wo die südosteuropäischen Staaten auf ausländische Investitionen angewiesen sind und sich um die Aufnahme in die Europäische Union bemühen, darauf bleibt das Buch die Antwort schuldig.
Gheorghita Geana aus Bukarest weist in seinem Referat richtig darauf hin, dass man zu einer positiven Arbeitsethik und Einstellung zum Privateigentum, die von den Kommunisten zerstört wurden, zurückkehren müsse. Er idealisiert dabei aber die rumänische Vergangenheit. Die von ihm gegebenen Beispiele sind nicht nur simpel, sondern stimmen zum Teil auch nicht, so wenn behauptet wird, Fürst Alexandru Ioan Cuza (1859-1864) habe in nur sieben Jahren durch seine Reformen Rumänien modernisiert.

Michael Kroner

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