7. September 2004

Leserecho: "Europas Sternstunden im Kriegssommer 1944"

In dem Artikel "Ein schwarzer Tag für die Deutschen", veröffentlicht in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 22. August 2004, leistet der siebenbürgisch-sächsische Historiker Dr. Michael Kroner einen wichtigen und notwendigen Beitrag zur Aufklärung der Geschehnisse vom 23. August 1944. Die Darstellung ergänzt Otto-Walter Roth durch einige Anmerkungen aus deutscher, rumänischer sowie aus weltgeschichtlicher Sicht.
Aus deutscher Sicht: Wenn Generaloberst Hans Frießner den Umsturz vom 23. August 1944 als „schwarzer Tag der deutschen Wehrmacht“, General Hans Kissel diesen sogar als „zweites Stalingrad“ bezeichneten, war das vom damaligen Standpunkt aus gesehen vielleicht richtig. Diese Meinungen gelten jedoch heute als überholt, übertrieben und sogar falsch. Folgende Fakten sprechen eine klare und unwiderlegbare Sprache: Gelangten durch den Frontwechsel Rumäniens 30 000 Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft, waren es bei der Schlacht um Stalingrad 1942/43 von 285 000 Eingekesselten, 91 000 Gefangene, von denen nur 6000 zurückkehrten.

Aus rumänischer Sicht: Die katastrophale Kriegswende bei Stalingrad und der darauf folgende unaufhaltbare Rückzug der deutschen Militärverbände auf der gesamten Länge der Ostfront stellen die eigentlichen Vorbedingungen für die Geschehnisse vom 23. August 1944 in Rumänien dar. König Michael, aus der deutschen Hohenzollern-Familie stammend, machte deutlich, dass er die Entwicklung bedauere, für sein Land jedoch kein anderer Ausweg möglich gewesen sei: Er veranlasste die deutsche Gesandtschaft nicht nur die deutschen Truppen unverzüglich aus Rumänien abzuziehen, sondern bot den in Rumänien stationierten Soldaten sogar freies Geleit. Wegen Hitlers Gegenstoßbefehl kam es jedoch anders. Rumänien hatte damals entweder die Wahl, von einer verheerenden Kriegswalze überrollt zu werden oder dieses Schicksal durch einen geschickten Schachzug abzuwenden. Der Frontwechsel verhinderte letztendlich ein beiderseitiges und unnötiges Frontgemetzel, sprich Soldatensterben.

Trotz alledem brachte der Frontwechsel für Rumänien - wie in Kroners Artikel treffend dargestellt - weder das Kriegsende noch viel weniger die Befreiung mit sich: Das Land wurde ganz einfach von den Alliierten an die Sowjets ausgeliefert. Rumänien bezahlte diesen Schritt mit viel Leid und Elend bezahlen. So wurden über zwei Millionen Rumänen in Vernichtungs- und Folteranstalten interniert, 200 000 Opfer mussten den Terror mit ihrem Leben bezahlen.

Aus weltweiter und europäischer Sicht: Die geschichtlichen Zeichen dafür, dass das nationalsozialistische „Dritte Reich“ den Krieg unweigerlich verlor, waren schon längst gesetzt: im Januar 1943 durch die Kapitulation bei Stalingrad - im Osten; im Sommer 1943 durch die Landung der Amerikaner auf Sizilien – im Süden; und am 6. Juni 1944 durch die Landung der Alliierten in der Normandie – im Westen. Unter diesen Bedingungen musste Rumänien schnell handeln. Allerdings hatten die Westalliierten die osteuropäischen Länder zu jenem Zeitpunkt dem Kreml ausgeliefert und somit den Auftakt zum „Eisernen Vorhang“ geliefert.

Es wird oft übersehen, dass Rumänien trotz kritischer Rahmenbedingungen richtig handelte. Der 23. August 1944 gliedert sich zeitlich und von der geschichtlichen Bedeutung her in die Großgeschehnisse des Kriegssommers 1944 ein, und zwar am 6. Juni die Landung der Alliierten in der Normandie, am 20. Juli das Attentat auf Hitler und am 1. August der Aufstand im Warschauer Ghetto. Durch die vier erwähnten Ereignisse wurde ein gemeinsames Ziel verfolgt: die Befreiung der Welt und Europas von der nationalsozialistischen Diktatur, die Verkürzung des bereits entschiedenen Krieges und damit die Rettung vieler kultureller Werte und Menschenleben. Es sind allesamt Sternstunden in der Geschichte Europas.

Es ist endlich an der Zeit, dass alle Völker dieses alten und leidgeprüften Kontinents ihre gemeinsame Vergangenheit offen und verantwortungsvoll aufarbeiten sowie auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichten. Das sind Grundbedingungen, um heutzutage mit mehr Verständnis und Toleranz in die europäische Zukunft blicken zu können.

Otto-Walter Roth, Tuttlingen


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