12. Oktober 2004

AKSL-Tagung: Minderheiten im Stalinismus in Rumänien

Die 40. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) fand vom vom 10. bis 12. September 2004 in Heidelberg statt und stand unter dem dramatischen Zeichen der Streichung aller Subventionen Nordrhein-Westfalens, des Patenlandes der Siebenbürger Sachsen, das seine Kulturförderung für den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat einstellt. Erörtert wurde ein brisantes Thema: Minderheiten im Stalinismus in Rumänien.
Die äußerst angespannte Haushaltslage in Nordrhein-Westfalen stellt nun diesen erstaunlich großen Arbeitskreis mit 760 Mitgliedern aus Deutschland und Rumänien vor schier unlösbare Aufgaben. Auch die bisherigen Aktivitäten erfolgten überwiegend ehrenamtlich, nun ist der Kreis fast ganz auf das Engagement und die Spendenbereitschaft der Mitglieder sowie seiner Freunde und Förderer angewiesen.

Über die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek wird versucht, die Geschäftsstelle in Gundelsheim zu retten. Von anfänglich fünftausend Büchern ist die Siebenbürgische Bibliothek im Verlauf von fünf Jahrzehnten auf siebzigtausend Bücher angewachsen, die über das Bibliotheksnetz bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Nicht auszudenken, wenn dieses geistige Potenzial verlorenginge. Der am 12. September neu gewählte Vorstand, bestehend aus Konrad Gündisch, Günther Tontsch, Harald Roth, Jesco von Puttkamer, Ulrich Wien und Stefan Mazgareanu, steht nun vor der schweren ehrenamtlichen Aufgabe für Mai 2005, die 50-Jahr-Feier der Siebenbürgischen Bibliothek zu ermöglichen.

Auf welch hohem Niveau dieser Länder- und völkerübergreifende Arbeitskreis tätig ist, beweist auch sein diesjähriges Tagungsprogramm.

Im Plenum hielt der Dozent der Germanistik der Université de Nantes, Patrice Neau, einen Vortrag über „Das Bild der Siebenbürger Sachsen in Erwin Wittstocks Roman ‚Januar ’45 oder Die höhere Pflicht‘“. Patrice Neau beschäftigt sich schon länger mit deutschsprachigen Minderheitenliteraturen Ost- und Mitteleuropas. Er ist der Verbindungsdozent seiner Universität mit der Partneruniversität in Klausenburg. Über diese Verbindung kam er auch mit der Literatur der Rumäniendeutschen in Berührung. Hier fesselte ihn besonders dieser 1999 anlässlich des 100. Geburtstages des siebenbürgisch-sächsischen Erzählers postum erschienene Roman, der die Deportation der rumäniendeutschen Bevölkerung behandelt. Im Roman wird das Vorfeld der Deportation, die Aushebung, wie es die Siebenbürger Sachsen nannten, beleuchtet.

Neau wies darauf hin, wie es Erwin Wittstock immer wieder gelingt, das typisch Sächsische zu betonen und die zivilisatorischen Leistungen einer jahrhundertealten Geschichte aufzuzeigen. Von einer der tragenden „nationes“ im mittelalterlichen Siebenbürgen zu einer Minderheit nach dem Ausgleich in Österreich-Ungarn 1867 und erst recht nach der Gründung Gesamtrumäniens (Großrumäniens) 1918.

Die Personen des Romans unternehmen verzweifelte Versuche, der Deportation zu entgehen, die zumeist untauglich sind, da die Loyalität der Siebenbürger Sachsen eher obsiegt, eine Loyalität, die bei Wittstock sogar eine ethische Dimension besitzt und eine überzeugende Kontrastwirkung zum Kollektivschuldvorwurf entfaltet.

Über Minderheitenrechte waren im Plenum gleich zwei sehr aufschlussreiche Vorträge zu hören: von Harald Schenker über „Minderheitenrechte im Vergleich. Rumänien und der europäische Ostblock 1945-1964“ und Günther Tontsch über „Das Minderheitenstatut von 1945. Zum Schicksal eines rumänischen Minderheitenschutzgesetzes im Stalinismus und darüber hinaus“. Cornelius R. Zach referierte über die „Notwendigkeit des Terrors“ für die „Effizienz des kommunistischen Staates“. Anton Sterbling bot einen Beitrag zum „Stalinismus in den Köpfen“. Er zeigte, wie stark in der sehr kleinen rumänischen kommunistischen Partei (zu Anfang nicht einmal zweitausend Mitglieder) die nationalen Minderheiten Ungarn, Juden, sogar einige Deutsche vertreten waren und wie ernst man in Rumänien gleich nach dem Krieg die nationalen Minderheiten und die Intellektuellen, die „Kopfarbeiter“ nahm. Sterbling erläuterte, wie der stalinistische Totalitarismus alle Denkalternativen gekappt hat durch seine penetrante Ideologie und wie er allen ein geschlossenes Weltbild aufzuzwingen versuchte. Dies ging manchmal so weit, dass auch das Denken der Gegner des Stalinismus an die Prämissen der Ideologie dieses Systems angebunden werden konnte.

Im neostalinistischen Nationalkommunismus Ceausescus in den 70er und 80er Jahren sind die Kontuitätselemente des Stalinismus weiterhin auszumachen: klassenkämpferische, egalitäre, gesellschaftsnivellierende Bestrebungen. Selbst wenn die Nation wieder stärker betont wird, was einen alternativ differenzierenden Aspekt bringen könnte, wird dieser zunichte gemacht durch die Folgeerscheinung, dass nun die Minderheiten wieder stärker unter Druck geraten.

Den eigentlichen Schwerpunkt der Tagung bildeten die Sektionssitzungen in drei Gruppen.

In der Gruppe Minderheiten referierte Hannelore Baier über „Die Rechtsstellung der Deutschen in Rumänien 1944-1952 im Lichte neuer Archivforschung“, Ferenc Csortfin sprach über die Situation der Magyaren 1944-1960 (hier behandelt er vor allem auch die kurzlebige Autonome Ungarische Region in Rumänien 1952-1954). Lucian Nastase hielt ein Referat über Juden und Roma in Rumänien nach 1945, und László Hollo untersuchte die katholische Kirche des römischen, des griechischen und des armenischen Ritus in Rumänien nach 1945/48.

Auch die Gruppe Kulturgeschichte hatte mit neuen Ergebnissen aufzuwarten. Manfred Wittstock sprach unter dem Titel „Von Diktatur zu Diktatur“ über Künstler und Kunsthandwerker 1944-1963, Gudrun Liane Ittu über „Bewusstseinsbildung im Vordergrund. Das kulturelle Leben der deutschen Minderheit in Rumänien von 1944-1958 im Spiegel der deutschsprachigen Publikationen“ und Hans Gerhard Pauer über „Die Minderheitenschulpolitik im stalinistischen Rumänien und ihre praktische Durchführung. Das Beispiel der Stephan-Ludwig-Roth-Schule in Mediasch (1948-1964)“.

Den größten Zuspruch unter den drei Arbeitsgruppen erhielt erwartungsgemäß die Literaturgeschichte. Selbst heute nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Aufgehen der DDR-Literatur in der gesamtdeutschen hat die ehemals „fünfte“ deutsche Literatur, die der Rumäniendeutschen, noch immer eine beachtliche überregionale Bedeutung und ist gewissermaßen die Weiterführung einer ostdeutschen Literatur in die Transformationszeit hinein. Diese allerneueste Phase wurde allerdings noch nicht mit der für die rumäniendeutsche Literaturkritik gewohnten Daten- und Sachbezogenheit ins Auge gefasst. Dafür wurden einige erfreulich faktenreiche Referate vorgelegt.

Stefan Sienerth zeigte in seinem Vortrag „Stunde Null – Jahre Null: Die rumäniendeutsche Literatur zwischen 1944 und 1949“, dass selbst unmittelbar nach Kriegsende zwischen 1945 und 1948 in Rumänien Hermann Roths sieben „Hefte der Selbstbesinnung“ erscheinen konnten sowie Frieda Bender-Radlers 32 Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, Karl Brandschs Gedichtsammlung „Am Waldesrand, da bin ich oft gelegen“ und vor allem, literarisch bedeutsam, Adolf Meschendörfers „Siebenbürgische Geschichten“ aus den Jahren 1941-1946. Dazu kamen die „Kirchlichen Blätter“ der evangelischen Kirche und die Veröffentlichungen der Schülervereinigungen, die „Coetusblätter“, da die deutschen Schulen auch nicht geschlossen worden waren.

Annemarie Weber wagte eine unkonventionelle Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in ihrem Beitrag „Neue Gesellschaft – neuer Mensch – neue Kunst: Literatur und Lektüre im Zeichen des ‚sozialistischen Realismus‘“. Sie deckte vor allem die sakralen Elemente in der (oft paranoid) kultischen Verehrung Stalins auf, als Demiurg, als Schöpfer einer neuen, seiner neuen Welt, in der er sowohl die Rolle des lie-benden Allvaters spielte wie die des furchtbaren Schreckens. In dieser Sicht war der sozialistische Künstler nicht mehr ein (wenn auch noch so dogmatischer, so doch kreativer) Schöpfer, sondern nichts anderes mehr als ein Medium jenseits von Vergangenheit, Gegenwart und Geschichte, mit der einzigen Fähigkeit, Stalins Willen zu erraten. Dabei wurde auch das Typische zur Fiktion, das Volkstümliche wurde von Kadereliten geschaffen. Der visuelle Kitsch konnte so zum Träger elitärer Ideen avancieren, so dass nicht mehr das Sein das Bewusstsein bestimmte – wie von Marx gedacht –, sondern das Bewusstsein das Sein. Der sozialistische Realismus bildete hier das Nervensystem des stalinistischen Sozialismus mit einem eigenen religionsähnlichen allharmonischen Endzielheil.

Nach dieser frappierenden Sicht eines heilversprechenden „Überbaus“ auf einer in der Realität blutrünstigen und menschenverachtenden „Basis“ kam Georg Aescht wieder auf die harte Realität des Stalinismus zu sprechen. In seinem Vortrag „Schreiben, ohne ‚rot‘ zu werden. Versuche rumäniendeutscher Schriftsteller, die Zensur zu umgehen“, zeigte er die Grenzen nicht bloß der künstlerischen Möglichkeiten, sondern vor allem der Veröffentlichungsmöglichkeiten am Beispiel rumäniendeutscher Autoren auf. Gerade so dramatische Ereignisse wie der Schriftstellerprozess 1959 warfen ihre Schatten auf die Gemütszustände nicht nur der unmittelbar Betroffenen, sondern auch der damit nur indirekt in Berührung Kommenden und veranschaulichten das Ausmaß eines Polizei- und Überwachungsregimes.

Der Beitrag von Peter Motzan, „Erdrosselte Hoffnungen. Vom ‚ersten‘ Tauwetter zur ‚zweiten‘ Eiszeit. Die rumäniendeutsche Literatur zwischen 1945 und 1959“, ließ den Tag mit gründlich recherchierten literarhistorischen Überlegungen zum abgrundtiefen Schrecken des Stalinismus – gerade in der Literatur der durch die Folgeereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg so verunsicherten und verängstigten rumäniendeutschen Autoren – sehr nachdenklich ausklingen.

Ingmar Brantsch (KK)

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2004, Seite 9)

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