19. Oktober 2004

Renate Mildner-Müller: "...zarter als ein Blatt vom Mohn"

Vom 14. bis 30. September stellte Renate Mildner-Müller Werke der Schaffensperiode 2000-2004 im Haus der Heimat in Nürnberg aus. Die Ausstellung "Sommerfiguren" war wegen der räumlichen Gegenbenheiten eher ein Schaufenster, das aber auf das sonstige Werk der Künstlerin neugierig machte.
Die Vernissage fand im Anschluss an die Lesung von Karin Gündisch statt. Nicht nur dadurch kam es zu einer Begegnung und gegenseitigen Bereicherung von Literatur und bildender Kunst. Nach der Begrüßung durch den Hausherrn, Horst Göbbel, führte Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster in die Ausstellung ein. Seine Eröffnungsrede wird leicht gekürzt abgedruckt.

Aus dem reichen Schaffen von Renate Mildner-Müller werden nur 13 Bilder gezeigt, Aquarelle und Acrylbilder der Schaffensperiode 2000-2004. Das Gute im Schlechten dieser Beschränkung dürfte wohl sein, dass wir gewissermaßen das Sahnehäubchen vorgesetzt bekommen. Ich bin überzeugt, dass die Bilder für sich wie für die Künstlerin sprechen werden. Aber angesichts des engen Schaffensausschnitts werde ich mit dieser Einführung versuchen, zumindest eine Ahnung davon zu vermitteln, was draußen vor bleiben musste, und werde auch versuchen, den Zugang zum Werk zu erleichtern – ein Anliegen, dem auch Katalog und Faltblatt mit der Fülle von Stimmen zum Werk verpflichtet sind.

Noch vor dem Werk wende ich mich der Person zu. Erlauben Sie mir, Renate Mildner-Müller als siebenbürgisch-sächsische Künstlerin zu skizzieren – bei einer Ausstellung im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage ist das statthaft, gerade weil uns bewusst ist, dass diese Kategorie kaum Relevanz für das Werk, dessen Qualität und Resonanz hat.
- Reicht es, dass sie 1940 in Kronstadt geboren wurde? Wohl nicht.
- Reicht es, dass sie 1957-1960 dort, 1960-1966 in Klausenburg an der Akademie für Bildende Künste studierte? Noch nicht. Aber man sollte sich merken: dass der Grafiker Harald Meschendörfer ihr Lehrer war, in Kronstadt, das spätestens seit der Jahrhundertwende 1900 zur Hochburg siebenbürgisch-sächsischer bildender Kunst wurde; dass trotz kommunistischer Ideologie und sozialistischem Realismus in der Kunst, die traditionsreiche Akademie in Klausenburg nicht nur handwerklich perfekt ausbildete, sondern auch ideologisch relativ tolerant.

- Reicht es, dass sie bis zum Alter von 37 Jahren in Kronstadt lebte und als freischaffende Künstlerin wirkte? Vielleicht. Bedeutung für unser Anliegen dürfte haben, dass sie zahlreiche Aufträge als (Buch)Illustratorin erhalten und angenommen hat. Und da etliche der illustrierten Bücher – auch später noch – siebenbürgische Inhalte haben, haben das auch die Illustrationen von Renate Mildner-Müller. Bewusst machen diese Auftragsarbeiten noch einen anderen Aspekt: In der Rolle des Künstlers/der Künstlerin gab es im Kommunismus gewissermaßen eine Rolle rückwärts, hinter den sich seit der Renaissance festigenden Individualismus samt künstlerischer Freiheit. Die sich daraus ergebende „Demut“ des Künstlers und sein Zurücktreten hinter die Gemeinschaft (das Volk und die Partei als Auftraggeber) ist indes ein Sachverhalt, der typisch für die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft ist.



Renate Mildner-Müller: <i>Kleine Lau</i>, Aquarell, 2004.
Renate Mildner-Müller: Kleine Lau, Aquarell, 2004.


Aber nicht nur die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft, Siebenbürgen insgesamt wirkt prägend. Mit Blick auf die weitere Betrachtung sollen hier nur angesprochen werden: die Vielfalt und Farbigkeit der unterschiedlichen Trachten (die ihrer Funktion entledigt, sich zu Kostümen wandeln) sowie die überragende Rolle des Ornaments (von den Stickereien über die Holzschnitzkunst bis hin zu den orientalischen Motiven, denen sie auf den Teppichen der schwarzen Kirche begegnete).

Noch einmal ansprechen will ich, das, was schon anklang: den in Rumänien real existierenden Sozialismus mit seinen systemimmanenten Plan- und sonstigen Vorgaben, Kontroll- und Überwachungsmechanismen, die in der Diktatur Ceausescus die Diktatur des Proletariats auf die Spitze trieb, kaum Freiräume zuließ.

Diese Freiräume hat sich Rentae Mildner-Müller trotzdem geschaffen. Zuerst als Grafikerin und Illustratorin. Inzwischen sind es rund 20 Bücher, die sie illustriert hat, insbesondere Lyrik-Bände (zuletzt 2002 „Siebenbürgische Erzähler“, München, Südostdeutsches Kulturwerk). Wie sie bekennt, bot ihr die Unterordnung unter das literarische Wort die Chance, der Unterordnung unter das ideologische Dogma zu entkommen. Diese Flucht in die Welt der Literatur, aber auch in die Zauberwelt der Märchen und Geschichten, sollte aber nicht als Abkehr von der Welt interpretiert werden. Nein! Renate Mildener-Müllers Werke, ihre Handschrift, ihr ganz persönlicher Stil, der sich damals entwickelte und sich in seinen Grundzügen bis heute perpetuiert hat, ist viel mehr. Es ist die Erschaffung einer neuen Welt, oder zumindest der Entwurf einer neuen Welt, für den jedes Bild zumindest einen Baustein, wenn nicht die ganze Blaupause liefert. Wenn man die Werke jener Zeit unter dieser Prämisse betrachtet, fällt es leicht, sie als Gegenutopie zu der herrschenden „Utopie“ zu interpretieren, jedes Bild gewissermaßen als „Positiv“ des im Negativen versinkenden real existierenden Sozialismus: Gleißende Helle und Farbigkeit hier, wo dort Dunkelheit den grauen Alltag beherrschte, spielerische Leichtigkeit hier, wo dort durchorganisierte Disziplin alle und alles bedrückte...

Das hat man damals gespürt, und man spürt es heute noch. Auch in den zuletzt entstandenen Werken tritt uns eine ideale Welt entgegen, die bei all dem Phantastischen bis Irrealen menschliches Maß hat, so ist, wie die Welt sein sollte: lebens- und liebenswert.

Unter dem Titel „Sommerfiguren“ hat Renate Mildner-Müller die 13 Bilder dieser Ausstellung zusammengefasst. Angesichts des Wetters/ Datums wäre die Assoziation mit dem Vers aus Meschendörfers „Siebenbürgische Elegie“ – übermalte Drucke dazu liegen ebenso wie ein Katalog und Mappen aus, und können erworben werden – naheliegend: „Ach, schon ist es September ...“ Die Bilder, mit den locker und wie schwebend in den Raum gestellten Figuren und Zeichen sowie den luftigen und transparenten Farben lassen auch andere Assoziationen zu, etwa zum leicht gekappten Romantitel von Milan Kundera: „Die (...) Leichtigkeit des Seins“.

Solche Assoziation mit Literatur sind gar nicht so abwegig, sind sogar aus mehreren Gründen naheliegend. Erstens hat sich Renate Mildner-Müller zuerst als Illustratorin von Büchern einen Namen gemacht, sowie als Grafikerin; zweitens aber geht der Begriff Grafik auf das griechische „graphein“ zurück, was soviel wie schreiben bedeutet; drittens finden sich in ihren Arbeiten zunehmend Elemente, die man nicht anders als Kalligraphie (schöne Schrift) bezeichnen kann. Bis auf zwei Ausnahmen trifft das auf alle hier gezeigten Arbeiten zu, und die – nicht zuletzt – aus der Auseinandersetzung mit Literatur (Gedicht, Libretto) entstanden sind.

Betrachten wir ein kalligraphisches Element näher in seiner Ästhetik, die Teil ist und Anteil hat an der Schönheit des Gesamtbildes. Auch für sich allein genommen, wird es dem Kenner einen ähnlichen ästhetischen Genuss bereiten wie eine arabische oder chinesische Kalligraphie. Diesen Genuss dürfte es auch uns vermitteln – sogar dann, wenn wir es in unserer Wahrnehmung nur auf ein Ornament reduziert hätten. Man erkennt aber mehr als ein Ornament; nämlich die zur Form geronnene Sprache, die zusätzlichen ästhetischen Genuss bereitet. Hat sie doch mitunter die Funktion eines Katalysators im Kommunikationsfluss, der zwischen Künstler und Betrachter des Kunstwerks stattfindett.

Betrachtet man dieses Element noch intensiver, so wird die Perfektion der künstlerischen Ausführung immer augenfälliger, und einem selbst bewusst, dass diese Perfektion zu einem großen Teil Voraussetzung dafür ist, dass wir das Bild als schön empfinden. Betrachten Sie anschließend in Ruhe die meisterliche technische Ausführung, egal ob mit Pinsel und Wasserfarbe oder mit Feder und Tusche: Welch klarer Schwung der Linie, welch feinen Abstufungen der Farbe und wie meisterlich im Zusammenspiel der Farbpalette. (Das, was bezüglich der Farbpalette von Renate Mildner-Müller am meisten überrascht, ist, dass es über alle Bilder hinweg etwas Verbindendes gibt, gerade auch angesichts ihrer Farbenfrohheit: Es sind die Umbra- und Grautöne, die jedem einzelnen Bild und allen zusammen Erdung und eine Mitte geben.

Ich hoffe, dass diese Betrachtung Ihnen die handwerkliche Meisterschaft der Künstlerin bewusst gemacht hat. Ich könnte das weiter führen, anhand anderer Techniken und Materialien, aber auch anhand der Bildkomposition durch Linie und Fläche, Figur und Zeichen sowie durch deren Rhythmus und nicht zuletzt durch Farbe. Ich tue es nicht. Aber nicht weil ich sie gering schätze – was die heutige Kunstszene leider nur allzu oft tut. Denn das handwerkliche Können, die Beherrschung der Technik sind Voraussetzung für den künstlerischen Schaffensprozess an dessen Ende das fertige Kunstwerk steht.

Deren Betrachtung will ich Sie nun überlassen, diesen zauberhaften, märchenhaften Blättern, auf deren jedes einzelne das zutrifft, was Mörike in dem Bildgedicht/Gedichtbild „KleineLau“ über die Schwimmhäute dieser Nixe sagt: „...zarter als ein Blatt vom Mohn“.

Hans-Werner Schuster


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