28. November 2004

Erinnerung als Basis für eine neue Zukunft

Der Volkstrauertag in Dinkelsbühl stand heuer im Zeichen des Gedenkens der Siebenbürger Sachsen an die Flucht und Evakuierung vor 60 Jahren aus Nordsiebenbürgen. Der Stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe Bayern der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Horst Göbbel aus Nürnberg, hielt aus diesem Anlass eine Gedenkrede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen an der Alten Promenade.
Wie die Fränkische Landeszeitung berichtet, hatte sich zuvor ein Zug aus Vertretern von Verbänden, Vereinen und Gruppe von der St. Paulskirche aus zur Kriegergedächtniskapelle unterhalb des Segringer Tors in Bewegung gesetzt. Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer mahnte dort in seiner Ansprache, dass „Tote, die wir vergessen, ein zweites Mal sterben. Doch Tote, an die wir uns erinnern, mahnen und warnen uns“. 2004 sei ein Jahr voller Gedenk- und Jahrestage gewesen. Hammer einnerte an das Schicksal der Siebenbürger-Sachsen. 1944 sei auch das Jahr des Aufstandes im Warschauer Getto gewesen und des Bombenkrieges in deutschen Städten. Nichts von dem Elend vor 60 Jahren dürfe verdrängt und zugedeckt werden, betonte der Oberbürgermeister. Denn nur aus der Wahrheit könne Erkenntnis wachsen. Für einen großen Teil Europas sei Frieden verwirklicht worden, wobei die Städtepartnerschaften einen wesentlichen Beitrag geleistet. Zwischenzeitlich sei auch die Teilung Europas überwunden worden. Nun gelte es aufeinander zuzugehen. Der Volkstrauertag sei eine Gelegenheit weitere Schritte in Richtung Versöhnung zu gehen.

Am Ehrenmal der Siebenbürger Sachsen erinnerte Horst Göbbel an die etwa 40 000 evakuierten Deutschen, an die Not und das Elend, das die Menschen bei ihrer Flucht und Evakuierung aus Nordsiebenbürgen vor 60 Jahren erlitten hatten. Damals seien diese Menschen unterwegs gewesen „aus einer vertrauten Vergangenheit in eine höchst ungewisse Zukunft“. Das große Leid sei der ständige Begleiter der Menschen auf diesem Treck gewesen. Dies veranschaulichte Göbbel am Beispiel seiner eigenen Familie, die drei Todesopfer im Zusammenhang mit diesem einschneidenden Ereignis zu beklagen hatte. Doch trotz dieser bitteren Erfahrungen hätten sich die Siebenbürger Sachsen mit Zuversicht an, eine neue Zukunft gewagt, so sein Tenor. Göbbel gedachte in seiner Ansprache unter anderem den ungezählten Opfern von Gewaltherrschaft und Krieg, den unzähligen gefallenen Soldaten, den Menschen, die ums Leben kamen, weil sie gegen die NS- und SED-Diktatur Widerstand geleistet haben, den Opfern von Terrorismus und politischer Verfolgung, den den Vertriebenen und Flüchtlingen, die ihr Leben verloren hätten.

"Existenzieller Wendepunkt"

"Vergangenheit ist immer ein Bild der Gegenwart", betonte Studiendirektor Horst Göbbel. „Vergangenheit ist eigentlich viel weniger das, was wohl wirklich geschehen ist, sondern das, was wir an Bildern, an Worten, an Gedanken, an Eigenschaften, an Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart mitgenommen haben, was wir in unserem kollektiven Gedächtnis aufbewahren.“ Vergangenheit sei somit etwas, womit die Zukunft gestaltet werde. Dazu gehöre für die Siebenbürger Sachsen, die in Dinkelsbühl eine neue Heimat gefunden hätten, auch die Erinnerung an ihre Flucht vor 60 Jahren, die der „entscheidende Wendepunkt in ihrer damals 800-jährigen Geschichte in Siebenbürgen“ gewesen sei. „Ein existenzieller Wendepunkt mit großen Verlusten, mit großen Opfern, jedoch auch mit christlicher Zuversicht, das Leid und die Bedrängnis zu überwinden.

Verbunden mit dem Gedenken sei die Trauer, denn jedes einzelne Opfer sei eines zu viel. Die Toten seien Mahnung. Aber, so Göbbel weiter: „Wir trauern nicht ohne Hoffnung“, denn das Leben stehe im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und den Völkern. Die Hoffnung und Verantwortung gelte dem Frieden unter den Menschen „zu Hause und in der Welt“, schloss er.

Sowohl in der Kriegergedächtniskapelle als auch am Gedenkstein der Siebenbürger Sachsen wurden Kränze niedergelegt, so die Fränkische Landeszeitung. Die Feierstunde wurde musikalisch umrahmt von der Stadtkapelle Dinkelsbühl, dem Sudetendeutschen Chor und der Sängervereinigung "Concordia".

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2004, Seite 3)

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