5. Januar 2005

...und brachte hundertfältige Frucht

Das Erinnerungsbuch "Unser Werden und Wirken" / Ehemalige Schäßburger Seminaristen erzählen aus ihrem Leben
Am Anfang waren zwei Handvoll Fachlehrer, die Mut, Güte und Pflichtbewusstsein ausstrahlten: fünfundzwanzig Männer und Frauen, unter ihnen Karl Gustav Reich, Egon Machat, Ernst Irtel, Paul Schuller, Liane Lang, Natalia Buruiana, Dr. Eckart Hügel. Aus der Höhe unserer Jahre beurteilt, war es ein Elite-Team. Nun haben ehemalige Schüler ihnen ein Denkmal gesetzt. Es ist die Rede von dem Erinnerungsbuch "Unser Werden und Wirken" der Klassen A und B, die im Jahre 1954 absolvierten. Das Buch wurde anlässlich des fünfzigsten Maturajubiläums 2004 zusammengestellt und von Michael Fabi und Hans Orendi im Eigenverlag herausgebracht.

"Wie eine Lichtung im Urwald" - Schäßburg. Aufgang zum Stundturm, um 1938. Foto: Hans Roth
"Wie eine Lichtung im Urwald" - Schäßburg. Aufgang zum Stundturm, um 1938. Foto: Hans Roth

Für die Rumäniendeutschen hatte mit dem Zweiten Weltkrieg das heulende Elend begonnen. Sehr viele Familien waren durch die Kriegsopfer und die Gefangenschaft, dann durch die Russland-Deportation betroffen. Dazu kam die Enteignung der Landwirte und der Handwerker, die politische Diskriminierung der Deutschen als Minderheit, die angeblich mitschuldig war am Ausbruch des Krieges, fallweise auch die soziale Diffamierung der Familien als „Mittelbauern“ oder als „Kleinbürger“, was für die Schulkinder mit materiellen Nachteilen verbunden war. Auf allen Schichten lastete die Not der Nachkriegszeit. Zu essen gab es nur wenig, und die Schüler, die im Internat wohnten, mussten nicht nur das Essgeschirr, sondern auch Bett und Strohsack von zu Hause mitbringen.

Nun lag Schäßburg mit seinem Schulberg, auf dem sich die altehrwürdige Bergschule befindet, auch in den fünfziger Jahren mitten in Rumänien, an seinem geografischen Mittelpunkt, und das Land war von sowjetischen Truppen besetzt. Doch wenn man in dem Buch liest, gewinnt man den Eindruck, als habe sich der Schulberg zeitweilig durch einen Zauber weit, weit aus der bedrückenden Wirklichkeit entfernt, so dass die Schüler sich vorkamen wie auf einer Lichtung im Urwald – wie in einer Oase, wie in der Gondel eines Ballons, wie in einem Paradies. So lässt sich die hingebungsvolle Arbeit jener Elite-Lehrer und ihrer Helfer vom technischen Personal veranschaulichen.

Ein Haupttreffer

Der Schulalltag wirkt ernüchternd wie eine kalte Dusche, wenn der Betrachter nicht auf dem Pferdewagen aus einem Dorf anreist, sondern im Rückblick auf einem Zeitstrahl aus der Wegwerfgesellschaft: im Internat enge Schlafräume ohne Tische und Schränke; weite Wege zwischen Internat, Kantine und Schulgebäude; ein überladener Lehrplan, verbunden mit dem Mangel an Lehrbüchern; die unterrichtsfreien Stunden schließlich ausgefüllt bis zum Rande mit Nebentätigkeiten wie Chor, Theater- und Orchesterproben, Leichtathletik, Geräteturnen und Handball. Es war eine Treibhausatmosphäre, aber die Schüler, denen auch der Grenadiermarsch gut schmeckte, wenn es welchen gab, empfanden es anders:

„Man respektierte unsere blutjunge, kaum vorhandene Erwachsenenwürde, indem man uns ab der achten Klasse mit ,Sie‘ ansprach.“ (Lilli Pelger)
„Nach kurzer Eingewöhnungszeit fühlte ich mich in der Bergschule wohl und geborgen, gerade in der schwierigen Zeit des politischen Umbruchs.“ (Margarete Demuth)
„In der großen, gleichgesinnten Schülergruppe entwickelte ich ein neues Gemeinschaftsgefühl, das mich schützte.“ (Gerda Lurtz)
„Eine wunderbare Zeit, obwohl ich als sogenanntes Ausbeuterkind große materielle Schwierigkeiten hatte (kein Stipendium während der ersten drei Jahre).“ (Luise Markus)
„In schwierigen Situationen haben sich unsere Lehrer stets schützend vor uns gestellt.“ (Gerda Kreischer)
„Es war das Gefühl der Geborgenheit, das mich mein Leben unbekümmert genießen ließ. Und Genießen hieß nicht nur für mich: lernen, lesen, Sport treiben, singen, lachen und miteinander fröhlich sein.“ (Gerlinde Martini)
„Schäßburg wurde zu meiner zweiten Heimat.“ (Georg Peter)
„Schäßburg war wie ein Haupttreffer im Lotto.“ (Katharina Unberath)
„Von nun an geschah im Sem nichts, ohne dass ich dabei gewesen wäre.“ (Anna Polder)
„Die Lehrer haben uns vorgelebt, wie Werte auch unter ausweglos scheinenden Bedingungen bewahrt und gelebt werden können.“ (Anna Mangesius)
„Wenn ich meinen Kindern und Enkelkindern von unserer Bergschule und dem Internatsleben erzähle, gerate ich immer ins Schwärmen.“ (Johanna Kraus)
„Die schönste Zeit meines Lebens.“ (Johann Ehrmann)

Erst jetzt zugegeben: Fünf Schüler hatten heimlich eine Band gegründet: Andreas Hann (Trompete), Georg Schuller (Klarinette), Michael Fredel (Posaune), Rolf Scheiner (Akkordeon) und Karl Ludwig Konradt (Schlagzeug). Am Wochenende tingelten sie durch die Dörfer um Schäßburg und spielten zum Tanz auf. So verdienten sie sich ein Taschengeld und konnten sich ab und zu einen Konditoreibesuch erlauben. Von den Mitschülern wurden sie die Kapitalisten genannt.

„Wenn ihr dann nach Käbesch kommt“

Aus dem Erlebnis der Bergschule schöpften die jungen Lehrer Kraft für das tägliche Leben in abgelegenen Dörfern, für schwierige Situationen im Unterricht und für die Überraschungen, die der angebliche Aufbau des Sozialismus unter inkompetenten Kommunalpolitikern mit sich brachte.

„Wenn ihr dann nach Käbesch kommt…", hatte Dr. Hans Markus gesagt, sooft er Ratschläge für die Arbeit unter sehr einfachen Verhältnissen formulierte. Käbesch ist ein Dorf bei Agnetheln. Wenn Hildegard Martini in Irmesch die Petroleumlampe blank scheuerte oder knorriges Eichenholz zersägte, musste sie an jene Redensart denken. In Irmesch benutzten die Buben Stelzen, um die aufgeweichte Dorfstraße zu überqueren, während sich die Erwachsenen mit Gummistiefeln behalfen. Stelzen auch in Michelsberg im Kreis Alba. Dort trug Herta Orendi ihre Abc-Schützen auf dem Rücken über den Bach zum Schulgebäude.

Die Dorfpotentaten benutzen die Lehrer als Mädchen für alles – sowohl bei Arbeiten, die mit dem Auftrag eines Lehrers zusammenhängen, wie Alphabetisierung, Bibliothek und Kulturheim, als auch bei völlig schulfremden Tätigkeiten, etwa die Zählung des Viehbestands und die Schweinekontrakte mit den Hausvätern. In Bußd wurde Regina Krestel zum Telefondienst eingeteilt und genötigt, bei den Parteisitzungen sowie bei den LPG-Versammlungen die Rechenschaftsberichte zu schreiben. Die leidige Erntehilfe – als landwirtschaftliches Praktikum getarnt – dehnte sich über Wochen, wenn nicht Monate.

Wie eine schwarze Wolke bedrohten ideologische Kontrolle und Bespitzelung das Privatleben und die Kulturarbeit. Als Theaterstücke kamen nur die im Kulturellen Wegweiser (später Volk und Kultur) abgedruckten in Frage. Oft setzte der Volksrat, wie in Bußd, noch eins drauf: Die Jugend durfte nur dann einen Ball veranstalten, wenn sie vorher ein Kulturprogramm aufführte. Einen Ausweg aus dieser Klemme bot der Eintritt in die Partei. Es war ein Kompromiss, aber mit der Möglichkeit verbunden, von einer anderen Position aus Paroli zu bieten und bei Entscheidungen mitzuwirken. Ein notwendiges Übel, wie Michael Bennings Witwe schreibt.

Michael Benning ließ sich in die Partei aufnehmen, weil er dadurch in die Lage versetzt wurde, in seinem Heimatort Großprobstdorf den deutschen Oberzyklus aufzubauen. Gerlinde Player hätte den Kommunismus gern weiterhin als Sache der Rumänen und des rumänischen Staates betrachtet, doch als sie merkte, dass sie als Parteimitglied mitsprechen kann, wenn es um die Belange des Zeidener deutschen Kindergartens geht oder um die deutsche Kulturarbeit, da biss sie in den sauren Apfel. Aus ähnlichen Erwägungen traten Johann Untch und Anna Untch in Mortesdorf in die Partei ein. Dort war die Bevölkerung zu 90 Prozent sächsisch, doch weil es wenige sächsische Parteimitglieder gab, wurde der deutsche Bevölkerungsteil in den Parteigremien immer wieder benachteiligt.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, entspricht die „Parteiarbeit“, ob man sie nun als notwendiges Übel oder als Flucht nach vorn oder als taktischen Schritt bezeichnet, durchaus dem Auftrag des Seminars an seine Absolventen, etwas Positives zu leisten, auch wenn konkret niemals eine solche Weisung erteilt worden ist. Zu diesem Streitpunkt sollte man einmal die Meinung von Hermann Baier anhören, der in den fünfziger Jahren als junger Mathelehrer am Seminar wirkte. Er ist im Josef-Haltrich-Lyzeum, das die Stelle der Lehrerbildungsanstalt einnahm, zum Direktor aufgestiegen. In den achtziger Jahren konnte er durch kluges Taktieren die deutsche Abteilung erhalten.

Wie Dr. Michael Kroner schreibt, bekamen die Seminaristen „ein Verantwortungsgefühl für die damals schwergeprüfte sächsische Gemeinschaft mit, sich für den Erhalt und die Pflege ihrer Identität mit ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihren Bräuchen einzusetzen. Man hat zu diesem Thema keine Lektionen oder Vorträge gehalten, dieser Geist und diese Haltung haben sich aus dem Gemeinschaftsleben von Lehrern und Schülern und aus dem Solidaritätsgefühl in der bedrohten Lage, in der man sich als Deutscher befand, ergeben.“

Michael Kroner, der nach dem Seminar Geschichte studiert hatte, wurde nach seiner Schultätigkeit in Bistritz 1968 in die Redaktion der Karpaten-Rundschau aufgenommen. Dort fiel ihm die Aufgabe zu, durch heimatkundliche Beiträge die Geschichte der Deutschen in Rumänien für die Öffentlichkeit zu legitimieren, nachdem in den ersten Nachkriegsjahren alles, was deutsch war, als faschistisch, hitleristisch und reaktionär verteufelt worden war. Dabei musste er ebenfalls Kompromisse in Kauf nehmen. Dasselbe gilt für seine „Sächsisch-schwäbische Chronik“ (1976), das erste Buch nach dem Krieg, das einen Überblick über die Geschichte der Rumäniendeutschen gewährte.

Katz und Maus

Man könnte sagen, dass der Parteibeitritt eine Reaktion gegen die anhaltende Bevormundung war. Das Austricksen der Behörden war eine andere. Unter dem Druck der Verhältnisse haben in ganz Rumänien Zehntausende Lehrer mit mehr oder weniger Erfolg getrickst.

Iris Lingner, ab 1962 in Zeiden als Biologielehrerin tätig, gab den Volksliedern und Tänzen, die sie mit den Schülern einüben wollte, neue Namen – solche, die den Anforderungen entsprachen. Für die deutschen Kulturveranstaltungen in Kirtsch holte sich Johann Bretz vorschriftsmäßig beim Mediascher Kunst- und Kulturausschuss eine Genehmigung – aber das dargebotene Programm stimmte in Zusammensetzung und Inhalt niemals mit dem genehmigten überein. Johanna Kraus hat, als sie in Trappold arbeitete, viele Theaterstücke und Tänze aufgeführt, auch solche, die nicht genehmigt waren.

Da man in der Schule keine Weihnachtslieder singen durfte, in Großschenk so wenig wie anderswo, enthielten die Musikstunden von Lilli Pelger vor Weihnachten „Hirten- und Wiegenlieder“. Hans Moyrer studierte während seiner Zeit in Pretai mit der von ihm gegründeten Theatergruppe mehr als zwanzig siebenbürgisch-sächsische Theaterstücke ein. Die „Braut von Urwegen“ wurde 145mal in Ortschaften des Kokeltals, des Harbachtals und des Burzenlandes wie auch in Schäßburg, Mediasch und Agnetheln aufgeführt, aber nicht unter ihrem richtigen Namen, sondern mit dem Titel „Begegnung zweier Welten“. Moyrer änderte den Namen, weil er nur so die Genehmigung zur Aufführung erhielt. So manche Kollegen aus anderen Ortschaften wunderten sich, denn sie bekamen immer Absagen.

Die Ernte

In sieben aufeinanderfolgenden Jahren (von 1949 bis 1955) schickte die Schäßburger Pädagogische Schule rund 500 junge Lehrer in den Kampf. Die „Kampfstätte“ erstreckte sich über ganz Siebenbürgen. Laut Dr. Kroner gibt es kaum ein Dorf, in das kein Absolvent aus Schäßburg gelangt ist. Manche fanden einen Arbeitsplatz im Banat, wo nach dem Krieg zeitweilig Lehrermangel herrschte; die 1948 in Temeswar gegründete Lehrerbildungsanstalt gab nämlich erst 1952 die ersten Junglehrer frei. Manche hat es nach Oberwischau verschlagen, wo sie nach und nach die deutsche Schule für die Zipser neu einrichteten.

Die ehemaligen Seminaristen verließen die „Kampfstätte“ erst als Rentner oder im Sog der Auswanderung, nachdem die Schülerzahlen abermals geschrumpft und die deutschen Klassen eingegangen waren. Aber damit ist die Geschichte nicht zu Ende. In Deutschland angekommen, mussten sie sich erneut behaupten. Auch in der neuen Heimat schöpften sie Kraft aus der Erinnerung an die Schäßburger Zeit, wobei Klassentreffen eine Rolle spielten. Ein Teil qualifizierte sich durch Praktika und Prüfungen für den Schuldienst, andere ließen sich für den Pflegedienst umschulen. Auch als Hausmeister und als Putzfrau, wenn es nicht anders ging, als Warenkontrolleur und als Beiköchin stellten sie ihre Tugenden unter Beweis.

Das vorliegende Buch umfasst rund hundert Lebensberichte, die in erster Linie Mitteilungen an ehemalige Mitschüler und spätere Mitstreiter enthalten. Das ist die Erklärung dafür, warum die Autoren kaum je Bezug nehmen auf den geschichtlichen Hintergrund – weder auf die gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in Rumänien, noch auf den kalten Krieg oder die wissenschaftliche Erkundung des Weltalls. Sie vernachlässigen diesen Hintergrund, weil sie ihn als bekannt voraussetzen. Um so mehr fällt die stereotype Erwähnung der Ereignisse auf, welche die Kindheit der Autoren prägten: Krieg, Russland-Deportation und Schulreform. Als ob sich die Autoren auf diese Weise als Angehörige derselben Generation legitimieren müssten.

Deshalb war es ein kluger Schritt der Herausgeber, in den ersten, einleitenden Teil die Ausführungen von Dr. Michael Kroner aufzunehmen, der die Entwicklung des Schulwesens nach dem Zweiten Weltkrieg kommentiert und damit für uneingeweihte Leser den zum Verständnis der Texte erforderlichen historischen Rahmen begründet.

Hans Fink

Bestellungen an: Hans Orendi, Von-Bock-Straße 25, 45468 Mülheim. Preis: 20 Euro, Kontonummer 222 623-308; BLZ 250 100 30.

(gedruckte Ausgabe: Ssiebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2004, Seite 8)

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