10. Januar 2005

"Wohlanständigkeitslehre" gar nicht so übel

Heute wird der Begriff "undiszipliniert" kaum noch verwendet. Gudrun Schuster, ehemalige Lehrerin am Honterus-Gymnasium in Kronstadt, beleuchtete am 12. Dezember 2004 im Haus des Deutschen Ostens in München kurzweilig und passend zum Auftritt der überwiegend jugendlichen Projektgruppe den "Disziplinbegriff in den siebenbürgisch-sächsischen Schulen" und machte deutlich, dass dieser Begriff, der von den Gesetzen und Ordnungen einer Gesellschaft bestimmt wird, sich mit dieser auch verändert.
Über die Thesen des Erziehungswissenschaftlers Alois Fischer, der Disziplin als Bildung und Schulung des Willens definiert, führte die Referentin den Disziplinbegriff auch auf dessen negative Wahrnehmungen, wie z.B. Forderungen, Schranken, Zwang, zurück und erarbeitete die zwei Bedeutungen der Disziplin, nämlich einerseits „Zucht und Ordnung“, andererseits die Disziplin als Wissenszweig.

Der sozial-geschichtliche Hintergrund für den Disziplinbegriff in Siebenbürgen ist, dass die Siebenbürger Sachsen anfangs bestrebt waren, die von den ungarischen Königen verbrieften Autonomierechte und später, nach deren Einschränkung, ihre ethnische Identität zu bewahren. So maßen sie der Schule, also Bildung, Wissen, Sprache, schon sehr früh eine besonders hohe Bedeutung zu. Diese Ziele zu erreichen, erforderte u.a. Disziplin. Die lernte man aber nicht nur in der Schule oder daheim, sondern auch z.B. in den unter dem Obdach der evangelischen Kirche agierenden Schwestern- und Bruderschaften.

Siebenbürgische Schülerinnen am Rechentisch. Foto: Doris Hutter
Siebenbürgische Schülerinnen am Rechentisch. Foto: Doris Hutter

Michael Alberts Verse „Deiner Sprache, deiner Sitte, deinen Toten bleibe treu, steh in deines Volkes Mitte, was dein Schicksal immer sei“ waren eine Forderung an die Jugend genauso wie die Regeln der „Wohlanständigkeitslehre“. Die von 1842 aus Deutsch-Weißkirch erhaltenen Regeln stellen die Anforderungen an das Benehmen der Schüler in der Schule, auf der Straße, gegenüber ihren Eltern und beim Essen dar.

Die erste Regel wurde von den beim Vortrag anwesenden 16 Jugendlichen ganz korrekt befolgt: „Die Schüler müssen die Haare gekämmt und in guter Ordnung haben“. Besonders interessant für die heutigen Jugendlichen zu erfahren war, wie früher das anständige Verhalten zu den Eltern und beim Essen definiert wurde. Durch die gefilmten Zeitzeugenberichte war ihnen das Beispiel der frühen demokratischen Form von Erziehung zur Disziplin in der Schülerselbstverwaltung, „Coetus“ genannt, bereits bekannt. Den Bogen zur agierenden Jugend-Theatergruppe schlagend, die nach dem Vortrag aus Zeitzeugen-Erinnerungen gebastelte Sketsche aufführte, zählte Gudrun Schuster auch die Mittel zur Durchsetzung der Disziplin auf. Neben dem Vorbild der Eltern, dem Erlernen der Regeln, Lob und Tadel, religiöser Erziehung und körperlicher Züchtigung wurden die Aufgaben in der Gemeinschaft, die z.B. Ausdauer und Selbstüberwindung kosten, und öffentliche Gerichte in den Schülervereinigungen genannt. Letzteres ist heute wieder aktuell und wird in den Schulen als „Schlichtung“ Gleichaltriger neu belebt. Die sehr liberale Einstellung im Verhalten des Individuums heute hat Vorteile, trägt aber bei Übertreibung die Gefahr des Chaos in sich.

Keine Rede von Chaos im dargestellten historisch-siebenbürgischen Klassenzimmer der Jugend-Theatergruppe. Da herrschte der Lehrer mit gut gesetzten Ohrfeigen. Wurde mal eine Ohrfeige ungerechtfertigt verabreicht, kam sie ins Sparbuch und wurde dem Schüler beim nächsten „Vergehen“ erlassen. In anderen Fällen gab es eine bestellte „Pletsch“ und einen Schulleiter. Die Sketsche wurden mit viel Spaß aufgeführt und vom dankbaren Publikum mit Applaus und Lachsalven honoriert. Heike Spielhaupter, Udo Roth und Lysander Homm hatten sich freiwillig als Ohrfeigenempfänger zur Verfügung gestellt. Gute Schauspieler, die keine Miene verzogen! Außer den historisch gekleideten Schülern und Lehrern gab’s Eltern, die manche Schulfächer als unwichtig einschätzten (z.B. Erdkunde) und Zeitzeugen, gespielt von den rührigen Augsburger Müttern der Jugendlichen. Sie alle können auf der geplanten Videokassette und DVD mit dem Titel „Schulzeit in Siebenbürgen. Erinnerungen“ (Fertigstellung wird in dieser Zeitung bekannt gegeben) gesehen und gehört werden. Ebenso die Betreuer Simon Spielhaupter (Begrüßung) und Annette Folkendt (Filmen).

Doris Hutter sprach ein Schlusswort, bat die Teilnehmer sich vorzustellen und dankte für die Förderung durch die siebenbürgische Landsmannschaft, Landesverband Bayern, und einiger Spender sowie ganz besonders das Haus des Deutschen Ostens. Durch dessen Unterstützung wurden nämlich die Seminare in Gundelsheim, Nürnberg und München möglich, in denen beim Filmen und Forschen nicht nur Erinnerungen aus dem Klassenzimmer, sondern auch Spiele aus der Schulzeit in Siebenbürgen gespielt, lebendig wurden. Dank dieses Projektes bewirkten die Teilnehmer und über sie mehrere Landsleute, dass in einigen Schulklassen in Bayern inzwischen das Spiel „Pitziknochen“ gespielt wird. Herrlich, von einem ausländischen Schüler zu erfahren, dass dieses Spiel genau nach den gleichen Regeln heute im Irak gespielt wird! Dem Rechentisch als Erklärung für das Dezimalsystem begegneten die Projektteilnehmer genauso aufgeschlossen wie dem Herstellen eines Wolle-Balls, mit dem das Spiel „Armer Student“ an der Wand gelernt und vorgeführt wurde. Geschicklichkeit wurde früher groß geschrieben, was von den Jugendlichen mit echtem Beifall honoriert wurde. Auch Klebsch muss geübt werden. Und das Anfertigen eines weit springenden Holzes ist auch nicht zu verachten.

In München gab es also neben der gemeinschaftlichen Arbeit am Projekt (Rollen vorbereiten und lernen, Spiele üben, Theater spielen, Requisiten anschaffen, Filmen lernen) in den zwei Tagen auch viel Spaß, sei es beim Besuch eines Musicals, dem Spaziergang über den Christkindlesmarkt oder bei der Gelegenheit, Peter Pastior beim Schneiden des geplanten Films über die Schulter zu sehen und einen Einblick in die digitale Schneidetechnik zu bekommen. Günter Czernetzky schulte unser Auge bezüglich Einstellungsgröße, Bildwinkel, Bildkomposition, Harmonie usw.; er filmte einige Sequenzen und beriet zum Thema Filmen, Kamera, Kulissen u.a. mehr. Anneliese und Simon Spielhaupter stellten den aus Nordbayern angereisten Teilnehmern zum Übernachten ihr Haus zur Verfügung und verwöhnten sie mit einem fürstlichen Frühstück. Im Haus des Deutschen Ostens wurde die Projektgruppe von allen Angestellten, besonders vom Hausmeister verwöhnt. Man stellte ihr die größten Räume zur Verfügung und ging freundlich auf weitere Wünsche ein. Das ist in hohem Maße unseren fröhlichen Jugendlichen zu verdanken, die mit ihren Zöpfchen und Trachten, karierten Hemden und Westen, hochgeschlossenen Kleidern oder Lehrerrock so unkompliziert, frisch und neugierig, manchmal nervig laut, doch im entscheidenden Moment brav mitmachten und sich ganz natürlich fallen ließen in das im Sommer versprochene „Abenteuer Siebenbürgen“. Herzlichen Dank allen, die gekommen, geholfen, genossen und etwas gegeben haben. Danke den Eltern und Großeltern, die dieses Projekt mitgetragen und unterstützt haben! Danke denen, die in diesem Sinne weiter machen wollen!

Doris HutterProjektleiterin

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