27. Januar 2005

Leserecho: Differenzen in der Bewertung

Leserbrief von Professor Axel Azzola zum Artikel "Deportation vor 60 Jahren war völkerrechtliches Kriegsverbrechen" von Dr. Michael Kroner, erschienen in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 12. Januar 2005.
Kein Fachmann wird die Völkerrechtswidrigkeit der Deportation von Angehörigen des deutschen Volkes zur Zwangsarbeit in den von den deutschen Truppen zuvor barbarisch zerstörten europäischen Teil der noch dazu kriegsbedingt unter Arbeitskräftemangel leidenden Sowjetunion bestreiten (wobei ich mich auf eine weitergehende völkerstrafrechtliche Wertung nicht festlegen will), und niemand wird behaupten, dass die hiervon Betroffenen dort für eine individuell zu verantwortende Schuld zu büßen hatten. Gleichwohl zeigt der Bericht von Dr. Michael Kroner, dass es ohne jeden Rest von Zweifel Unterschiede in der Wahrnehmung und Wertung historischer Vorgänge gibt, die eine Kommunikation zumindest erschweren, wenn nicht gar gänzlich verhindern. Das beginnt mit der Frage, ob das Thema in der Bundesrepublik angemessen wahrgenommen wurde. Immerhin hat es in diesem Land von Anbeginn an ein „Vertriebenenministerium“ gegeben (an dessen Spitze leider kein alter Demokrat, sondern ein ehemaliger Nazi stand) und schon in der ersten Wahlperiode wurde ein „Vertriebenengesetz“ verabschiedet, dessen Integrationsleistung nur eine positive Wertung rechtfertigt. Die Vertreibung wurde auch von Anfang an amtlich dokumentiert, und lange vor dem „Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts“ wurden die Zeiten der Deportation in der Rentenversicherung der BRD als „Ersatzzeiten“ anerkannt und bewertet. Noch mehr verdeutlicht der Titel des Beitrags, den der Schlusssatz mit der Behauptung wiederholt, die Deportation sei das „Schrecklichste Trauma der neuzeitlichen Geschichte für die Siebenbürger Sachsen“, Differenzen in der Bewertung historischer Ereignisse durch in unterschiedlicher Weise betroffene oder beteiligte Menschen.

Die von Kroner vorgenommene Wertung wird nach allem, was wir wissen können, von einer Mehrheit der Volksdeutschen aus Rumänien geteilt. Das steht in einer erstaunlichen Differenz zu den Geschehnissen im Mai 1943, als etwa gleich viele „arbeitsfähige“ deutsche Menschen zur SS „einrückten“, um in der Sowjetunion zu töten und getötet zu werden. Dabei ging es um eine lebensgefährliche Teilnahme an einem mörderischen Krieg, bei dem es sich um ein organisiertes Verbrechen handelte. Ich kenne die Zahl der Toten auf der Seite der Siebenbürger Sachsen nicht, kann mir aber nicht vorstellen, dass es weniger waren. Die Folgen der Aushebung im Mai 1943 waren also für die Substanz des Volkes nicht geringer, als die an die Deportation zur Zwangsarbeit im Januar 45 geknüpften Folgen. Auch haben viele Menschen die Ereignisse vom Mai 1943 als zumindest mittelbare Bedrohung erlebt und um ihrer Sicherheit willen auf eine Art „23. August“ gehofft. Diesen Menschen ist es nicht möglich, bei der Erinnerung an den Januar 1945 den Mai 1943 zu vergessen.

Das Schicksal der Deportierten schmerzt, und zwar nicht nur die Angehörigen des betroffenen Volkes, sondern auch manch anderen Menschen, der dieses Ereignis als Nachbar erlebte oder aus anderen Gründen wahrnahm. Allerdings beeinträchtigt die von Kroner jedenfalls für die Mehrheit der „Volksdeutschen“ zutreffend zum Ausdruck gebrachte isolierte Wahrnehmung und Bewertung des einen der beiden Ereignisse jede Chance auf eine schmerzfreie Kommunikation, eine Verständigung über das Geschehene oder gar eine gemeinsam erlebte Trauer.

Prof. Axel Azzola, Berlin



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