7. Februar 2005

Leserecho: Hat man uns ganz vergessen?

Leserbrief einer ehemaligen Zwangsarbeiterin zur Gedenkveranstaltung am 14./15. Januar 2005 in Ulm anlässlich des 60. Jahrestages der Deportation in die damalige Sowjetunion.
Wir Russlanddeportierte möchten auch gerne einmal gehört werden. An solchen Gedenktagen wie in Ulm, 60 lange Jahre nach unseren Aushebungen zum Abtransport in die damalige Sowjetunion, steigt in uns ehemaligen Verschleppten wieder vieles hoch, was wir längst vergessen und verschüttet glaubten. Wer nun in Wirklichkeit die Verantwortung für unser unermessliches Elend trägt, ist bis heute noch nicht ganz geklärt. Wussten die Russen überhaupt etwas von der Existenz der verschiedenen deutschen Volksgruppen in Südosteuropa? Steckte bloß ein Racheakt der verschiedenen Regierungen dahinter? Nach Dr. Renate Weber aus Münster darf man die letzten Akten diesbezüglich auch heute noch in Rumänien nicht einsehen. Ihr Satz: „Hat Rumänien doch etwas zu verbergen?“ bleibt im Raum hängen. Aus dem Saal höre ich einige Stimmen „Ja!“ rufen. Es hätte sicher, wie vor zehn Jahren in München, angeregte Debatten gegeben, wenn nicht die Moderatorin Anita Schlesak vom Südwestrundfunk geschickt zu den nächsten Berichten weiter gelenkt hätte. Dieser Satz lässt auch mir keine Ruhe. Wie hätte auch mein Leben anders verlaufen können! Doch nach so vielen Jahren kann es uns gleich sein, wer was wollte. Wir mussten es durchstehen, wenn wir konnten.

Nach der Konferenz der Siegermächte auf Jalta, die auch nur ganz vage protestiert hatte, gehörte Rumänien ja zum sowjetischen Einflussbereich. Wie aber konnte uns Deutschland so totschweigen? Gehören unsere Schicksale nicht auch zur deutschen Geschichte? Es waren über 300 000 deutsche Mädchen und Frauen, Jungen und Männer, die in der damaligen Sowjetunion Zwangsarbeit unter ganz grausamen, unmenschlichen Bedingungen leisten mussten. Ein großer Teil davon hat die Heimat nie wieder gesehen. (Aus manchen Quellen geht hervor, dass es noch viel mehr waren, doch wer will die genaue Zahl wissen?) Hatte uns nun Deutschland in den Nachkriegswirren und im eigenen Elend wirklich vergessen oder wollte und vielleicht auch durfte man damals nichts von uns wissen? Jetzt, nach 60 Jahren, stellt sich noch immer dieselbe Frage. Schön langsam beginnt hie und da doch etwas durchzusickern. Wem aber nützt es noch? - Wer waren nun die Täter und wer die Opfer? Ich will es nicht aufrechnen, denn viele waren beides zugleich.

Nun drängt sich mir noch eine Frage auf, an die ich bisher nie gedacht habe: Hat unsere armselige Arbeit den Russen etwas genützt? Und was ist davon übrig geblieben? War ihnen unsere „Aufbauarbeit“ wirklich so wichtig? Oder war alles nur ein Racheakt? Sie hatten selbst nichts, waren im wahrsten Sinne am Boden zerstört und holten sich noch so viele Tausend Menschen ins Land, neben den vielen Kriegsgefangenen, die ohnehin schon da waren und wahrlich nicht nur von Luft leben konnten. So konnten sie den Problemen, die sie sich selbst geschaffen hatten, nie und nimmer gerecht werden. Also: War die Belastung durch uns nicht größer als der Nutzen, den sie durch uns hatten? Wer kann diese Frage beantworten? Ich wäre schon ganz neugierig, wie es heute in der Umgebung von Stalino, heute Donezk, und besonders im Hüttenwerk „Frunse“ in Konstantinowka aussieht!

Uns Betroffene aber hat Deutschland nach unserer Ausreise aus Rumänien aufgenommen, neben vielen aus anderen Ländern, und uns eine kleine Summe als Spätheimkehrer gezahlt. (Ich weiß die Summe nicht mehr.) Unsere Kinder und Enkel sind hier voll integriert, haben Arbeit, neue Freunde und eine neue Heimat gefunden. Wir, die ältere Generation, versuchen auch unser Bestes zu tun. Danke Deutschland!

Doch manchmal, in stiller Stunde, wandern unsere Gedanken und Erinnerungen über alle Grenzen, die heute keine Probleme mehr darstellen, hinweg, weit in das Land im Karpatenbogen, in unsere einst so blühende, schöne, alte Heimat und in unsere glückliche Kindheit. Und dann wandern sie noch viel weiter, über die nächsten Grenzen hinweg, ostwärts, bis in die weiten Steppen Russlands, wo sie manchen guten Freund und Kameraden suchen.

Dora Abalasei-Caspari, Bruchsal

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2005, Seite 9)

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