18. August 2005

Cosmin und das ABC

Das neueste Buch von Karin Gündisch ist eine Rückkehr zu den Wurzeln, eine Rückkehr nach Rumänien. Die Autorin hat vor Ort recherchiert und eine Geschichte entwickelt, die zwar erfunden ist, aber genau so hätte passieren können.
Der zwölfjährige Cosmin lebt mit seinen Eltern und zwei Geschwistern in einem kleinen Zigeunerdorf in Siebenbürgen in der Nachbarschaft eines rumänischen und eines sächsischen Dorfes. Cosmins Vater sammelt Reisig in den Wäldern, um daraus Besen zu binden und Körbe zu flechten, die Mutter verkauft diese im nächsten größeren Ort auf dem Markt. Es ist ein bescheidenes, ja ärmliches Leben, das die Familie führt, und niemand außer der Lehrerin im Dorf denkt daran, dass Cosmin in die Schule gehen sollte. Als einziger Sohn muss er im Haus bleiben, seiner Mutter helfen, wenn der Vater nicht da ist, und auf die jüngeren Geschwister aufpassen.

Nachdem die Lehrerin mehrere erfolglose Versuche unternommen hat, die Kinder in den Unterricht zu locken, greift sie zu einer List. Sie lässt die Familie, deren Stromzufuhr abgestellt wurde, Strom von der Schule abzapfen und verlangt im Gegenzug, dass Cosmin und seine Schwester Dorina in die Schule und die jüngste Schwester Adriana in den Kindergarten gehen. Dieses Angebot verlockt die Mutter, nicht zuletzt weil es im Haus einen alten Fernseher gibt, der nun endlich genutzt werden könnte. Von da an sorgt sie - bisweilen auch mit "schlagkräftigen" Argumenten - dafür, dass die Kinder, die nicht sehr begeistert sind, einigermaßen regelmäßig in der Schule erscheinen.

Als sein Vater nach langer Abwesenheit plötzlich wieder zu Hause auftaucht, beschließt Cosmin sein Dorf zu verlassen, da das Zusammenleben nicht funktioniert. Er landet in Bukarest und stellt fest, dass es nicht unbedingt schadet, lesen und schreiben zu können. Nach einigen Abenteuern und neuen Bekanntschaften in der großen Stadt hat er begriffen, dass Bildung wichtig ist und vor allem, dass er sein neues Ziel, eines Tages Fernfahrer zu werden, ohne Abschluss nicht erreichen kann. Er macht sich auf den Weg nach Hause - und vielleicht in eine bessere Zukunft.

Die Geschichte von Cosmin ist symptomatisch für viele junge Sinti und Roma. Karin Gündisch schildert aus der Sicht eines 12-Jährigen das Leben dieser Minderheit in einem Land, in dem sie immer noch nicht anerkannt ist. Dass sie einen kindlichen Protagonisten gewählt hat, nimmt dem Thema etwas von seiner Schärfe, aber nichts von seiner Brisanz. Im Nachwort gibt die Autorin einen für junge Leser gut verständlichen Überblick der Geschichte der Sinti und Roma in Europa von den Anfängen im 11. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Kurze Fußnoten im Text erklären rumänische Wörter, deren Aussprache oder historische Sachverhalte.

Auch wenn in Deutschland die Berührungspunkte mit Sinti und Roma nicht so zahlreich sind, wird diese Geschichte Kindern und Jugendlichen doch vor Augen führen, wie man sich als Angehöriger einer Minderheit fühlt und welche Schwierigkeiten es bisweilen zu meistern gilt. Zudem hat Karin Gündisch mit ihrem Buch einen wertvollen Beitrag zum Europäischen Jahr der Politischen Bildung (2005) geliefert, in dem ein Schwerpunkt den Sinti und Roma gewidmet ist.

Doris Roth

Karin Gündisch, "Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen", dtv Reihe Hanser, München, 2005, 192 Seiten, 7,50 Euro, ISBN 3-423-62218-0.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 10. August 2005, Seite 6)
Cosmin. Von einem, der auszog,
Karin Gündisch
Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen

Deutscher Taschenbuch Verlag
Taschenbuch

Jetzt bestellen »

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.