13. November 2005

Walter Myß eröffnete Blick auf Siebenbürgen und die europäische Perspektive

Mit dem Namen des am 22. September 1920 in Kronstadt geborenen Innsbrucker Prof. Dr. Walter Myß, der vor kurzem fünfundachtzig Jahre alt wurde, verbindet sich ein Stück der jüngsten Geistes- und Kulturgeschichte der Siebenbürger Sachsen, ohne das deren Profil erheblich an Erkennbarkeit verlöre. Der seit Kriegsende in Tirol lebende, in Innsbruck und Paris zum Kunstwissenschaftler ausgebildete Myß schuf mit dem 1971 von ihm in Innsbruck gegründeten Wort und Welt Verlag – quasi in der Nachfolge Hans Meschendörfers (1911-2000), der seinen Buchverlag und -versand in München 1975 aufgab – ein weitgehend siebenbürgisch bestimmtes Buchherstellungszentrum, das seit seinem Erlöschen nicht wieder seinesgleichen fand.
Walter Myß sorgte als Verleger nicht nur dafür, dass eine Fülle siebenbürgischer Autoren mit siebenbürgischen Themen in seinem Haus zu Wort kam, er verstand es darüber hinaus, seine alljährlich in Dinkelsbühl im großen mittelalterlichen Gewölberaum des Hospitals aus der Lutherzeit aufgebaute Bücherschau zum Begegnungspunkt siebenbürgisch-sächsischer Geisteselite zu machen. Von Hermann Oberth bis zum Mundartdichter Karl Gustav Reich, von der Dirigenten Carl Gorvin und Erich Bergel, den Malern Friedrich von Bömches und Johannes Schreiber bis zu den Ingenieurwissenschaftlern Karl Roth und Gustav Felix Stof und vielen anderen fanden sich im Bücheruniversum des Walter Myß zu Pfingsten alle ein, die das Gespräch über Philosophie, Kunst, Literatur, Geschichte suchten. Nirgendwo wieder traf sich siebenbürgisch-sächsische Geistigkeit so regelmäßig und so intensiv wie hier.

Äußerten sich hierin Ehrgeiz und Spektrum des hochgebildeten Mannes und beachtlichen Buchautors in ihrer auf Übersicht und Gesamterfassung angelegten Natur, so erst recht in bleibender Weise in einem enzyklopädischen Werk, das mittlerweile unverzichtbar wurde: 1993 gab Walter Myß in seinem Verlag nach jahrelanger mühevoller Vorarbeit das „Lexikon der Siebenbürger Sachsen“ heraus. Ein 625 Seiten zählendes einbändiges Konvolut – das Erste seiner Art in der Literaturgeschichte der Siebenbürger Sachsen –, dem wohl die verständlichen Mängel des Erstlings anhafteten, das als geistige Pioniertat aber unumstritten bleibt. Jede künftige Absicht, Ähnliches zu schaffen, wird auf Walter Myß’ Lexikon aufbauen, das die Bereiche Geschichte, Kultur, Zivilisation, Wissenschaften, Wirtschaft und den Lebensraum Siebenbürgen als Transsilvanica erfasst. Der Dienst, den der Schöpfer und Herausgeber dieses Werks seinen Landsleuten erwies, ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Die Siebenbürgen betreffenden verlegerischen Wegweisungen Walter Myß’ sind in ihrer weit gespannten Absicht erst erfassbar, wenn man sich den Kulturhistoriker und -philosophen vor Augen hält. Der Autor der vierbändigen europäischen Kulturmorphologie „Von Daidalos bis Picasso“ – das sind 5 000 Jahre Kunst- und Geistesgeschichte unseres Kontinents! – meinte in keinem seiner Bücher lediglich das unmittelbar anvisierte Thema. Er sah jede seiner Ausführungen in die größeren Zusammenhänge hinein und gab ihnen auf diese Weise Weite und Gewicht. Siebenbürgen galt ihm daher als eine der ungezählt vielen Facetten europäischer Kulturäußerung; so nahm er ihm das Provinzielle und die Enge und eröffnete den Siebenbürgern einen Blick auf sich selber, der über sie hinausweist.

Walter Myß zog sich vor einigen Jahren aus allen öffentlichen Tätigkeiten zurück. Im Nachhinein sei ihm von Herzen Dank gesagt für die Perspektiven, auf die er uns aufmerksam machte, und für die künftigen Jahre das Beste gewünscht!

Hans Bergel


Bewerten:

1 Bewertung: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.