2. Dezember 2005

Wissenschaft im Geist der Völkerverständigung

Seit 165 Jahren forschen Interessierte zur siebenbürgischen Landeskunde in einem Verein. In der Bundesrepublik wurde diese Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen; 1962 wurde der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) begründet. Er ist ein lebendiger, vielseitiger Verein, der in seinem über 40-jährigen Bestehen bewiesen hat, dass die Beschäftigung mit Landeskunde nicht Provinzialität fördert, sondern gesellschaftsrelevante Bedeutung besitzt.
Gerade in der Auseinandersetzung mit der Geschichte einer Vielvölkerregion, in der sich die Angehörigen verschiedener Nationalitäten oft auch durch ihre Konfession oder Religionszugehörigkeit unterscheiden, trägt die Erforschung von Jahrhunderte lang bewährten Formen weitgehend friedlichen Zusammenlebens - als Modellfall für das zusammenwachsende Europa - zur Völkerverständigung bei. Zukunftsweisende Bedeutung misst der AKSL der Kommunikation west- und osteuropäischer Nachwuchswissenschaftler/innen innerhalb eines Kooperationsnetzwerkes bei.

Anfänge und Vorgängerverein

Innerhalb der Geisteswelt Siebenbürgens entwickelte sich im 19. Jahrhundert das Bestreben, eine alle Völkerschaften umgreifende wissenschaftliche Vereinigung zu begründen, die sich der Pflege "heimischer" oder "vaterländischer Wissenschaft" widmen sollte. Nach verschiedentlich nicht verwirklichten Vorhaben erfolgte endlich 1839 durch Georg Binder der Aufruf zur Gründung eines Vereins für die Kunde Siebenbürgens, dem sich in rascher Folge engagierte Pfarrer und Politiker anschlossen. 1840 konstituierte sich die Interessengruppe in Mediasch und beschloss die Statuten des Vereins für siebenbürgische Landeskunde; die erste Vereinssitzung fand erst 1842 in Schäßburg statt. Zum Vereinsvorsteher auf Lebenszeit wurde Oberlandeskommissär Joseph Bedeus von Scharberg gewählt. Die Mitgliederzahl stieg 1846 auf 641. Ein Großteil der akademischen Mitglieder gehörte dem Pfarrer- bzw. Lehrerstand an. Bald wurde das Urkundenbuch vorgelegt (zuerst gesamtsiebenbürgisch), in dem die wichtigen Schriftstücke des Hochmittelalters veröffentlicht wurden. Unter dem Vorsitzenden Franz Josef Trausch erschien das dreibändige Schriftsteller-Lexikon, in dem neben kurzen Lebensbeschreibungen auch alle Aufsätze und Bücher der bis 1915 geborenen siebenbürgisch-sächsischen Autoren notiert werden. Bedeutende Veröffentlichungen waren die "Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk" sowie zwei Bände "Urkundenbuch der evangelischen Kirche Siebenbürgens", die der spätere Sachsenbischof Georg Daniel Teutsch vorlegte.

Nachfolger Trauschs als Vereinsvorsitzender wurde Georg Daniel Teutsch. 1884 erreichte man den Höchststand von 799 Mitgliedern. Junge Wissenschaftler nahmen sich neue Projekte vor: neben anderen Vorhaben wurde das siebenbürgisch-sächsische Wörterbuch begonnen (gegenwärtig bei Buchstabe P). Hervorzuheben sind in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende die so genannten Vereinstage, die in Städten und größeren Landgemeinden abgehalten wurden. Hier trafen sich anlässlich der Jahresversammlungen von Gustav-Adolf-Verein und Landeskundeverein auch alle anderen sächsischen Hauptvereine (Landwirtschafts-, Naturkunde-, Raiffeisenverein etc.). Es handelte sich um ein Kulturereignis ersten Ranges, zuweilen mit prominentem Besuch aus dem Deutschen Reich.

Seinem Vater folgte der nachmalige Sachsenbischof D. Friedrich Teutsch im Vorsitz nach. Es kam zu einer Blüte der Forschungsarbeit: Schullerus lenkte das "Korrespondenzblatt", Georg A. Schuller baute planmäßig die Handschriftenabteilung des Brukenthalmuseums in Hermannstadt auf. Teutsch veröffentlichte 1921/22 seine grundlegende, zweibändige Kirchengeschichte sowie die Bände 2-4 der Sachsengeschichte. Sein Nachfolger wurde der Hermannstädter Stadtpfarrer D. Friedrich Müller. Der Verein wurde ökonomisch und mitgliedermäßig stabilisiert, und die langjährigen Projekte wurden durch junge wissenschaftliche Kräfte beherzt fortgesetzt. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sowie die Gleichschaltung der Volksgruppe verurteilten den Verein seit 1940/41 zur Untätigkeit. Bis 1944 arbeitete ein Teil des Vereins in Nordsiebenbürgen weiter. Der Gesamtverein wurde schließlich 1947 durch die rumänische Regierung aufgelöst.

Neubeginn in der Bundesrepublik

Bald fanden sich siebenbürgisch-sächsische Jungakademiker in der entstehenden Bundesrepublik Deutschland zusammen, die sich als Generation mit geringen Kenntnissen über die eigene Heimat - angespornt durch das zuletzt in Nordsiebenbürgen aktive Vorstandsmitglied Karl Kurt Klein und das südsiebenbürgische Vorstandsmitglied Otto Folberth - wissenschaftlich mit der Geschichte und Landeskunde Siebenbürgens auseinandersetzten. 1962 fand schließlich - nach zehnjährigem Vorlauf - die Neugründung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg statt, der sich ausdrücklich in der Rechtsnachfolge des alten Landeskundevereins konstituierte.

Die ursprüngliche Absicht des 19. Jahrhunderts wurde wieder aufgegriffen und das doppelte Ziel formuliert: einerseits Fortführung der traditionellen siebenbürgisch-sächsischen Forschungsarbeit; andererseits wurde - in landeskundlicher Offenheit - das ganze Siebenbürgen aller Sprach- und Volksgruppen "im Geiste der Völkerverständigung und der gegenseitigen Toleranz" als Aufgabe verstanden (§1 der Satzung).

Zum Vorsitzenden wurde Dr. Otto Mittelstraß bestimmt. Die Mitgliederzahl stieg kontinuierlich und überschreitet seit 20 Jahren immer 700, wozu seit 1990/91 noch separat rund 100 Mitglieder in Rumänien kommen. Die positive Entwicklung des Arbeitskreises bestimmten mit: Dr. Ernst Wagner, in dessen Amtszeit ein seit 1971 angestellter, hauptamtlicher Geschäftsführer die Arbeit professionalisierte; Professor Walter König, der umsichtig in der Umbruchphase zu Beginn der neunziger Jahre amtierte; Dr. Günther H. Tontsch, dem es mit viel Geschick gelang, das Niveau der wissenschaftlichen Arbeit weiter zu steigern und für den AKSL eine geeignete Immobilie zu erwerben, und seit 2001 Dr. Ulrich A. Wien.

Der landläufig auch "Landeskundeverein" genannte AKSL organisierte zunächst eintägige Jahresversammlungen, die von 1968 bis 2000 zu mehrtägigen Jahrestagungen ausgebaut werden konnten und seit dieser Zeit zahlreiche Referent/inn/en zu unterschiedlichen Themen im Plenum und in verschiedenen Sektionen zusammenführte. Seit 2000 gilt die Regelung, in geraden Jahren zu einem mehrtägigen Kongress und in den Zwischenjahren zu einer eintägigen Jahresversammlung einzuladen. Hatte der Verein während des Kalten Krieges und der Spaltung Europas eine wichtige Brückenfunktion zu mittel- und südosteuropäischen Wissenschaftlern - trotz erheblicher Behinderungen und Beeinträchtigungen - übernommen, so gelang es nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime umso rascher, den internationalen Wissenschaftstransfer und die wissenschaftliche Kooperation auszubauen und substanziell zu vertiefen.

Über 100 wissenschaftliche Bücher wurden in Deutschland und etwa 30 Bände in Rumänien veröffentlicht. Seit 1994 erscheinen überdies vierteljährlich die "Mitteilungen aus dem Siebenbürgen-Institut" als Informationsblatt.
Am 31. März 1955 wurde die Siebenbürgische Bibliothek begründet, deren Grundbestand zwischenzeitlich auf rund 70 000 Einheiten zur größten einschlägigen Spezialbibliothek Westeuropas wuchs; sie konnte im Frühjahr den 50. Geburtstag feiern. Der Arbeitskreis sieht in dieser Bibliothek das entscheidende Herzstück, um die wissenschaftliche Arbeit des Siebenbürgen-Instituts und der mit ihm kooperierenden Forscher/innen und Institutionen dauerhaft zu untermauern. Sie ist zugleich ein besonders bedeutender Teil des kulturellen Gedächtnisses der Siebenbürger Sachsen außerhalb Siebenbürgens. Das der Bibliothek angeschlossene Archiv enthält auf über 1 500 Regalmetern zahlreiche Nachlässe, Verbandsarchive, ein Denkmalarchiv, Spezialbestände (Persönlichkeiten, Ortsgeschichte u.a.) und Sammlungen (Alte Karten, Fotoarchiv, Aktien, Philatelie u.a.).

Der AKSL hat mit seinem 1992 begründeten Siebenbürgen-Institut das langfristige akademische Ziel mit der Anbindung an die Universität Heidelberg verwirklichen können; seit 2003 gilt der Status als "Siebenbürgen-Institut an der Universität Heidelberg", das vom Direktor des Osteuropa-Seminars, Prof. Dr. Heinz-Dietrich Löwe, als dem wissenschaftlichen Direktor und vor Ort vom Wissenschaftlichen Leiter, derzeit Dr. Harald Roth, geleitet wird.

Das Institut braucht dringend eine verlässliche finanzielle Basis, nachdem das Land Nordrhein-Westfalen seine institutionelle Förderung zum Jahresende 2004 eingestellt hatte. Durch eine erfolgreiche Spendenaktion zugunsten der Geschäftsstelle (für die Jahre 2005 bis 2007 Spendenzusagen von insgesamt gut 100 000 Euro) konnte für den Moment das Schlimmste verhindert werden. Der Arbeitskreis wird nichts unversucht lassen, die sich bietenden Möglichkeiten zur Erhaltung des renommierten Instituts, das in diesem Jahr bereits zweimal erfolgreich Drittmittel für Projekte in Siebenbürgen einwerben konnte, zu ergreifen. Dringend benötigt der Arbeitskreis Unterstützung, um das Siebenbürgen-Institut dauerhaft finanziell unabhängig zu machen. Deshalb werden weiterhin Spenden oder Zustiftungen an die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek (Kontonummer 211029013, Volksbank Oberberg, Bankleitzahl 384 621 35) erbeten.

Dr. Ulrich A. Wien, Vorsitzender des AKSL

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2005, Seite 7)

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