20. Dezember 2005

Leserecho: Kirchenburgen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Angeregt von Peter Jacobis Reflexionen über die Zukunft der Kirchenburgen (siehe Interview in der Siebenbürgischen Zeitung Online) findet der ehemalige Schäßburger Stadtpfarrer Dr. August Schuller, dass die Kirchenburgen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sind, aber nicht jede Einzelne erhaltenswert ist.
Im März 1978 übernahm ich als damaliger Schäßburger Stadtpfarrer auch das Amt eines Bezirksdechanten. Kurz vorher war der Bistritzer Kirchenbezirk durch die Auswanderung seines Dechanten aufgelöst und mit dem Schäßburger Kirchenbezirk vereinigt worden. Wir übernahmen damals eine extrem ausgedünnte evangelisch-lutherische Diaspora mit vielen kleinen Gemeinden und Kirchengebäuden. Im Zuge dieser Übernahme machten wir uns mit der außergewöhnlichen Diasporasituation vertraut und legten abschließend dem Landeskonsistorium in Hermannstadt einen Bericht vor, der folgende Vorschläge beinhaltete:

l. Bestandsaufnahme aller unbeweglichen Inventargüter bzw. der Einnahmen, die aus der Vermietung, Verpachtung und Benützung derselben in die Kirchenkasse fließen.

2. Die vorhandenen Kirchengebäude bildeten zum Teil ein kostbares historisches sowie kulturelles Gut. Durch die Nachkriegsereignisse und die anhaltende Familienzusammenführung im Norden Siebenbürgens war die Gemeindegliederzahl in den Gemeinden so zurückgegangen, dass die kirchliche Substanz in vielen Gemeinden auf den Nullpunkt gesunken war .Dadurch wurden die leer stehenden Kirchen zu einer großen Belastung. Außer den Mitteln, sie zu restaurieren, fehlten auch die Gemeindeglieder, für die diese Kirchen einst gebaut wurden.

3. Weil eine gemeindliche Nutzung vieler Kirchen in Nordsiebenbürgen nicht mehr bzw. nur noch in einem sehr eingeschränkten Maße möglich war, schlugen wir dem Landeskonsistorium in Hermannstadt deren Verkauf vor. So habe ich im Laufe des Zeitabschnittes 1978 - 1989, dem Jahr, da ich wegen Auswanderungsabsichten meine kirchlichen Leitungsämter verlor, den Verkauf von 13 evangelischen Kirchen und sieben Pfarrhäusern in die Wege geleitet. Wir waren in der glücklichen Lage, diese Kirchen an orthodoxe Kirchengemeinden zu verkaufen und machten dabei die Erfahrung, dass diese Kirchen von den neuen orthodoxen Besitzern gut restauriert und das Kircheninnere gemäß dem orthodoxen Gottesdienstverständnis umgestaltet wurde. Alle waren mit der gefundenen Lösung zufrieden. Die aus den Verkäufen getätigten Erlöse flossen in einen landeskirchlichen Sonderfonds. Diese Mittel wurden dann wiederum anderen, lebensfähigen Gemeinden für Restaurierungsarbeiten zur Verfügung gestellt.

4. Nun steht, veranlasst durch den Massenexodus 1989/90, auch Südsiebenbürgen vor der Frage: Was geschieht mit unseren Kirchen/-burgen? Hier ist die Lage etwas komplexer, da mit den Kirchen auch die Kirchenburgen als historisch gewachsene Einheiten im Raum bzw. in der Landschaft stehen. Nichtsdestotrotz muss auch hier zunächst grundsätzlich theologisch überlegt werden:

A) Unsere Kirchen sind einst als Gotteshäuser gebaut worden. Sie sind sichtbare Zeichen dafür, dass Gott in der profanen Welt Wohnung genommen hat. Nach evangelischem Verständnis bleiben sie das aber nur, solange in ihnen Gottes Wort gehört und die Sakramente gefeiert werden. Wenn eines Tages die Gottesdienstgemeinde fehlt, verliert diese Kirche als Versammlungsort der christlichen Gemeinde ihr Existenzrecht. Insoweit erscheint ein Verkauf, eine Veräußerung oder Entwidmung von leer stehenden Kirchen legitim. Erfahrungsgemäß ist der Verkauf an andere christliche Gemeinden/Kirchen die ideale Lösung.

B) In Siebenbürgen sind Kirchen auch öffentliche Ensembles. Sie bestimmen durch ihre Monumentalität das Bild des Dorfes und sie gehören als gewachsene historische Bauten in einen dörflichen oder städtebaulichen Zusammenhang. Als historisch gewachsene Einheiten sind sie Seele und Gedächtnis eines vergangenen Gemeinwesens. Die Zukunft dieser Kirchenburgen ist deshalb als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten.

5. Im Blick auf eine Fremdnutzung gilt zunächst die apostolische Erkenntnis: "prüfet alles und das Gute behaltet." (1. Thess. 5,21). Eine gottesdienstliche Nutzung leer stehender Kirchen/-burgen hat immer Vorrang. Und im Zeitalter der Ökumene dürfte es dabei viele Möglichkeiten geben. Gemischte Nutzung als Kulturkirche. Diese Möglichkeit gleicht einem heiklen Spagat zwischen Gelingen und Scheitern. Denn die Spannung zwischen Kirche als Haus Gottes und Museum ist immer groß und schwer durchzuhalten. Aber der Spagat bietet auch eine Chance. Andererseits sind Kirchengemeinden nicht dazu da, um Architekturdenkmäler aufrecht zu erhalten. Sie haben in dieser Welt einen anderen Auftrag.

6. Kirchen, die nicht mehr dauerhaft als "heilige Räume" genutzt werden und auch nicht verkauft werden können, verändern sich und die Landschaft und sie verlieren im Laufe von Jahren an Bedeutung. Insoweit ist es besser, eine Kirche ganz abzutragen, als sie jahrzehntelang dem Verfall preiszugeben. Auch sind nicht alle Kirchenburgen erhaltenswert. Man sollte Prioritäten setzen. Aus der Geschichte Siebenbürgens kennen wir verfallene oder abgetragene Kirchenruinen. Sie sind ein Zeichen für eine besondere geschichtliche Entwicklung und weisen darauf hin, dass es nicht mehr möglich war, eine Lebenstradition fortzuführen. Wir sind alle miteinander der Endlichkeit ausgesetzt: im Leben, im Bauen und Erhalten. Denn alles, was wir tun und bauen, wird eines Tages wieder vergehen. "Alles hat seine Zeit."

Dr. August Schuller

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