14. Dezember 2001

Jugend lässt alte Traditionen aufleben

Der Einladung der Bundesjugendleitung der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) zum Workshop unter dem Motto „work & fun“ für den 30. November bis 2. Dezember in die Jugendherberge Darmstadt sind 25 Jugendliche gefolgt. Die Arbeit in den Workshops „Kochen siebenbürgisch-sächsischer Spezialitäten“, „Reihen und Nähen von Mädchen- bzw. Frauenhemden“ und „Fahnenschwingen“ wurde durch den Vortrag „Auskleiden oder nicht? Umgang mit Kleidung im ländlichen Siebenbürgen in den fünfziger Jahren“ abgerundet.
Sara Homner aus Amberg leitete den Arbeitskreis „Reihen und Nähen von Mädchen- bzw. Frauenhemden für siebenbürgisch-sächsische Trachten“. Das „gereihte“ Frauenhemd gehört zum ältesten Trachtengut Siebenbürgens, und die alte Handarbeitstechnik hat sich in Siebenbürgen in bewundernswerter Vielfalt bis in die Gegenwart erhalten. Für die alten sächsischen Bäuerinnen hatte einst jede Figur eines Reihmusters eine bestimmte Bedeutung und wurde nach Pflanzen, Tieren und Runenzeichen benannt. In einigen Gemeinden gab es einst über vierzig verschiedene Reihmuster. Christa Andree aus Heilbronn hatte zur Veranschaulichung eine Auswahl an Frauenhemden aus den verschiedenen Trachtenlandschaften mitgebracht und erläuterte, zu welchen Anlässen sie getragen wurden. Das Werktagshemd, bestehend aus dem eigentlichen Hemd und dem in der Taille angenähten, bis zu den Knöcheln reichenden Unterrock, wurde zu den täglichen Arbeiten im Haus und bei der Feldarbeit getragen, hingegen wurde das reich bestickte Sonntagshemd aus feinstem Leinen oder Baumwolle zum sonntäglichen Kirchgang getragen. Frau Homner demonstrierte den gespannt zuschauenden Teilnehmerinnen, wie die Faltenstickerei, „das Gereihte“ am Halsausschnitt entsteht. Reihfäden werden quer durch den in feinste Falten gelegten Leinenstoff des Hemdes gezogen, indem eine Reihfalte auf eine Nähnadel aufgenommen und die nächste Reihfalte niedergedrückt wird. Das Durchziehen des Stickgarns durch die Reihen, die Fäden also, ergeben das jeweilige Muster, welches reliefartig herausgearbeitet wird. Auch die weiten Ärmel des Hemdes werden an ihren Enden durch Faltenstickerei zur gewünschten Breite zusammengezogen. Jede Teilnehmerin bemühte sich, das Erlernte in die Tat umzusetzen, jedoch bedurfte es einiger Geschicklichkeit und Geduld bis der Lohn der Arbeit sichtbar wurde. Die Gleichmäßigkeit der Reihtechnik und die immer wiederkehrenden Anweisungen klangen wie ein Kehrreim in den Ohren der Teilnehmerinnen: „Eine nach oben, eine nach unten und drei zusammenziehen, eine nach oben ...“. Der Eindruck einer Spinnstube von einst stellte sich ein, als einige Teilnehmerinnen alte siebenbürgisch-sächsische Weisen anstimmten und alle, zu Anfang etwas verzagt, einfielen.
Da das Fahnenschwingen bei uns Siebenbürger Sachsen eher unbekannt ist, waren die Teilnehmer der Arbeitsgruppe „Fahnenschwingen“ gespannt, was auf sie zukommen würde. Martin Fink, Landesverbandstrainer im Landesverband der Fahnenschwinger in Baden-Württemberg e.V., beleuchtete die Hintergründe: In Kriegszeiten haben die Landsknechte im 15. und 16. Jahrhundert eine Fahne zum Signalisieren getragen, in Friedenszeiten wurden Wettbewerbe veranstaltet, in denen möglichst geschickt mit der Fahne umzugehen war. Später übernahmen Zünfte diese Tradition, die heute von Vereinen bei Umzügen aber auch im Rahmen richtiger Meisterschaften hochgehalten wird. Dann wurde die sogenannte „Deutsche Reihe“ einstudiert, eine traditionelle Darbietungsform, gegliedert in 15 Figuren. Sie ist wohl die Königsdisziplin im Fahnenschwingen und hat ihren Ursprung im 17. Jahrhundert. Die guten Erklärungen des Referenten machten das Erlernen relativ einfach, so dass zum Schluss einige leichtere Übungen recht gut klappten. Es wird überlegt, ob nicht ein nachfolgender Intensivkurs zum Fahnenschwingen durchgeführt wird.
Die Teilnehmer des dritten Arbeitskreises sorgten in dem Kurs „Kochen siebenbürgisch-sächsischer Spezialitäten“ unter der Regie von Ursula Tobias und Christa Andree, Landesfrauenreferentinnen der Landesgruppen Hessen sowie Baden-Württemberg, für das leibliche Wohl aller. Auf dem Speiseplan für das Mittagessen standen „Szekler Gulasch“ und als Nachtisch „Apfelkompott“, die Kaffeepause sollten uns neben dem Kaffee die berühmten „Cremeschnitten“ versüßen und am Abend kam die typische siebenbürgische Bratwurst mit Kartoffelpüree, „Palukes“ und Kraut auf den Tisch. Was mit so viel Eifer zubereitet wurde, musste einfach schmecken und wurde mit entsprechenden Komplimenten belohnt. Das üppige Essen verschaffte die nötige Unterlage für den Besuch des Darmstädter Weihnachtsmarktes am späten Abend. Nach getaner Arbeit schmeckte der Glühwein besonders gut, und in geselliger Runde wurden die Erfahrungen und Eindrücke des Tages ausgetauscht.
Am Sonntag Vormittag hatte die Bundesjugendleitung die Volkskundlerin Irmgard Sedler als Referentin für den Vortrag „Auskleiden oder nicht? Umgang mit Kleidung im ländlichen Siebenbürgen in den fünfziger Jahren“ gewinnen können. Frau Sedler selbst war jedoch leider terminlich verhindert, aber ihr Ehemann Werner Sedler vertrat sie ausgezeichnet. Die Festtracht oder Kirchentracht war früher Statussymbol des siebenbürgisch-sächsischen Bauerntums. Im ländlichen Bereich galten bis Ende der vierziger Jahre ausschließlich die überlieferten Kleidungsformen. Durch das Mitte der fünfziger Jahre einsetzende „Auskleiden“, das Ablegen des „bäuerischen Gewandes“, zugunsten städtischer Modebekleidung verloren sich die altüberlieferten Bekleidungsformen allmählich, die Tracht begann aus dem Straßenbild zu verschwinden. Die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Deutschen in Stadt und Land, der beginnende Zerfall der gewachsenen dörflichen und städtisch-bürgerlichen Gemeinschaften sowie der zunehmende Verlust des Identitäts- und Zusammengehörigkeitsgefühls hat diesen Prozess ausgelöst und beschleunigt.
Allen Referenten sei an dieser Stelle für die ausgezeichnete Anleitung der Kurse sowie den hervorragenden Vortrag herzlich gedankt. Der Dank der Bundesjugendleitung gilt ebenso den beiden für dieses Seminar Hauptverantwortlichen: Ingwelde Juchum-Rausch und Toni-Ernst Pieldner. Aufgrund der positiven Resonanz wird an eine Fortsetzung gedacht.

Inge Erika Knoll

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