20. Dezember 2001

50 Jahre Kreisgruppe Augsburg

Unter dem Motto „Zusammenhalt üben - Partnerschaft stiften“ wurde kürzlich das 50-jährige Jubiläum der Kreisgruppe Augsburg mit einem Festgottesdienst im stilvollen Rahmen der St. Anna Kirche und mit anschließender Feierstunde im angrenzenden Augustanasaal begangen.
Eigentlich wollte ich diese Feier zum Anlass nehmen eine alte Klassenfreundin zu treffen, die zur Feier eingeladen war, und die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Doch ob ich hier Gelegenheit finden würde, Erinnerungen zu tauschen? Der Gottesdienst, die Feier, das Jubiläum, die Reden, die mehr oder weniger bekannten Gesichter - sollte mich das eigentlich interessieren? Hatte ich an einem Sonntagnachmittag nichts Besseres zu tun?
Der Festgottesdienst zum 50-jährigen Jubiläum der Kreisgruppe Augsburg wurde in stilvollem Rahmen in der St. Anna Kirche zu Augsburg gefeiert.
Der Festgottesdienst zum 50-jährigen Jubiläum der Kreisgruppe Augsburg wurde in stilvollem Rahmen in der St. Anna Kirche zu Augsburg gefeiert.

Diese und ähnliche Fragen hatte ich mir gestellt, als ich einen Parkplatz suchte und etwas verspätet die bis auf den letzten Platz besetzte St. Anna Kirche betrat. Ich blieb in der Tür stehen und ließ ergriffen diese vertraut-heimische Gottesdienst-Atmosphäre auf mich wirken. Der Festgottesdienst wurde von Pfarrer Werner Ungar und Pfarrer i.A Christian Agnethler gestaltet. Zur musikalischen Gestaltung trug der Siebenbürger Chor Augsburg unter Leitung von Elisabeth Schwarz bei und die Orgel spielte der Organist Klaus Türk. Es war ein Gottesdienst, nach dem ich mich schon lange gesehnt hatte: Die bekannten Lieder und vertrauten Gesichter, die Stille zwischendurch, die feierlichen Männer- und Frauenstimmen des Chores, der Klang der Orgel.
Eng war es auch beim anschließenden Stehempfang im Foyer des Augustanasaales, wo die Dokumentationsausstellung von Willi Roth Einblick in 50 Jahre Kreisgruppe Augsburg erlaubte. Als dann auch alle Plätze des Augustanasaales belegt waren, schien sich Erleichterung auf den Gesichtern des Kreisgruppenvorsitzenden und seiner Ehefrau abzuzeichnen, die mit so viel Andrang und Interesse doch nicht gerechnet hatten. Die Mitglieder der Theatergruppe und des Chores leisteten Schwerstarbeit und hatten alle Hände voll zu tun, jedem ein Stückchen Hanklich, Stritzel, Baumstriezel und ein Getränk anzubieten. Regine und Helmut Pelger sowie Maria Schenker hatten das Management für die Bewirtung der Gäste übernommen. Zwischenzeitlich hatte ich in der Menschenmasse meine Klassenfreundin gefunden und auch einen Platz, so dass die Feier nun beginnen konnte.

Niveauvolle Feierstunde

Die Eröffnung machte ein Bläserensemble der Blaskapelle Augsburg unter Leitung von Horst Wonner. Jürgen Scheiber, der Vorsitzende der Kreisgruppe Augsburg, begrüßte anschließend die geladenen Gäste, unter ihnen die 2. Bürgermeisterin der Stadt Augsburg, Margarethe Rohrhirsch-Schmid; Christian Knauer, MdL und Vorsitzender des BdV-Bayern; Willi Reiser, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg und Vorsitzender des BdV-Augsburg; Bernd Fabritius, Stellvertretender Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Landesgruppe Bayern der Landsmannschaft, und Horst Göbbel, Stellvertretender Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen, Vertreter anderer Landsmannschaften sowie Vorsitzende befreundeter und benachbarter Kreisgruppen aus Bad Tölz, Rosenheim, Kempten, Günzburg, Donau-Ries, Dachau, Kaufbeuren und München.
Die Leistungen als Volksgruppe mit der so charakteristischen Beständigkeit und dem Festhalten an bewährten Werten hob Bürgermeisterin Margarethe Rohrhirsch-Schmid hervor und betonte: „Die Siebenbürger Sachsen, die ihre Heimat verlassen hatten und zu uns kamen, gingen nicht erst zum Psychiater oder Therapeuten, sondern packten an, zielstrebig und wissend worauf es ankam“. Wie wenig ich von diesen typisch siebenbürgischen Werten, Eigenschaften und geschichtlichen Prägungen wusste, wurde mir bewusst, während Sarah Christian an der Violine und Liane Christian am Klavier die „Serenade“ in C-Dur von Joseph Haydn zu Gehör brachten.
Christian Knauer, oft und gern gesehener Gast bei der Kreisgruppe, bekundete seine Verbundenheit zu den Siebenbürgern und sicherte seine Unterstützung in allen Belangen zu. Eine wohl verdiente Portion „Balsam für die Seele“ bekam Jürgen Scheiber im Verlauf dieser Feier von Seiten des Landesvorsitzenden Bernd Fabritius. Dieser würdigte das „offenes Ohr“ für die Belange der Jugend sowie das Verständnis und den Einsatz als Vorsitzender, der als guter Kumpel, unverkrampft und mit Einfühlungsvermögen für die Belange der Gruppen sowie mit Spaß an der Sache die Geschicke der Kreisgruppe führt. Dafür wurde Scheiber mit dem Goldenen Ehrenwappen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen geehrt.
Anschließend würdigte Jürgen Scheiber in seiner Festrede über die Entstehungsgeschichte und Gründung der Kreisgruppe die „Pioniere der ersten Tage“ unter dem Vorsitzenden – damals noch des Ortsverbandes – der Jahre 1951-1955 Egon Baumann. Die Erfassung der Landsleute seinerzeit und die Werbung zum Beitritt in die Landsmannschaft bedeuteten Schwerstarbeit und legten den Grundstein für die heutige Arbeit. Als Anerkennung für die „Frauen und Männer der ersten Stunde“ und für 50 Jahre Mitgliedschaft erhielten die Betreffenden eine Ehrenurkunde der Kreisgruppe Augsburg, welche vom Künstler und Kulturreferenten der Kreisgruppe, Horst Mayer, und Gottfried Schwarz entworfen wurde.
In chronologischer Folge skizzierte Scheiber die weitere Entwicklung unter den Kreisgruppenvorsitzenden Dr. Hans Lurz 1955-1957, Rolf Reiser 1957-1961, Albert Junk 1961-1963, Walter Kessler 1963-1967, Johann Gunesch 1967-1977, Uwe Maiterth 1977-1989 und Gottfried Schwarz 1989-1993, unter denen der Schwerpunkt der Tätigkeit sich allmählich von der Hilfestellung bei der Integration der Neuankömmlinge hin zum Herausholen der Siebenbürger Sachsen aus der Anonymität und zum „sich Bekennen und einer breiten Öffentlichkeit Vorstellen“ verlagerte. Dann umriss Scheiber die gegenwärtige Entwicklung der Kreisgruppe Augsburg, die mit 1 300 Mitgliedern die drittgrößte in Bayern ist und dank der zahlreichen aktiven Gruppen auch zu den erfolgreichsten gehört. Vorrangiges Ziel sei heute, der Öffentlichkeit einen Einblick in die siebenbürgisch-sächsische Geschichte und Kultur zu bieten und das Verständnis für die Problematik unserer Landsleute zu wecken.

Kulturgruppen: Anziehung und Ausstrahlung

Zu den heute aktiven Gruppen der Kreisgruppe, deren „älteste“ die 1978 von Hannelore Maiterth gegründete Tanzgruppe ist, zählt die „Jugendtanzgruppe“ unter der Leitung von Helmut Schwarz, die nicht nur in der Kreisgruppenarbeit erfolgreich eingebunden ist, sondern bundesweit an siebenbürgischen und europäischen Volkstanzwettbewerben teilnimmt. Der von Helga Schwägele 1997 gegründete Jugendchor wirkt musikalisch bei verschiedenen Veranstaltungen der Kreisgruppe, aber auch von Vereinen und Kirchengemeinden mit, wobei neben dem siebenbürgischen Liedgut auch das Volks- und Kunstlied ebenso wie "Pop"-Musik gepflegt werden.
Die Gründung des Siebenbürger Chors Augsburg im Jahr 1981 unter der Leitung von Siegfried Krempels war eine Initiative von Hannelore und Uwe Maiterth. Viele öffentliche Auftritte, Kulturabende, Reisen, Trachtenaufmärsche standen jährlich auf dem Programm. Heute, unter der Leitung von Michael Kutscher, ist der 45 Mitglieder zählende Chor bei zahlreichen Auftritten in und um Augsburg dabei, wobei die Pflege des siebenbürgisch-sächsischen und deutschen Liedgutes im Vordergrund steht.
Der Seniorenkreis Augsburg wurde 1982 von Pfarrer i.R. Friedrich Maiterth gegründet. Damals hatten es sich Pfarrer Maiterth, Johann Gunesch, Frau Welther, Frau Ludwig und Herr Jung zur Aufgabe gemacht, die im Stadtgebiet verstreut und isoliert lebenden älteren Siebenbürger zusammenzuführen, ihnen Gemeinschaft und ein Stück „heimische Geborgenheit“ zu vermitteln. Die nach siebenbürgischer Tradition von Pfarrer Friedrich Maiterth gehaltenen Gottesdienste prägten im Wesentlichen den heute auf 140 Mitglieder angewachsenen Kreis, der aktiv auch an Vorträgen und Ausfahrten teilnimmt.
Aus der Kinder-Kulturgruppe Augsburg, ebenfalls von Helga Schwägele 1983 gegründet, ist eine kulturell interessierte Jugendgruppe geworden, die neben Basteln, Singen, kurzen Tanz- oder Theaterstücken besonders das siebenbürgische Kulturgut pflegt. Eine besondere Anerkennung erhielt die Gruppe mit dem Sieg bei den musisch-kulturellen Landesspielen der DJO (Deutsche Jugend in Europa) 1988 in Nördlingen.
Die siebenbürgische Theatergruppe, 1989 unter Leitung von Maria Schenker gegründet, besteht aus 36 Mitglieder und erfreut sich großer Beliebtheit. Nicht nur im Rahmen der Kreisgruppe, sondern als gern gesehene Gäste bei anderen Kreisgruppen gelingt es den Laienschauspielern immer wieder in Stücken wie „Äm zwien Kretzer“, „Der Pretzen Getz“, „Der Herr Lihrer kit“ oder in dem am häufigsten aufgeführten Stück, „De Breokt von Urbrijen“, auch das sächsische Brauchtum, die Tracht, die Mundart und das sächsiche Liedgut lebendig werden zu lassen.
Die 1991 von Johann Rheindt und Horst Wonner gegründete Siebenbürger Blaskapelle Augsburg, heute unter Leitung von Horst Wonner, ist aus dem Leben der Kreisgruppe nicht mehr wegzudenken. Bei Veranstaltungen, Bällen, Trachtenaufmärschen, Heimattagen, Kronenfesten oder Jubiläen geben sie den Ton an. Höhepunkte waren unter anderem die 200-Jahr-Feier in Heviz/Ungarn, die Teilnahme am Oktoberfestumzug und das Jubiläum der Blaskapelle Munderfing/Österreich. Anlass zu einem Rückblick, der in einer Festschrift auch dokumentiert wurde, hatte die Blaskapelle am 7. Juli dieses Jahres, mit der Feier zum 10-jährigen Jubiläum in der Stadthalle Gersthofen.
Die von der elfjährigen Sarah an der Violine und von Mutter Liane am Klavier mit Hingabe und Begeisterung dargebotenen „Zigeunerweisen“ leiteten über zur Festrede von Horst Göbbel. An die Ereignisse vom 11. September anknüpfend und von Helmut Schmidts Sentenz „Wer miteinander spricht, schießt nicht aufeinander“ ausgehend, stellte er die These auf: „Wer in einem Verein, einer Kirchengemeinde einer sinnvollen, lebenserfüllten Tätigkeit nachgeht, wer Musik, Tanz, Gesang, Sport betreibt, unterstützt, fördert, wird kein Terrorist.“ Zusammenhalt, Gemeinschaft und Partnerschaft würden unserem Leben den notwendigen Rückhalt geben, uns weitherzig machen und der Gefahr der egozentrischen Ichbezogenheit entreißen. Nicht Ichbezogenheit, aber Identität und die damit verbundenen Werte bieten Sicherheit und Orientierung, gerade in Umbruchzeiten wie den heutigen. Dass eine siebenbürgisch-sächsische Identität und Gemeinschaft seit 50 Jahren in Deutschland bewahrt werden konnte, ist auch der helfenden, mitbegleitenden, fördernden, entscheidenden Kraft zu verdanken, der Landsmannschaft, die politisch und kulturell über Deutschland hinaus erfolgreich wirkte. Dass das möglich war und ist, verdanke man dem Engagement der vielen ehrenamtlichen Helfer – in der Kreisgruppe Augsburg von A wie Auner bis Z wie Zeides –, auf die gezählt werden kann, die bei vielen Anlässen da sind, einfach ihre Dienste, ihre Mithilfe der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. „Warum? Nicht nur weil wir uns gerne erinnern, bekennen, Tradition pflegen, Gemeinschaft und Zusammenhalt benötigen, sondern auch weil wir als Siebenbürger Sachsen in diesem Land Fuß fassen wollen, unsere Interessen durchsetzen, uns integrieren wollen, wobei Integration keinesfalls heißt, sich bis zur Selbstaufgabe anzugleichen, sondern siebenbürgisch-sächsische Identität bewahren und in die Vielfalt der deutschen Gesellschaft aktiv einbringen“.
Die Antwort auf meine eingangs gestellten Fragen fand ich nach der Feier, als ich bei einem Glas Wein mit meiner Freundin an unsere Schulzeit zurückdachte und mir das Wort von Franka Magnani bewusst wurde: „Erinnern bedeutet doppelt leben“!

Anne Kremer


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 20. Dezember 2001, Seite 19)

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