23. Dezember 2001

Siebenbürgischer Weihnachtsbrauch: Lichtert

Der "Lichtert" (Leuchter) und das "Lichtertsingen" haben sich als Brauch und Sinnzeichen, die eindeutig auf das Weihnachtsfest ausgerichtet sind, in Siebenbürgen entwickelt, wobei die dabei wirksam werdenden Kultureinflüsse nicht eindeutig sind. Fest steht aber: aus ihrer Urheimat haben die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen diesen Brauch nicht mitgenommen.
Bekannt war er im Nösner Gebiet, Reener Ländchen, Unterwald, Keisder Kapitel, im Tal der Großen und Kleinen Kokel, in den Dreizehndörfern, im Harbachtat und in der Hermannstädter Gegend – im Burzenland nur bis in die 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Der siebenbürgische Leuchterbrauch geht auf die Zeit vor der Reformation zurück, ist er doch im 14. Jahrhundert nachweisbar (im Brooser Stuhl 1334 erwähnt). Dafür sprechen auch die lateinischen Texte der Leuchterlieder. Weder die katholische Kirche noch später die evangelische Kirche setzten Regeln für Leuchter und Brauch. Das dürfte trotz der relativen Einheitlichkeit, zu der es durch gegenseitige Beeinflussung der Gemeinden gekommen ist, auch die Vielfalt der Gestaltungen der Leuchter erklären. Dass es bei aller Vielfalt dennoch eine Urform gegeben haben mag, lässt der Petersdorfer (bei Mühlbach) Leuchter annehmen. Die dort verwendeten vier Gestelle sind im Grunde genommen schlichte Nachbildungen der im Haus und Hof gebrauchten Kerzenhalter, bloß lehnen sie sich an das zentrale christliche Zeichen des Kreuzes an.
Zwei Reußmarkter Christleuchter beim Lichtertsingen am ersten Weihnachtstag in der Dankeskirche zu München (siehe Veranstaltungstipp am Ende des Artikels). Foto: Oswald Kessler
Zwei Reußmarkter Christleuchter beim Lichtertsingen am ersten Weihnachtstag in der Dankeskirche zu München (siehe Veranstaltungstipp am Ende des Artikels). Foto: Oswald Kessler

Viele Leuchter bewahrten eine flächenhaft-sternförmige Gestalt. Sie verblieben entweder in der Kirche an einem bestimmten Platz bis zum Tag der Heiligen Drei Könige oder wurden von Trägern in die Kirche und nach dem Gottesdienst wieder hinausgetragen. Einen festen Platz in der Kirche hatten sie z.B. in Petersdorf bei Mühlbach, Halvelagen, Großpold, Trappold, Botsch, Reußmarkt und Alzen. Durch die Verstärkungen des Leuchters im Mittelstück wurde er recht schwer, erhielt einen Fuß und wurde an einer Stange aufgehängt wie in Neppendorf und Seiburg, wo die angebrachten Kränze einen Reifenbaum bildeten. Gewöhnlich schloss der oberste Kranz bzw. Reifen den Leuchter nicht ab, sondern wurde durch zwei Halbkränze, die armig auf ihm ruhten, mit der Spitze des Stabes verbunden, so dass er eine Krone bildete. So in Deutschweißkirch, Irmesch, Seiburg und Zendersch. In Katzendorf gab man sich mit der Krone nicht zufrieden: Drei Stäbe mit aufgesetzten Wintergrün-Sträußen, Buntpapierketten und Fähnchen ragen aus der Spitze heraus. In Pruden hatten die zwei Leuchter eine runde Kronenform, ca. 1,80 m hoch, mit einem Siebengestirn als Aufsatz. Das vom Symbolgehalt dem Abendstern gleichgestellte Siebengestirn – es kündet die Ankunft des Abends an, aber auch Gottes selbst, durch das von ihm gesandte Himmelslicht, Jesus Christus – schmückte gewöhnlich auch in anderen Gemeinden die Leuchter, z.B. in Großpold, Alzen, Eibesdorf, Maldorf, Rode, Großau und Neppendorf.

Zwei Neppendorfer Christleuchter vor dem Altar in der Neppendorfer Kirche (fotografiert in den 80er Jahren). Foto: Fr. Hassfurther
Zwei Neppendorfer Christleuchter vor dem Altar in der Neppendorfer Kirche (fotografiert in den 80er Jahren). Foto: Fr. Hassfurther


Das Wintergrün, die am häufigsten gebrauchte Beigabe zur Gestaltung des Leuchters – in einigen Dörfern durch Tannenzweige, Moos und grüne Papierstreifen ersetzt –, wurde am Elisabeth-Tag geholt. Das war für gewöhnlich Aufgabe der Schüler, wobei in Pruden auch die Konfirmanden daran beteiligt waren. An der Spitze des Zuges ging die Blasmusik, gefolgt von Schülern und schließlich Jugendlichen. Blasmusik und Schülergesang wechselten sich auf dem Weg zum Wald ab. Im Wald angekommen, machten sich Schüler und Jugend emsig an die Arbeit. Die Bläser gingen weiter zu der Berghöhe, wo sie die Wintergrünsammler mit angefachtem Feuer erwartete. Da zwei Leuchter von den Konfirmanden, Mädchen und Jungen getrennt zu binden waren, sammelte man das Wintergrün in zwei Quetschen „Quaatschen“, dicke starke Stöcke mit einer Längsspalte in Kreuzform von oben bis nahe an den Griff. Die Quetschen mit dem eingequetschten Wintergrün sahen wie Wachholdersträuche aus und wurden noch mit bunten Bändern geschmückt. Nach fröhlichem Herumtollen auf der Waldhöhe und einer Stärkung mit am Spieß gebratenem Speck ging es mit den Wintergrünbäumen voran in der Abenddämmerung zurück, von den Dorfbewohnern, die die Straßen säumten, erwartet. Für mich ist und bleibt das Wintergrünholen eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. In Maldorf verlief das Wintergrünholen ähnlich, nur dass jedes Kind ein Sträußchen Wintergrün auf einem Stab, mit rotem Papierstreifen gebunden, für die acht Leuchter vom Sammelplatz nach Hause brachte. In Arkeden, Katzendorf und Meeburg ritten die Schüler auf Pferden in den Wald, um Wintergrün zu holen.
Der Leuchterschmuck war von Gemeinde zu Gemeinde ganz verschieden. Außer dem Grünen gab es auch Lametta, Engelhaar, bunte Kugeln und Papierblumen, getrocknete Naturblumen, Kerzen und Wunderkerzen. In Maldorf und Pruden verwendete man das weiße Mark aus Binsen (Bess) und gelbe Pappelchen (sächsisch Judenkirschen genannt), aus denen schöne Blümchen gebunden wurden.
Der Leuchter bekam mit dem Christbaum, der im Elsass um 1600 aufkam, einen Konkurrenten. Erstmals 1830 in Hermannstadt und Kronstadt von einem zugewanderten Dänen eingeführt, fand er in die gottesdienstliche Christfeier vor allem auf den Dörfern nur zögernd Eingang – in Maldorf wurde der Weihnachtsbaum erst 1942 von Pfarrer Karl Ungar eingeführt. Durch das Zusammentreffen von Christbaum und Leuchter kam es zu wechselseitiger Beeinflussung und Bereicherung des weihnachtlichen Brauchs in Siebenbürgen.
Spätestens am Christsonnabend mussten alle Vorbereitungen für die gottesdienstliche Feier, auf die alles abzielte, abgeschlossen sein. Man nannte diese Feier Maaten, war sie doch wie die Mette ein Gottesdienst in der Nacht bzw. am Vorabend eines hohen Festes. Teil der Feier war das Leuchtersingen, ein Wechselgesang, an dem sich Kindergruppen oder Konfirmanden beteiligten, in einigen Ortschaften auch die ganze Kirchengemeinde. Die Liedtexte waren anfangs lateinisch und erst nach der Reformation auch deutsch.
Die „Maaten“ galt als „Frühkirche“ und wurde meist am 25. Dezember zwischen drei und sechs Uhr morgens abgehalten, während die Christbaumfeier als Abendkirche am „Heiligen Abend“ stattfand. In einigen Gemeinden wurden die Leuchter- und Christbaumfeier zur Abendkirche und in anderen zur Frühkirche zusammengelegt. Es gab auch Gemeinden, in denen das Leuchtersingen außerhalb der Kirche stattfand. In Braller bildeten die „Adjuvanten“ (Blasmusiker) nach dem Abendgottesdienst ein Spalier vor der Kirche und verabschiedeten die Gemeinde mit „Oh du fröhliche“. Anschließend begaben sich die Alten zum Friedhof und zündeten auf den Gräbern ihrer Lieben Kerzen an. Währenddessen erklang vom Turm das „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ der Bläser, und der Kinderchor sang „Ein Kind geborn zu Bethlehem“, also das „Puer natus“. In Pruden flankierten zwei erleuchtete Leuchter den im Chor aufgestellten Christbaum in der Abendkirche, aber das Leuchtersingen fand draußen um Mitternacht statt. Auf dem Turm sangen die Konfirmanden abwechselnd mit den Bläsern das „Puer natus“, und unten stand die ganze Gemeinde mit brennenden Kerzen und Wunderkerzen in stiller und feierlichen Stimmung.
In Deutschland leben der Lichtert und die damit verbundenen Bräuche weiter. Die HOG Scharosch (bei Elisabethstadt) singt das „Puer natus“, die Kreisgruppe Pforzheimer stellt ähnlich wie weitere Kreisgruppen oder Chöre den Lichtert in den Mittelpunkt ihrer Weihnachtsfeier, so dass sie einen besinnlicheren und heimatlichen Rahmen erhält. Aber auch wenn wir uns bei den Weihnachtsfeiern an den Lichtert nur erinnern, ist schon viel erreicht, vor allem wenn wir uns dabei bewusst macht, dass Verlorenes nicht unwiederbringlich dahin sein muss.
Nun kann man fragen: „Was bringt uns der Christleuchterbrauch heute noch?“ Und man kann zurückfragen: „Warum soll ein Brauch, an dem wir unsere Freude hatten, uns nicht weiterhin Freude bereiten, uns und unseren Nachkommen?“ Hoffen wir, dass der Lichtert auch dieses Jahr viele Weihnachtsfeiern ins rechte Licht rückt, und das Lichtertsingen zum Lobe des Herrn erklingt.

Helmut Höhr



Veranstaltungstipp:
Alter sächsischer Weihnachtsbrauch in München: Lichtertsingen der Reußmarkter Nachbarschaft, ab 7.00 Uhr Morgengottesdienst mit Lichtertsingen in der evangelischen Dankeskirche, Keferloher Straße 70, in München.
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Weihnachtsball in München: Zum traditionellen Weihnachstball der Kreisgruppe München lädt die Original Siebenbürger Blaskapelle unter der Leitung von Werner Schullerus wie üblich für den zweiten Weihnachtstag, den 26. Dezember, in den Pschorr-Keller auf der Theresienhöhe in München ein. Einlass ist ab 13.00 Uhr, Beginn 15.00 Uhr.

Weihnachtsfeier in Augsburg
In der St. Johanneskirche zu Augsburg findet die Weihnachtsfeier der Kreisgruppe am Sonntag, dem 23. Dezember, statt. Beginn: 16.00 Uhr mit Turmblasen, ab 16.30 Uhr ist Gottesdienst. Am gleichen Ort wird vom 16. - 23. Dezember die Ausstellung "50 Jahre Kreisgruppe Augsburg" in der St. Johanneskirche gezeigt.

Weitere weihnachtliche Veranstaltungstipps finden sie in unserer Veranstaltungsdatenbank: "Aktuelle Termine"

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