19. Januar 2002

Weshalb kehren Sachsen nach Siebenbürgen zurück?

Sie machte sich im letzten Herbst auf die Suche nach Rücksiedlern in Siebenbürgen, und ihre erste Station war das Sachsentreffen in Birthälm: Friederike Schönherr, 1976 in Berlin-Ost geboren und derzeit Studentin der Kulturwissenschaften in Frankfurt/Oder. "Ein Fach und eine Stadt", wie sie gesteht, "wo man Wert auf eine ost- und südosteuropäische Blickrichtung legt, schon wegen der Grenze zu Polen." Wie sie auf das Thema Rücksiedler nach Siebenbürgen gestoßen ist, darüber unterhielt sich unser Hermannstädter Mitarbeiter Martin Ohnweiler mit der jungen Studentin, die während ihrer mehrwöchigen Dokumentation ihr "Basislager" in der Stadt am Zibin (Hermannstadt) und jener unter der Zinne (Kronstadt) bezog.
Friederike, wie und warum sind Sie eigentlich auf Rumänien gestoßen?

Rumänien hat mich schon seit meinem ersten Studiensemester fasziniert wegen seiner unglaublichen Fülle an Minderheiten und dem mehr oder minder friedvollen Umgang miteinander. Daher war es natürlich interessant vor Ort zu sehen, wie auch der Staat damit umgeht, wobei Siebenbürgen überdies ein ganz besonders schillerndes Beispiel ob seiner Geschichte ist. Bei der immer wiederkehrenden Beschäftigung mit Rumänien wurde mir die deutsche Minderheit naturgemäß immer wichtiger, zumal sie eine der letzten und ältesten deutschen Minderheiten europaweit ist. Und nicht zuletzt: Ihre Lebensart, Traditionen, Ansichten, vor allem aber ihr "Überleben" sehr weit weg von Deutschland beeindruckten mich - fernab jeglicher nationalistischer Anwandlungen!

Naturgemäß hätten aber auch andere deutsche Gemeinschaften in Rumänien Ihr Interesse wecken können. Warum waren es die Rücksiedler unter den Siebenbürger Sachsen?

Die Siebenbürger Sachsen sind und waren nun einmal vermutlich die größte deutsche Minderheit im Land. Etwa 1998 hatte ich zudem einen Artikel in der ZEIT über Rückkehrer gelesen, die ein zweites Mal einen Neubeginn in Rumänien wagen. Als es mit meinem Studium zu Ende ging und ich mir Gedanken über mögliche Themen machte, wurde mir auch in Anlehnung an jenen Artikel klar, dass mein Interesse für Rumänien und Siebenbürgen unbedingt in einer Diplomarbeit zum Ausdruck kommen sollte. Daraufhin suchte ich im Internet nach möglichen Ansprechpartnern und fand dort den Hermannstädter Rücksiedler-Verein "Arche Noah", setzte mich mit ihm u.a. Ortskundigen in Verbindung und ging danach an die Vorarbeit. Mein Professor war zwar sehr erstaunt von dem vorgeschlagenen Thema: "Gibt's denn so was?", fragte er mich, stimmte aber schließlich zu.

Nur: Was vermuteten Sie, dabei in Siebenbürgen vorzufinden?

Mir war klar, dass es nicht ausschließlich wirtschaftliche Gründe sein können, die einen zur Rückkehr nach Rumänien animieren, in ein Land, das - wenn auch ungerechtfertigt - in Europa leider wenig Ansehen genießt und eher mit Horrormeldungen zu Kinderheimen, Armut und absoluter Perspektivlosigkeit in die Schlagzeilen gerät. Mir geht es in meiner Arbeit vielmehr um die individuellen Lebensläufe derjenigen, die nach Siebenbürgen zurückkehren, und darum, wie und warum sie diesen Entschluss fassten .Von daher war ich auch sehr offen für jegliche Art von Antwort und mögliche Schlussfolgerungen.

Daraus ergeben sich dann aber auch nur individuelle Aussagen.

Ziel meiner Arbeit ist ja zunächst auch nur eine Beschreibung der Wege, die zu einer Rückkehr führen. Darüber hinaus verfolge ich auch die Integration der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, die Aussiedlerproblematik insgesamt in der Bundesrepublik, gekoppelt u.a. mit dem Fragenkreis rund um das "Deutsch-Sein", Kulturverständnis oder die Heimat. Ich werde nämlich die Interviews, die ich in Siebenbürgen vornahm, kontrastieren mit ähnlichen Gesprächen, die ich zurzeit in Deutschland mit solchen Sachsen führe, die eben nicht daran denken, zurückzukehren.

Es gibt sie also doch - die Rücksiedler in Siebenbürgen. Wie würden sie diese Gruppe definieren?

Es gibt diese Rücksiedler, und es gibt auch Literatur zur so genannten "return migration", die sich allerdings nie auf solche Leute bezieht, wie es in diesem Fall die Siebenbürger Sachsen sind. Auch darum nicht: Ihre Landsleute sehen sowohl in Deutschland ihre Heimat und ihre Wurzeln, andererseits aber sind viele noch eng mit Siebenbürgen verwachsen und betrachten das gleichfalls als ihre Heimat. Von daher denke ich vorerst auch nicht an eine neue Definition, kann aber vielleicht mit meiner Arbeit einen Denkanstoß zur Klärung der Frage liefern, was Menschen zu einer Rücksiedlung veranlasst.

Was hat Ihre Gesprächspartner konkret zu einer Rückkehr nach Siebenbürgen veranlasst?

Ich würde sagen, dass die Mehrzahl dieser Leute sich in Deutschland nicht wohl fühlte, nicht wirklich in Deutschland ankam und deshalb die Chance wahrnahm, nun, mit ihrem "bundesdeutschen" Hintergrund, sich eine neue Existenz in Rumänien aufzubauen, wofür sie ja, als Kenner beider Kulturen, bestens geeignet sind. In den Interviews war immer wieder zu hören: Deutschland sei kalt, man habe ihre Arbeit nicht wirklich geschätzt. Ich denke, diese Leute haben eingesehen, dass man sich in Deutschland nicht automatisch heimisch fühlen kann, nur weil die Vorfahren vor 800 Jahren von dort kamen. Andere, die gleichfalls ausgesiedelt sind, mögen das anders sehen, mitunter diese Gefühle einfach unterdrücken oder negieren und sich damit vielleicht sogar "überanpassen". Nicht umsonst gab es mit den "rumäniendeutschen Aussiedlern", nach außen hin, die wenigsten Probleme bei der Integration. Allerdings sei hinzugefügt, dass die von mir Interviewten zumeist jüngere Leute waren, die sich in Rumänien selbständig gemacht haben. Sie erklärten, dass man es in Rumänien einfach schneller schaffen könne als in Deutschland und demnach "auch jemand wäre". Die von mir so genannten "Sommersachsen" waren zu der Zeit meines Aufenthalts in Siebenbürgen größtenteils schon wieder in Deutschland. Zu diesen kann ich eigentlich kaum etwas sagen, aber deren Beweggründe scheinen ja klar zu sein. Ein Interviewpartner beispielsweise formulierte das so: "Die Sommer sind in Rumänien einfach viel schöner, im Winter jedoch sind die Heizungskosten dort zu hoch." Im Grunde genommen werden sie also vom Heimweh dorthin getrieben. Bei ein paar "Intellektuellen", mit denen ich mich unterhielt, kam sodann mehrheitlich auch zur Sprache, dass sie die Kultur ihrer Vorfahren nicht unversehens untergehen lassen und in Siebenbürgen zudem auch noch etwas bewegen wollen. Die meisten dieser Leute sind offenbar nicht ganz freiwillig ausgewandert. Auffällig ist, dass viele Rücksiedler auch vor ihrer Rückkehr intensive Kontakte zu Rumänien pflegten, wohingegen viele der in Deutschland bleibenden Aussiedler nur noch wenig oder gar keine Bindung mehr zu ihrer angestammten Heimat suchen.

Wie viele haben sie aber mittlerweile dennoch gesucht?

Ich schätze mal, dass es in Siebenbürgen, nach Berichten von Leuten, etwa an die 200 Rücksiedler gibt, ohne die Sommersachsen. Aber leider konnte mir dazu bis jetzt keiner eine genaue Auskunft geben.

Wird es sie auch weiterhin geben, die Rücksiedler?

Ich denke, es wird immer wieder welche geben, die zurückgehen. Wenn sich die Entwicklung in Siebenbürgen/Rumänien positiv gestaltet, und so auch positive Impulse wie Berichte ins Ausland gelangen, kann ich mir durchaus vorstellen, dass es auf jeden Fall manchen Zweifler im Ausland darin bestärkt, es doch noch einmal in Rumänien zu versuchen. Es handelt sich meines Erachtens immer um eine begrenzte Zahl von Leuten, eben um jene, die meist noch als Kinder Rumänien erlebt oder als junge Erwachsene bis etwa Mitte 30 dort gelebt haben. Je älter jedoch diese Kategorie nun in Deutschland wird, desto geringer wird wahrscheinlich auch ihre Antriebskraft zurückzukehren. Und derzeit wird diese Motivation ohnehin nicht gefördert, da ja in Rumänien teilweise noch Umstände vorherrschen, die man allgemein als "investitorenunfreundlich" oder, wie man das bei uns sagt, als "ausländerfeindlich" bezeichnen kann. Schon als einfacher Rumänientourist wird man übrigens in Deutschland ungläubig angestarrt, wenn man erzählt, dass einem dort nichts geklaut wurde und es ansonsten auch wunderschön ,überhaupt nicht bedrohlich sei.

Haben Sie Siebenbürgen so erlebt?

Die Realität in Siebenbürgen sah bei weitem nicht so schlimm aus, wie ich mir das vorgestellt hatte, ich sah jedoch auch das, was mir Erzählungen der Leute vorenthalten hatten: zahllose soziale Schwierigkeiten, die zunehmende Verarmung und eine gewisse daraus resultierende Hoffnungslosigkeit. Andererseits aber war es beeindruckend zu sehen, wie viele "deutsche" Spuren es dort noch gibt. Und der totale Verfall der einst sächsischen Städte scheint, zumindest langsam nun doch gestoppt zu werden. Das Land ist wunderschön, allein für den/die typischen Deutschen müsste natürlich noch einiges mehr passieren. Aber man ist eben nicht in Deutschland, und das ist auch gut so. Bloß braucht das Land einfach ein paar vernünftige und weniger nationalistisch denkende Politiker, die die wirtschaftliche wie soziale Situation in den Griff bekommen und hoffentlich verstehen, welche große Chance gerade in einem Landstrich wie Siebenbürgen mit seinen vielen Minderheiten liegt. Das ist ja, wie gesagt, das Faszinierende an Rumänien, und ich glaube, dass dieses uralte, international angehauchte Mitteleuropa wirklich eine Chance für Rumänien bietet auf seinem Weg in die EU. Dieser sollte, meiner Meinung nach, allerdings nicht zu jäh dorthin führen, denn das würde sehr wahrscheinlich den totalen Ruin dieses Landes dann unter all den EU-Normen bedeuten.

Friederike, wir danken für das Gespräch.

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