27. Januar 2002

Schätze der Siebenbürgischen Bibliothek: Berichte des Frauenvereins

In der Siebenbürgischen Bibliothek Gundelsheim liegen als besondere Kostbarkeiten die an das Landeskonsistorium gerichteten Tätigkeitsberichte des "Allgemeinen evangelischen Frauenvereins", des Dachverbands der örtlichen Vereine, vor. Sie lassen uns teilhaben am Werden und fruchtbaren Wirken dieser sächsischen Einrichtung.
Die Gesellschaft der Siebenbürger Sachsen gilt seit jeher als eine Bürgergesellschaft. Besondere Rechte seit der Einwanderungszeit, etwa das Recht auf Selbstverwaltung, förderten diese organisierte Form des Zusammenlebens. Demokratische Strukturen in der Kirchen- und politischen Gemeinde und darüber hinaus in der „Nationsuniversität“ waren selbstverständlich. Bis in unsere Tage kam den Nachbarschaften bei der Organisierung des sozialen Lebens eine besondere Bedeutung zu. Gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in Stadt und Land neue Vereine wie der Siebenbürgische Karpatenverein, die zahlreichen Gesangsvereine oder auch Allgemeine evangelische Frauenverein.
Diese Entwicklung ging einher mit der Ausbreitung des Vereinswesens in deutschsprachigen Ländern. Die Deutschen gelten ja auch als Weltmeister im Vereinswesen. Wo zwei Deutsche sich begegnen, so spottet man, gründen sie drei Vereine. Je mehr Vereine es in einem Land gibt, desto ausgeprägter gilt die Zivilgesellschaft. Auch in Deutschland hat die Tradition des Vereinslebens unter den Sachsen eine Fortsetzung gefunden. Mitgliedschaften in rund einem Dutzend Vereine sind keine Seltenheit. Die Schwerpunkte und Akzente sind dabei unterschiedlich gesetzt: politische Vertretung, Orte der Geselligkeit, der Wissenschaft, Unterstützung von sozialen Maßnahmen in der alten Heimat oder der Bewahrung des kulturellen Erbes, um nur einige zu nennen. Die meisten dieser Vereine sind vernetzt und arbeiten miteinander zusammen.
In der Siebenbürgischen Bibliothek Gundelsheim liegen beispielsweise als besondere Kostbarkeiten die an das Landeskonsistorium gerichteten Tätigkeitsberichte des Allgemeinen evangelischen Frauenvereins, des Dachverbands der örtlichen Vereine, vor und lassen uns teil haben am Werden und fruchtbaren Wirken dieser sächsischen Einrichtung. Hatten in den politischen und kirchlichen Körperschaften, in Vereinen und Gesellschaften in Siebenbürgen - wie überall in Europa sonst auch - stets die Männer dominiert, so organisierte sich nach und nach auch das weibliche Geschlecht in den Frauenvereinen. Die Initiatorinnen waren bestrebt, alle Frauen einer Ortschaft mit einzubeziehen, unabhängig von ihrer sozialen Zugehörigkeit. Die Gründung der Frauenvereine war christlich motiviert.
Die Frauenvereine nahmen vorwiegend Aufgaben im kirchlichen und schulischen Bereich, bei der Verschönerung des Friedhofes, der Armen- und Krankenpflege sowie der Gestaltung von Feiern und Pflege gemeinschaftsstiftender Geselligkeit, wahr. So kümmerten sich die Frauen um die Kanzel- und Altarbehänge, ließen die Orgel stimmen, finanzierten die Anschaffung von Blasinstrumenten, legten Blumenbeete im Kirchhof an u.Ä. Sie ermöglichten einzelnen Frauen eine Ausbildung zur Krankenpflegerin für die häusliche Pflege oder zur Kinderbewahrerin, der Vorläuferin der Kindergärtnerinnen. Auf Anregung der Frauenvereine wurden ab etwa 1885 Kindergärten für Stadt- und Landkinder eingerichtet. So sollte zumindest während des Sommers, der arbeitsintensivsten Jahreszeit, eine Rundumbetreuung der Kinder und eine Entlastung der Mütter gewährleistet sein. Der Kindergartenbesuch war noch nicht verpflichtend.
Die Krankenanstalten der Städte, die natürlich auch für die ländlichen Bewohner zugänglich waren, wurden ebenfalls von den Frauenvereinen unterstützt. Die Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft hatten mehrheitlich evangelische und somit deutsche Patienten, standen aber auch Andersgläubigen, etwa Juden und orthodoxen Rumänen zur Verfügung. Lediglich zwei Drittel der Patienten des Hermannstädter Spitals waren Sachsen. In den Genuss moderner Medizin und Behandlungsmethoden konnte jedermann - ohne Ansehen der Person oder ethnischer Zugehörigkeit - kommen. Dieses Beispiel zeigt nachdrücklich, dass es wohl doch nicht eine totale Abkapselung der sächsischen Gemeinschaft, wie manchmal behautet, sondern eine Öffnung der Sachsen für die anderen Landesbewohner und eine Partizipation derselben an den sozialen und kulturellen Errungenschaften der Sachsen gegeben hat.
Das Engagement der Frauenvereine gehörte auch dem schulischen Leben. Die Anschaffung von Schulbüchern oder die Aufbesserung der Lehrergehälter gehörten zu den selbstgesteckten Aufgaben. Auch betrieb der Verein eigene Handarbeits-, Näh- und Kochschulen, in Hermannstadt eine Armenküche. Ein Zehntel des Etats der Frauenvereine war der Armenpflege vorbehalten. Die Frauenvereine finanzierten ihre wohltätigen und gemeinnützigen Aufgaben durch eigene Mitgliedsbeiträge, erhielten aber auch Zuwendungen von sächsischen Unternehmern und Geldinstituten sowie weiterer kirchlicher und politischer Körperschaften. Social sponsoring ist also nicht eine amerikanische Erfindung unserer Tage, sondern wurde bei den Sachsen schon vor hundert Jahren ausgiebig gepflegt. Kaiser Franz Joseph I., der im Jahre 1891 für ein paar Tage in Bistritz weilte, war von der Arbeit des dortigen Frauenvereins so sehr beeindruckt, dass er großherzig in seine Schatulle griff und ihm ein Geschenk von 200 Gulden überreichte.
Die Frauenvereine waren zunächst nicht flächendeckend in allen Gemeinden vertreten. 1891 gab es erst 98 und 1907 schon 129 Gruppen. Erst um 1930 war es soweit, dass es in allen 258 sächsischen Ortschaften einen Frauenverein gab. Die segensreiche Tätigkeit der Frauenvereine wirkt bis heute nach. Viele landsmannschaftliche (sic!) Veranstaltungen kämen ohne die fleißige Mitarbeit der Frauen und Frauengruppen nicht zustande. In ihnen bewahrt sich in besonderer Weise der als typisch sächsisch empfundene Gemeinsinn.

Gustav Binder


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2002, Seite 9)

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