3. Februar 2002

Literatur als Ferment

Mit dem jüngst erschienenen Gedichtband „Oskar Pastior entdeckt Gellu Naum“ öffnet sich für deutsche Leser ein weiterer Zugang zu Naums poetischer Existenz. Gemeinhin wird der rumänische Autor Gellu Naum, der 86-jährig im Herbst letzten Jahres verschied, immer wieder in die Surrealismus-Schublade gequetscht, weil sein literarischer Aufbruch in den späten 30er und 40er Jahren in dessen Zeichen erfolgte.
Doch hat sein Vorbehalt gegen jederlei programmatisch einengende Ismen, seien sie nun künstlerischer oder politischer Natur gewesen, ihn zeit seines Lebens dazu bewogen, eigene Wege zu gehen.
„In mir trage ich die Traurigkeit jener Dichter, die ihr ganzes Leben nach Kräften versucht haben, keine Literatur zu machen, und schließlich beim Durchblättern ihrer gut hundert Seiten feststellen mussten, dass sie nichts anderes als Literatur gemacht haben“, lautet ein oft zitierter Stoßseufzer Gellu Naums, mit dem er gleichzeitig auch sein poetologisches Anliegen formulierte – ein Anliegen, in dem er sich, mutatis mutandis, mit seinem deutschen Übersetzer Oskar Pastior trifft: Es ist die völlige Zurücknahme des Autors, dessen Text sich sozusagen selber schreibt.
Und was sich da erst alles selber schreibt, in Schüben, Strömen, Sprüngen, Schleifen, Stimmen, Spuren, Scharten und Schnitten, ja sogar im Schweigen dazwischen, das sind „Denkbilder jenseits von vorgeschriebenen Gedanken“, wie Elisabeth Wehrmann im Zürcher „Tages-Anzeiger“ bemerkt hat. Da sind einerseits „ein paar Wörter in der hölzernen Trommel“ (S. 14), andererseits „die gewöhnlichsten und leicht zu übersehenden Dinge“ (S. 32), und unversehens taucht mittendrin zum Beispiel „die Mannsfrau mit den Schnabelschuhen und dem Eremitenhut“ (S. 33) auf oder „ein Geräusch auf der Schulter“, „das elektrische Grazioso der alten Männer“ (S. 41) oder „eine Reise von Gut nach Böse von Kalt nach Warm“ (S. 29) – nichts Spektakuläres, im Gegenteil, lauter „Marginalien“: „Wir hatten sie alle vergessen/ diese Lektionen am Rand/ auch die Liebe auch die Geburt auch den Tod“ (S. 81). Denn Gellu Naums Seins- und Schreibweise gehen ineinander auf, es gibt keine Trennung „von ästhetischer und schlicht humaner Äußerung“, „keine Trennung unterschiedlicher Segmente des Lebens, Denkens und Fühlens“, wie Ernest Wichner 1998 im Nachwort zu Naums Gedichtband „Rede auf dem Bahndamm an die Steine“ (ebenfalls in der Übersetzung von Oskar Pastior) feststellt: „Die Gedichte sind (...) zugleich Zeugnis seines Liebens, Traumprotokoll, historische Legende, Landschaftsbild, mystische Offenbarung, Erinnerung und Beschwörung ebenso wie politisches Pamphlet, Kampfschrift oder sozialkritische Groteske.“ Bei Gellu Naum begegnet uns Literatur also nicht um ihrer selbst willen, sondern als Ferment des Seins, etwa wenn er im Gedicht „Was mich betrifft“ notiert: „Was mich betrifft bin ich vielleicht/ der Same oder Seitenflügel einer Eiche/ und denke brummig nach in ihrem Saft/ wie ich da auf die Welt kam in der niemand weiß/ aus welcher unverständlichen Verzweigung/ ich ersonnen wurde in dem unterirdischen Gedankengang/ wo ja viele Feuer am Brennen sind“ (S. 86).
Oskar Pastior geriet erstmals 1968, kurz bevor er Rumänien verließ, in den Sog von Gellu Naums Gedichten. Damals war gerade der Band „Athanor“ erschienen – nach zwanzig Jahren des Nichtgedrucktwerdens, weil Naums Werke sich dem offiziell verordneten Kanon widersetzten –, aus dem Pastior gleich zu übersetzen begann. Dieser wie auch die folgenden Bände Gellu Naums gehörten für Pastior „zu den Büchern, in denen ich über die Jahre hinweg immer wieder mal ohne Grund und unmittelbaren Anlass ein wenig las, mit anderen Worten übersetzte, so dass es zu Beginn der neunziger Jahre, als auch schriftliche Botschaften von Gellu aus Comana mich zu erreichen begannen, einen ganzen Stoß von angesammelter Freiwilligkeit gab, die den Auswahlband ,Black Box‘ (erschienen 1993) eröffnen konnte“, wie Pastior über „Das Lesen und das Übersetzen Gellu Naums“ unter dem Titel „Ohne Punkt und Komma“ einleitend anmerkt. Und weil der Sog, der den Übersetzer erfasste, sich flugs auch des Lesers bemächtigt, der sich auf Gellu Naums „Denkbilder“ einlässt, stellt sich nicht von ungefähr auch das Bedürfnis ein, wie Pastior „eine geraume Weile“ in jedem Text zu „schwimmen“.

Edith Konradt


Oskar Pastior entdeckt Gellu Naum. Lyrik im Europa Verlag, herausgegeben von von Axel Marquardt. Hamburg/Wien, Europa Verlag 2001, 12,90 Euro, ISBN 3-203-84302-1.
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