3. Februar 2002

Reiche Musikkultur beleuchtet

Erstmals liegt mit dem hier zu besprechenden Sammelband eine musikwissenschaftliche Dokumentation südosteuropäischer Musikkultur vor. Das thematisch breit gefächerte Kompendium beinhaltet unter dem Motto "Positionen und Traditionen" Konferenzberichte namhafter Musikologen, die an einem Internationalen musikwissenschaftlichen Symposium vom 1.-3. April 1997 in Löwenstein teilnahmen.
Die von der "Gesellschaft der Deutschen Musikkultur im Südöstlichen Europa e.V." veranstaltete Tagung bot der Musikwissenschaft die Möglichkeit, über die verschiedensten Themen dieses "südosteuropäischen Winkels" zu berichten, da viele der deutschen, ungarischen, serbischen, jüdischen oder rumänischen Musiker und Komponisten aus Siebenbürgen, Ungarn oder dem Banat aus mehreren Gründen selten in die "große" Musikgeschichte eingegangen sind.
Gleich zu Beginn wird in einem ausführlichen Aufsatz von Karl Teutsch (Weissach): "Gesellschaft und Politik im Leben Rudolf Wagner-Régenys und die Rezeption seines Werkes", vor allem die Situation Wagner-Régenys in den zwei totalitären, diktatorischen Staatssystemen analysiert - dem nationalsozialistischen und dem kommunistischen Deutschland -, in denen er als ein in der Öffentlichkeit stehender Künstler gelebt und gewirkt. Der Verfasser nimmt Wagner-Régeny in Schutz vor einigen Unterstellungen und Fehlurteilen, die dem Musikhistoriker Fred Priberg in seinem Buch "Musik im NS-Staat" unterlaufen sind und widerlegt sie aufgrund praktischer, historischer Erfahrungen und belegbarer Erkenntnisse. Der Rezeption von Wagner-Régenys Werk haben auch verzerrende, herabsetzende und diffamierende journalistische Auslassungen anmaßender westdeutscher Meinungsmacher schon seit den 1950er Jahren geschadet. Teutsch hebt die tiefwurzelnde humanistische Gesinnung und geistige Autorität des Komponisten hervor, der nie deutsch-national gedacht und gehandelt hat, der eine Einstellung zeigte, die man heute als "multikulturell" bezeichnen würde, der jüdische und ausländische Freunde und Schüler hatte, und dessen Frau - "Lehrmeisterin in allen Stücken des Lebens", wie er sie nannte, - eine Bukarester Jüdin war.
Ähnlich verfährt Helmut Loos (Chemnitz) in seinem Beitrag: "Rudolf Wagner-Régeny, ein DDR-Komponist aus Siebenbürgen", indem er sich für eine historisch-kritische Musikgeschichtsschreibung einsetzt, und es an der Zeit findet, auch am Beispiel Wagner-Régeny, der nur noch auf alten DDR-Schallplatten existiert, ein historisch revidiertes Verständnis, eine gerechtere Würdigung seiner Leistung anzustreben, auch als wesentlichen Schritt zu deutscher Einheit.
Neue Erkenntnisse über den legendären Kronstädter Lautenisten und Komponisten des 16. Jahrhunderts, Valentin Greff Bakfark, liefert der Beitrag von Peter Kiraly (Kaiserslautern): Valentin Bakfark - Eine glänzende Gestalt der mitteleuropäisch-siebenbürgischen Musikgeschichte". Interessant sodann der Beitrag von Ferenc Laszlo (Klausenburg): Bartoks Beziehungen zu den Völkern des Banats und Siebenbürgens". Die deutsche Volksmusik interessierte Bartok weder wissenschaftlich noch künstlerisch. Er erforschte nur die tiefen Schichten der Volksoralität der Magyaren, Slowaken, Rumänen, Ruthenen, Serben und Bulgaren, obwohl einige alte sächsische Weisen in den mittelalterlichen Modi - nicht nur in Dur und Moll - sein Interesse verdient hätten.
Zwei herausragenden Musikerpersönlichkeiten, die das Musikleben Kronstadts und Hermannstadts wesentlich geprägt haben, widmen sich die Beiträge von Wolfgang Sand (Berlin): "Rudolf Lassel und die evangelische Kirchenmusik in Kronstadt. um die Jahrhundertwende", und Horst Gehann (Kludenbach): "Die Bedeutung Franz Xaver Dresslers für das Musikleben in Siebenbürgen".
Detaillierte und umfassende Dokumentationen über die Existenz musikalischer Vereine und deren vielschichtigen Wirkungsradius im Banat und Siebenbürgen steuern bei Franz Metz (München): "Der Temeswarer Philharmonische Verein und die südosteuropäische Chorbewegung des 19. Jahrhunderts", sowie Horia Cristian (Kronstadt): "Zur Geschichte der Kronstädter Philharmonischen Gesellschaft. Kulturelle Interferenzen zwischen dem sächsischen Verein und den Rumänen".
Mit der Problematik musikalischer Rezeption und Interpretation befassen sich die Beiträge von Johannes Killyen (Halle): "Aspekte zur Hermannstädter Mozart-Rezeption. Mozartiana in Hermannstadt", von Cristina Sarbu (Bukarest): "Die Oper Richard Wagners in Rumänien" und von Peter Skladanyi (Pecs/Fünfkirchen): "Österreichische Musiker in Pecs-Fünfkirchen im 18.-19. Jahrhundert". Drei aufschlussreiche Berichte befassen sich mit der Geschichte und Entwicklung des Musikunterrichts bzw. der Musikerziehung in Siebenbürgen und dem Banat: "Chorgesang als Alternative zum Musikunterricht am Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt. Zur Entstehung der Schallplatte ,Stimmen der Völker in Liedern'" von Hans-Günter Seiwerth (Balingen-Stockenhausen), "Zur Geschichte der Temeswarer Musikschulen und Konservatorien" von Damian Vulpe (Temeswar) sowie "Die Donauschwäbische Knabenblaskapelle auf ihrer Konzertreise durch Europa, Amerika und Afrika" von Robert Rohr (München).
Einen breit angelegten Beitrag über das Volkslied bei den Donauschwaben leistet Gottfried Habenicht (Freiburg i.Br.): "Das Volkslied bei den Donauschwaben", der an Hand zahlreicher Liedtextbeispiele die Gattungsvielfalt des donauschwäbischen Volksliedes eingehend aufzeigt, während Eszter Fontana (Leipzig), Walter Kindl (Temeswar) und Josef Angster (Pecs-Stuttgart) Beiträge zur Instrumenten- und Orgelbaukunst in Sopron, Temeswar und Fünfkirchen beisteuern.
Obwohl die bunte Vielfalt der Musikformen dieses Raumes längst nicht in ihrer ganzen Fülle präsentiert wird, vermittelt der Band doch viel von dem einzigartigen Reichtum dieser Musikkultur.

Peter Szaunig


"Beiträge zur südosteuropäischen Musikgeschichte. Musikleben der Deutschen im Kontext südosteuropäischer Musikkultur. Positionen und Traditionen", herausgegeben von Franz Metz. München: Edition Musik Südost, 2001, 160 Seiten, 10,25 Euro, ISBN 3-92676-46-0. Zu beziehen über den Buchhandel oder beim Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, Schädlerweg 2, 81929 München, Telefon/Fax: (0 89) 93 77 93.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2002, Seite 5)

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