7. Februar 2002

Delikate Minderheitenfrage

Anneli Ute Gabanyis Studie über die Roma und Rumänien im EU-Erweiterungsprozess - In acht Kapiteln präsentiert und untersucht die in Berlin tätige, seit vielen Jahren durch die Behandlung rumänischer Themen ausgewiesene Zeithistorikerin Anneli Ute Gabanyi eine der zunehmend diffizilen Fragen europäischer Innenpolitik: Existenz und Spezifika der Roma - bis gestern noch: Zigeuner. Die Frage ist längst nicht mehr allein auf Länder des Südostens beschränkt, Mittel- und Westeuropa, Nord- und Südeuropa stehen ebenso vor ihr.
Denn Teile des „schwärmenden Volks“ asiatischer Herkunft oder des „Volks unterwegs“ und wie sie sonst umschrieben werden oder sich selber bezeichnen, stellten in den letzten Jahrzehnten schwedische, dänische und deutsche, niederländische, französische und britische Behörden immer wieder vor schwer oder überhaupt nicht lösbare Probleme. Um wie viel mehr gilt dies für Länder wie Rumänien, wo ein erheblicher Teil der europäischen Roma lebt.
Dabei entzieht sich schon ein so kardinaler Aspekt wie die Zahl dem statistischen Zugriff, stellt Anneli Ute Gabanyi gleich zu Beginn unter dem Schlagwort „Dilemma“ fest. Leben in Rumänien derzeit eine Million oder über drei Millionen Roma? Über die Feststellungen von Frau Gabanyi hinaus gibt es Schätzungen, die sogar von vier Millionen sprechen. Doch ist es ganz offensichtlich weniger die Zahl, die bisherige Integrationsbemühungen scheitern ließ; der Grund dafür sind vielmehr primäre Besonderheiten wie z.B. das Nomadisieren als Lebensstil. Nicht nur die Versuche der Bukarester Diktatur während der 60er und 70er Jahre blieben erfolglos; ebenso erging es auch der Prager Administration in der CSSR mit den in Nordböhmen konzentrierten Roma und weiteren Versuchen zur Integration der Roma, über deren vielfältige Motive und Schwierigkeiten Anneli Ute Gabanyi detailliert und präzise referiert. Die weder statistisch noch sozio-kulturell „fassbaren“ Roma wurden daher vor allem seit 1989/90 zum „europäischen Problem“, wie der ehemalige rumänische Außenminister Andrei Plesu nachdrücklich feststellte. Vom „Vorschlag“ des ultranationalistischen rumänischen Parteiführers Corneliu Vadim Tudor, „die kriminellen Roma in Kolonien“ zusammenzufassen um die „Umwandlung Rumäniens in ein Zigeunerlager“ zu verhüten, bis hin zur Veranschlagung von 540 Millionen Euro für ein rumänisches Integrationsprogramm, die der ehemalige OSZE-Hochkommissar v.d. Stoell forderte, reichen die Vorstellungen des Problems Herr zu werden.
Historischer Rückblick, Holocaust, die infolge der Veränderungen von 1989/90 eingetretene Situation, Bukarester Minderheitenpolitik im Blick auf die Roma vom Rechts- bis zum Schulwesen, sogar zur Außenpolitik Rumäniens u.a.m. werden in der Studie der Berliner Historikerin sorgfältig und exakt beleuchtet. Die knapp vorgetragenen abschließenden „Empfehlungen und Lösungsvorschläge“ gehen vom Gedanken der Lösungsnotwendigkeit aus: Europa muss sich aus eigenem Interesse des Problems annehmen. Wieweit freilich Forderungen nach Beachtung elementarer Roma-Spezifika gehen können, ist verständlicherweise überaus behutsam formuliert. Denn wie lösen auf kollektiven Kontext angewiesene moderne Industriegesellschaften, die ihre sozialen und ökonomischen Mechanismen funktionsfähig erhalten müssen, das Problem einer ethnischen Minderheit, wenn diese zu nicht geringen Teilen auf der ererbten Tradition nomadischer Lebensführung beharrt? Anneli Ute Gabanyis kenntnisreiche und distanziert ordnende Darlegung bringt Licht in die Grundlagen des zurzeit wohl delikatesten europäischen Minderheitenproblems.

Hans Bergel



(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 28. Februar 2002, Seite 7)

Anneli Ute Gabanyi: Die Roma im EU-Erweiterungsprozess: Fallbeispiel Rumänien. Berlin, SWP-Studie S 41, Dezember 2001, 33 Seiten, geheftet. Kostenlos zu bestellen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin, Fax: (0 30) 8 80 07-100, E-Mail: swp@swp-berlin.org.

Links:

www.swp-berlin.org

www.swp-berlin.org/pdf/ap/s41_01.htm

www.swp-berlin.org/fgs/fogruppe02.html

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