4. März 2002

Ein Buch mit Risiken und Nebenwirkungen

Meinolf Arens: Habsburg und Siebenbürgen 1600 – 1605. Gewaltsame Angliederungsversuche eines ostmitteleuropäischen Fürstentums in einen frühabsolutistischen Reichsverband. Schriftenreihe „Studia Transylvanica“, Band 27, Böhlau Verlag, Köln 2001, XVI, 397 Seiten, Preis: 39,90 Euro.
Im Frühjahr 2001 veröffentlichte der junge Historiker Meinolf Arens eine Dissertation über Siebenbürgen, die einen Zeitabschnitt behandelt, über den man so gut wie nichts weiß, obwohl viele Spezialisten alles darüber zu wissen glauben. Gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial behandelt er darin die Zeit der habsburgischen Eroberungsversuche Siebenbürgens von 1600 bis 1605. Die Rekonstruktion dieser wirren, kriegerischen Jahre erfolgt so gründlich und kritisch, dass dabei die siebenbürgische Historiographie von so manchen verstaubten Gemeinplätzen und altersschwachen Konstrukten rumänischer, ungarischer und sächsischer Historiker des 20. Jahrhunderts befreit wird.
Im sogenannten Langen Türkenkrieg von 1593 bis 1606 manövrierten sich Habsburger und Osmanen allmählich in eine Pattsituation. Aufgrund komplizierter Erbverträge kam es zwischen 1526 und 1598 wiederholt zu Spannungen und Kleinkriegen zwischen den habsburgischen Anwärtern auf die Ungarische Krone und den siebenbürgischen Ständen bzw. dem siebenbürgisch-ungarischen Adel. Dieses undurchsichtige Gerangel um die Macht in Restungarn und Siebenbürgen ermöglichte schließlich den Auftritt des walachischen Woiwoden Michael dem Tapferen in der Geschichte Siebenbürgens. Mit habsburgischer Finanzhilfe und Szekler Truppen besiegte dieser den allseits verhassten Fürsten Andreas Báthory und setzte ihn ab. Anschließend wurde er selbst zum Tyrannen von Siebenbürgen, bis er vom habsburgischen Generalfeldobristen Giorgio Basta marginalisiert und schließlich von einem deutschen Söldner ermordet wurde. Soviel zur (langen) Vorgeschichte.
Die „Haupthandlung“ des Buches dagegen ist vergleichsweise einfach und kurz: Nach dem Tode Michaels d. T. versuchten die Habsburger weitere vier Male, das ständisch geprägte Siebenbürgen unter ihre absolutistische Kontrolle und zentralistische Verwaltung zu bringen. Im Gefolge der Kämpfe wechselten sich Basta mit seiner habsburgischen Söldnertruppe und die siebenbürgischen Fürsten mit ihren Heeren jeweils für einige Monate an der Herrschaft ab. 1606 zogen sich die Habsburger schließlich geschlagen aus Siebenbürgen zurück; das Fürstentum blieb weiterhin ständisch und (relativ) unabhängig.
Mehr ist in diesen paar Jahren eigentlich nicht passiert – könnte man meinen. Was diese sechs Jahre für Siebenbürgen allerdings so folgenreich und wichtig macht, sind die beispiellose Zerstörung und Entvölkerung ganzer Städte, Landstriche und Kulturlandschaften in den Durchzugs- und Kampfgebieten der verfeindeten Heere. Etwa die Hälfte der gerade mal 1 Million Einwohner, vornehmlich aus Städten und stadtnahen Dörfern – d. h. vor allem Ungarn und Sachsen – starben entweder im Krieg oder an Hunger, Krankheiten und Seuchen. Die walachische/rumänische Ethnie war von diesen Katastrophen weniger betroffen und erlangte so im 17. und 18. Jahrhundert die zahlenmäßige Mehrheit in Siebenbürgen. Städte wie Bistritz oder Weißenburg wiederum erreichten nach diesen Ereignissen nie wieder ihre frühere Macht und Stärke.
Das Buch von Arens dokumentiert eine „ewige Wiederkehr“ von Offensiven und Gegenoffensiven der Heere, von Angriff und Verteidigung, sowie den tödlichen Teufelskreis aus schlecht bezahlten Söldnern, Einquartierungen, Plünderungen, Hungersnöten und Seuchen samt den daraus resultierenden langfristigen Konsequenzen. Der Autor, ein Binnendeutscher, hält Abstand zu Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen und vorschnellen Schlüssen, was darauf hindeutet, dass er die Fallstricke der siebenbürgischen (Pseudo-)Geschichtsschreibung sehr wohl kennt. Als seriöser Historiker beschränkt er sich stattdessen darauf, präzise, pointiert und detailliert Fakten zu rekonstruieren. Dabei destruiert er humorvoll traditionelle Nationalmythologien.
Michael d. T. ist in diesem Buch nicht der strahlende Nationalheld, der aus dem Pferdesattel heraus vermeintliche „rumänische Länder“ vereinigt, sondern nur ein habsburgischer Condottiere, ebenso wie seine Gegner ein „grawsamer Tyrann und wütrich“ (S. 65), dessen marodierende Söldner wegen schlechter Bezahlung schnell zum Feind, dem moldauischen Fürsten Ieremia Movilă überlaufen (S. 44). Dieser wiederum versucht mit Hilfe der Polen, deren Vasall er ist, die Absetzung Michaels d. T. zu erreichen. Wir finden aber auch ein zerstrittenes Sachsenvolk vor, das zwischen kaiserlicher und ständischer Loyalität schwankt und dessen Städte abwechselnd von beiden Parteien angegriffen, geplündert und zerstört werden. Und die ungarischen Adligen sind wie Sigismund Báthory eher labile Persönlichkeiten (S. 59), Opfer ihrer eigenen politischen Ambitionen, die die Szekler unterdrücken und massakrieren. Letztere paktieren ihrerseits eifrig mit dem Walachen Michael d. T. gegen den siebenbürgischen Fürsten Andreas Báthory (S. 31) und überfallen zwischendurch auch schon mal ihre Nachbarstadt Schäßburg (S. 231).
Auf der anderen Seite ist Giorgio Basta hier nicht mehr ausschließlich der grausame Feldherr, sondern bemüht sich beispielsweise redlich um die pünktliche Bezahlung seiner Söldner. Deshalb sei ihm auch das „Fassel Haring von den besten und schönsten ... aus Polen“ gegönnt, das ihm die Stadt Bistritz beschaffen musste (S. 128). Spätestens wenn man erfährt, dass der Tatarenkhan Ghazi II. in seinem Winterquartier in Ungarn (!) 1603 nicht nur mit siebenbürgischen Aufständischen gemeinsam Kriegspläne schmiedete, sondern sich nebenbei auch der persischen Poesie hingab, ist die Verblüffung des Lesers komplett!
Erheitert und fast erleichtert liest man diese oft paradoxen Episoden südosteuropäischer Vergangenheit und merkt erneut: Geschichte hält sich nie an ideologische Vorgaben, und schon gar nicht an die der Nachwelt. Nicht ohne Stolz präsentiert uns Arens auch seine „Trophäensammlung“ der unseriösesten Machwerke stalinistisch-chauvinistischer „Historiokraten“, um diese anschließend ins Kuriositätenkabinett der Geschichtsschreibung bzw. ins ahistorische Nirvana zu verabschieden. Zu ihnen zählen Adolf Armbruster, Carl Göllner, Ștefan Pascu, Ion Russu oder Viorel Roman.
Der Versuch des Autors, ein möglichst lückenloses Bild und eine plausible Interpretation des fraglichen Zeitraums zu liefern, führt zur einer Informationsfülle, die es dem Leser auf den ersten 50 Seiten nicht leicht macht, alle Zusammenhänge zu überblicken. Eine Landkarte Mittelosteuropas zu jener Zeit wäre dazu hilfreich gewesen. Sie würde das Osmanische Reich als südlichen und westlichen Nachbarn, das Krimkhanat als östlichen und Polen-Litauen und Habsburg als nördliche Nachbarn Siebenbürgens zeigen. Hilfreich wäre auch ein kleines Wörterbuch historischer Begriffe gewesen, denn im Buch wimmelt es nur so von Krongroßhetmanen, Arkebusieren, Begler Begs und Großwesiren. Hat man sich aber erst einmal eingelesen, wird man auf den restlichen 200 Seiten des Buches mit einem schlüssigen und überzeugenden, weil anti-ideologischen Gesamtbild des frühneuzeitlichen Siebenbürgen belohnt, diesem „fernen“ und „exotischen“ Mini-Land, das zwischen den wohlmeinenden Eroberern aus Ost und West, Nord und Süd seine legitimen Interessen verfolgt und seine gewachsene(n) Kultur(en) zu bewahren sucht.
Und das Beste zum Schluss: Dieses Buch ist trotz „Risiken und Nebenwirkungen“ frei im Handel erhältlich! Mit 39 Euro 90 allerdings nicht gerade billig ... Dafür bekommt man aber 250 Seiten solide Wissenschaft, plus 150 Seiten Quellen, Bibliographie und Register. Lesevergnügen und Humor inbegriffen!

Hans Hedrich

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