30. April 2002

Rührige Bürgerinitiative "Nachhaltiges Schäßburg"

2002 – das Jahr des Ökotourismus beflügelt und spornt an. Andreas Mausolf, einer der Gründungsmitglieder der Bürgerinitiative „Nachhaltiges Schäßburg“, zieht eine Zwischenbilanz bezüglich des geplanten „Dracula-Parks“ bei Schäßburg. Weitere Vorhaben betreffen die Verkehrsregelung auf der Schäßburger Burg sowie die Vernetzung mit weiteren Initiativen zur nachhaltigen touristischen Entwicklung in Rumänien, etwa mit den „Freunden des Wassertales“ in Oberwischau, dem Tramclub-Banat und der Schmalspurbahn im Harbachtal.
Auch in Rumänien beginnt ein nachhaltiger Tourismus konkrete Formen anzunehmen. Es ist eine schwierige Entwicklung mit vielen Hindernissen. Einerseits setzt das rumänische Tourismusministerium verstärkt auf touristische Großprojekte wie den bei Schäßburg geplanten Dracula-Vergnügungspark. Andererseits haben Nicht-Regierungs-Organisionen - Ideengeber, den örtlichen und fachlichen Sachverstand bündelnde Kräfte - in Rumänien keine Tradition. Als aktive kritische Beobachter für zentralistisch verordnete „Entwicklungspolitik“ sind sie angesichts gezielter Vereinnahmung kommunalpolitischer Beteiligung durch Bukarest unverzichtbar.
Verkommt Weltkulturerbe zum Parkplatz? So sollte sich eine Stadt, deren Burgkomplex Gäste aus aller Welt anzieht, nicht präsentieren. Nun ist der Stadtrat am Zug. Foto: Wilhelm Fabini
Verkommt Weltkulturerbe zum Parkplatz? So sollte sich eine Stadt, deren Burgkomplex Gäste aus aller Welt anzieht, nicht präsentieren. Nun ist der Stadtrat am Zug. Foto: Wilhelm Fabini


Zu den rühmlichen Ausnahmen gehört die Bürgerinitiative „Nachhaltiges Schäßburg“ („Sighisoara Durabila“, „Sustainable Sighisoara“). Ihr gehören herausragende Vertreter Schäßburgs an, darunter auch der seit drei Jahren dort lebende Andreas Mausolf, Sozialwissenschaftler, Publizist und ehemaliger stellvertretender Stadtteilbürgermeister in Bremen. Um ihren Zielen – Wahrung, nachhaltige Erschließung und Mitgestaltung der in Schäßburg und seiner Umgebung gewachsenen und wachsenden Werte – sowie ihrer Rolle als Brückenkopf zwischen Zivilgesellschaft und Staatsautorität gerecht zu werden, wollen die Mitglieder der Bürgerinitiative in solcher Weise wirken, „dass wir dieses Handeln, gemäß den in Europa anerkannten kultur-historischen, religiös-moralischen, sozio-ökonomischen und ökologischen Kriterien, heute vor unserem Gewissen und morgen vor unseren Nachfahren verantworten können.“ So heißt es in dem Internet-Auftritt www.sustainable.sighisoara.com, durch den die Bürgerinitiative in rumänischer, deutscher und englischer Sprache ebenso kompetent und engagiert wie durch ihre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ihre Anliegen an die Öffentlichkeit bringt, um peu à peu ein Bewusstsein dafür zu wecken und nicht zuletzt Unterstützung zu finden.

Zwischenbilanz Dracula-Park

Wie andere Gegner des Projektes Dracula-Park zieht auch „Nachhaltiges Schäßburg“ anlässlich des Baubeginns eine Zwischenbilanz. Am offensichtlichsten sei, dass die Diskussion die Stadt Schäßburg verändert und in zwei Lager gespaltet hat. Im Ausland sei dem Ansehen des Landes durch das Projekt an sich und die Art, wie es durchgeboxt wurde, viel Schaden zugefügt worden. Für Irritationen habe sowohl die Halsstarrigkeit des Tourismusministeriums gesorgt als auch die Behinderung der Bürgerinitiative durch das Bürgermeisteramt. In der Zwischenbilanz verwahrt man sich gegen die Weckung und Operationalisierung der Angst um Arbeitsplätze und soziale Sicherheit, so wie das bei den inszenierte Sympathiekundgebung für das Projekt durch die Spruchbänder „Wir wollen Arbeitsplätze - wir wollen Dracula-Park“ geschehen sei – so als würden die Gegner des Projektes mit ihren Visionen und Konzeptentwürfen nicht auch Zukunft und damit Arbeit und Aufschwung für die Stadt und ihre Bürger verfolgen? Nicht beseitigt sei die Befürchtung, dass die zum Weltkulturerbe gehörende mittelalterliche und nach wie vor bewohnte Burg als „Begleiterscheinung“ des Vergnügungsparkes ihre Originalität verliert, und unbeantwortet sieht die Zwischenbilanz folgende Fragen:
1. Ist es so schwer zu verstehen, dass Zukunftsprojekte, die Bestand haben sollen, nur unter Wahrung und Entwicklung der kulturhistorischen Identität und im offenen Dialog mit allen Beteiligten möglich sind?
2. Ist es so schwer zu verstehen, dass Freunde Schäßburgs sowie internationale Institutionen und Verbände die Hochglanzbroschüre zum Dracula-Park nicht als Konzeption und ernsthafte Machbarkeitsstudie betrachten?
3. Ist die Schäßburger Burg als siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe ein Hinderungsgrund, sie als einen Bestandteil des multikulturellen Erbes Rumäniens zu begreifen?
4. Ist Politik gut beraten, Zeugnisse einer 800-jährigen Geschichte durch Kitschprojekte und ihre Begleiterscheinungen zu zerstören und internationale Warnhinweise zu ignorieren?
Kurz und knapp wird noch einmal in Erinnerung gerufen: „Tourismus lebt von Gästen. - Gäste müssen eingeladen werden! - Kulturgüter sind eine Einladung zum Besuch. - Kulturgüter dürfen deshalb nicht entwertet werden! - Dracula-Park entwertet und gefährdet das Kulturerbe. - Dracula ist eine Visitenkarte für Hollywood. - Hollywood ist Fiktion, und Rumänien ist Realität! - Wegen dieser Realität kommen die Gäste.“ Die Zwischenbilanz schließt mit der Aufforderung: „Rumänien erwache - und mache dich nicht lächerlich!“

Schäßburger Burg als Parkplatz?

Dass die Initiative „Nachhaltiges Schäßburg“ weiterhin den offenen und konstruktiven Dialog sucht, zeigt der Antrag zur Verkehrsregelung auf der Burg, der am 5. März an den Stadtrat und den Bürgermeister von Schäßburg sowie als offener Brief an die Presse gerichtet wurde. Der Antrag wurde von Andreas Mausolf erarbeitet, der über langjährige Erfahrung in kommunalpolitischer Entwicklung und Verkerhrsmanagement verfügt. Einführend werden die erheblichen Entwicklungsperspektiven Schäßburgs bei vernünftigem Tourismusmanagement skizziert, Maßnahmen der Verkehrslenkung und Verkehrsreduzierung von europäischen Städten mit kulturhistorischer Bedeutung angeführt und diesen die Situation in Schäßburg gegenübergestellt: Straßen und Plätze der Burg werden immer stärker von PKW und Zulieferfahrzeugen befahren und beparkt sowie, zum Ärger der Touristen, ihrer Originalität und Atmosphäre beraubt. Für eine nachhaltige Entwicklung wird anschließend im Interesse der Stadt beantragt:
1. Das Parken von Fahrzeugen aller Art auf der Burg nur noch auf Flächen zu gestatten, die nicht unmittelbar zu den Gassen und Plätzen gehören und möglichst von ihnen aus nicht einsehbar sind. Für bestimmte Verkehre sind Ausnahmen zulässig.
2. PKW-Zufahrtsberechtigungen zur Burg nur noch Anwohnern, Zulieferern (mit der Auflage, dass diese Verkehre wie in Fußgängerzonen allgemein üblich zwischen 22.00 Uhr nachts und 8.00 Uhr morgens stattfinden müssen) sowie den auf der Burg befindlichen Dienststellen/Behörden einzuräumen.
3. Den gesamten Burgkomplexes als Fußgängerzone auszuweisen, in der sich der gesamte übrige Verkehr den Bedürfnissen des Fußgängerverkehrs anzupassen hat.
4. Für Gäste einen Zubringerverkehr mit Kleinbus von der Unterstadt auf die Burg einzurichten, der in der Saison verstärkt verkehrt.
5. In der Unterstadt in akzeptabler Nähe zur Burg bewachte Parkplätze einzurichten. Die Gebühr soll als „Kombiticket“ z.B. auch zum Besuch des Stundturm-Museums berechtigen.
6. Die Ansiedlung weiterer verkehrserzeugender Betriebe abzulehnen und über Möglichkeiten der qualitativen Reduzierung vorhandener Verkehrsbelastungen (regenerative Antriebsformen) nachzudenken.
Zudem wird angeregt für den Burgbereich eine „Erhaltungssatzung“ zu beschließen, um die historische Bausubstanz vor weiteren Veränderungen zu schützen: Nutzungsänderungen sollten nur in eingeschränktem Maße und unter das Gesamtbild wahrenden Auflagen erteilt werden, um den als touristisches Kapital begriffene Burgbereich in seiner Authentizität zu sichern. Der Antrag endet mit der Bitte, diese Maßnahmen oder zumindest Teile davon, umgehend zu beschließen und noch 2002 tätig zu werden. Damit würde Schäßburg weitere Besucher und nicht zuletzt weitere Unterstützungspartner für die touristische Entwicklung der Stadt gewinnen.

Netzwerk für nachhaltigen Tourismus

Vor dem eingangs skizzierten Hintergrund haben es in Rumänien nachhaltige touristische Projekte, die den einmaligen Charakter des Landes und seines multikulturellen Erbes thematisieren, schwer. Doch Versuche wurden – nicht nur in Schäßburg – gewagt und zeigen erste positive Ergebnisse. Nur wenig überrascht es, dass auch langjährig bestehende Projekte zur Förderung des nachhaltigen Tourismus im Banat und in der Marmarosch mit dem Namen Andreas Mausolf verbunden sind. Wie „Nachhaltiges Schäßburg“ verfolgen auch dortige Initiativgruppen das Ziel, den auf kulturellen Grundlagen basierenden Tourismus auf Dauer zu etablieren und in behutsamen, Mensch und Umwelt schonenden Bahnen zu entwickeln. Im Jahr des Ökotourismus wollen auch sie ihre Arbeit intensivieren, um den Gästen eine größtmögliche Bandbreite an Erlebnissen zu ermöglichen, die gleichzeitig Geschichte und einmalige Natur attraktiv erschließen.
„Freunde des Wassertals“ nennt sich eine dieser Initiativen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Wassertal bei Oberwischau (Viseu de Sus) mit der letzten noch regelmäßig verkehrenden Waldbahn Rumäniens nachhaltig zu entwickeln. Die Unberührtheit der Landschaft hoch im Norden Siebenbürgens an der ukrainischen Grenze, die keine Straßen kennt und nur durch die 40 km lange Waldbahnstrecke erschlossen wird, stellt ein ideales Angebot für jene dar, die „zurück zur Natur“ wollen, in eine Region mit dem Naturreservat um den höchsten Berg der Marmarosch, den Pietrosu, in der sich überlieferte landwirtschaftliche Techniken bis heute erhalten haben. Eines der Ziele der Gruppe ist der Aufbau eines Waldbahnmuseums in Oberwischau. Von diesem einen ökologisch verträglichen Holzeinschlag ermöglichenden Transportmittel gab es einst mehrere Dutzend. Leider wurden sie bis auf die Wassertalbahn und eine noch sporadisch verkehrende Bahn in ihrer Nähe aufgegeben. Mehr über die Aktivitäten und Angebote der „Freunde des Wassertals“ erfährt man im Internet-Auftritt www.geocities.com/viseu_wassertalfreunde , Kontakt über Leopold Langtaler, Telefon: (00 40 / 0 94) 98 62 42.
Dass Städtetourismus nachhaltig organisiert werden kann, beweist auch der aus der Städte-Freundschaft zwischen Bremen und Temeswar hervorgegangene „Tramclub-Banat“. Dieser Verband hat gemeinsam mit dem Städtischen Verkehrsbetrieb Temeswars inzwischen Rumäniens erstes Trammuseum aufgebaut und setzt im Sommer regelmäßig historische Trambahnen für Stadtrundfahrten ein. In der Saison 2002 werden erstmals auch Fahrten zu touristisch interessanten Punkten der Stadt mit entsprechendem Rahmenprogramm angeboten, und eine Kulturtram informiert über die Kulturszene der Stadt. Auch im benachbarten Arad können im Sommer Ausflüge ins malerische Umland mit historischen Zügen unternommen werden. Der „Tramclub-Banat“ informiert im Internet über seine Aktivitäten und Angebote unter www.tramclub-banat.go.ro. Kontakt über Juliana Potcoava, Telefon: (00 40 / 0 56) 43 52 41.
Alle drei Initiativen arbeiten unabhängig, nicht profitorientiert und verfolgen das Ziel, den Begriff der Nachhaltigkeit in der touristischen Entwicklung des Landes durch entsprechende Projekte zu verankern. Als Ansätze zu zukunftsfähigen Strukturen hat die Zusammenarbeit der drei Initiativen eine ebenso große Bedeutung wie die Kooperation und der Erfahrungsaustausch mit anderen Verbänden und Vereinigungen in Rumänien und ganz Europa sowie eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland.
Selbstverständlich ist Unterstützung in jedwelcher Form willkommen. Diesbezüglich wie mit Blick auf die eben angelaufenen Bemühungen zur Rettung der eingestellten Schmalspurbahn von Hermannstadt nach Agnetheln – siehe auch www.schmalspur-romsib.go.ro - ist auf die neue E-Mail-Adresse von Andreas Mausolf hinzuweisen: andreas@teleson.ro. Postalisch ist er weiterhin erreichbar unter Strada Ilarie Chendi 43, RO-3050 Sighisoara, telefonisch unter (00 40 / 95) 91 67 02.

Hans-Werner Schuster


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2002, Seite 11)

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