11. Juni 2015

Jürgen Schneider zum 80. Geburtstag

In einem jüngst in Hermannstadt erschienenen Buch „Lebendiges Siebenbürgen, Bilder und Gedanken“ wird ein gewaltiges, aus dem Erdboden hervorquellendes Wurzelwerk eines Baumes gezeigt und dazu gesagt: „Wurzeln sind die Grundlage des Lebens der Bäume. Die menschlichen Wurzeln, Vorfahren und Umwelt, prägen unser Leben. Sie liegen unsichtbar in der Tiefe, im Inneren.“
Jürgen Schneider meinte beim Betrachten der Baumwurzel und Lesen des dazugehörigen Textes, diese Worte könnten auch für ihn geschrieben worden sein und träfen auf ihn und sein Leben voll zu. Er verbrachte nicht mehr als ein knappes Jahrzehnt in seiner Heimat Siebenbürgen und die darauffolgenden sieben Jahrzehnte in Deutschland – und dennoch liegen seine Wurzeln unsichtbar in der Tiefe, im Inneren – in Siebenbürgen! Seine Liebe zu diesem Land mit seiner einmaligen Natur- und Kulturlandschaft sowie die Ehrfurcht vor seinen Vorfahren und ihren Leistungen seien sehr groß!

Jürgen Schneider wurde am 4. Juni 1935 in Bistritz, in der Unteren Neugasse Nr. 24 geboren. Im Haus Nr. 26 nebenan befanden sich die großelterliche Wohnung und die Schlosser- und Elektrowerkstatt seines Großvaters Karl Fritsch. Jürgens Mutter Gerda, 1907 in Bistritz geboren, war Zahntechnikerin, sein Vater Emil Christian, 1905 in Marpod im Harbachtal geboren, kam nach Abschluss seines Studiums 1930 als Professor für deutsche und französische Sprache und Literatur an das Deutsch-Evangelische Obergymnasium nach Bistritz. Kristallisationspunkte der großen Fritsch-Familie waren und blieben die vor den Toren der Stadt gelegenen großen Obstgärten und Sommerhäuser von Jürgens Großvater und seinem Großonkel, Lehrer Gustav Fritsch. Umgangssprache in der Familie war und blieb bis heute bevorzugt das Siebenbürgisch-Sächsische. Zu den Höhepunkten einer glücklichen und wohlbehüteten Kindheit zählten u. a. große Familienfeste, Fahrten per Motorrad nach Kolibitza oder per Zug nach Klausenburg und Budapest.

Im September 1944 kam dann aber das Ende dieser schönen Zeit – das Herannahen der Ostfront und die Flucht. Sie erfolgte in Güterwaggons, die an Lazarettzüge der deutschen Wehrmacht angehängt wurden. Wegbegleiter auf der langen, beschwerlichen Fahrt gen Westen waren Ungewissheit, Angst vor einer unbekannten und undefinierbaren Zukunft, Hunger, Tiefflieger, Bomben. Nach einer zwei volle Jahre andauernden Irrfahrt kam dann Ende September 1946 endlich die letzte Umsiedlung, von Österreich nach Schweinfurt am Main/Bayern. In den ersten Monaten wohnten die drei Generationen seiner Familie getrennt. Geregeltere Verhältnisse gab es dann aber nach Zuweisung einer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Nik.-Hofmann-Straße. Anmerkung: „geregelter“ ja, aber immerhin acht Personen dreier Generationen in dreieinhalb Zimmern!

Die Tradition der großen Familientreffen wurde zu neuem Leben erweckt. Man traf sich im Pfarrhaus eines Onkels in der Nähe von Coburg, später dann mit bis zu 140 Teilnehmern im Landschulheim des Humboldt-Gymnasiums in Haßbergen.

Jost Jürgen Schneider ...
Jost Jürgen Schneider
Jürgen Schneider besuchte ab September 1946 die Oberrealschule Schweinfurt und legte dort 1953 seine Abiturprüfung ab. Dieser Lebensabschnitt war geprägt vom Evangelischen Jugendwerk und einem kleinen Freundeskreis. Unvergessen bleiben die Fahrrad-Großfahrt in die Schweiz, mit Bewältigung von St. Gotthard- und Susten-Pass, für jene Zeit selbstverständlich ohne Gangschaltung und andere technische Hilfsmittel, aber auch die Maininsel, oder das nächtliche Verkleben der Fenster des Lehrerzimmers unserer Schule mit vorher auf Maß zugeschnittenen Zeitungsblättern.

Der Schulzeit folgte für Jürgen Schneider eine nicht minder schöne Studienzeit an der Universität Lausanne und TH Karlsruhe. Zur Auffrischung des nicht gerade üppigen Monatswechsels nahm er Hilfsjobs an, als Busschaffner in Lausanne, als Straßenbahnschaffner in Karlsruhe. Die Freizeit, und manchmal nicht nur die, gehörte der Akademischen Verbindung „Palato-Sinapia“, deren Wahlspruch „Wissenschaft, Freundschaft, Frohsinn“ gelebt wurde. Es gab im Verbindungshaus „KW4“ schöne Feste, Bälle, Festkneipen, mehrtägige Faschingsfeten. „Der holden Freiheit Paradies“ waren Grenzen gesetzt – Brigitte Peschko kreuzte Jürgens Lebensweg. Sein Studium beendete er als Dipl.-Ing. Ins Jahr 1961 fielen Heirat und Berufseinstieg.

Jürgen Schneiders Kinder Ulrike (*1966) und Jochen (*1968) gingen auf hiesige Gymnasien und machten Abitur. Ulrike studierte Anglistik und Hispanistik an der Uni Würzburg. Jochen studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Uni Kaiserslautern. Beide schlossen ihre Ausbildung mit großem Erfolg ab und machten in der Industrie Karriere. Mit Tabea, der Enkeltochter (*2006), kam ein wahren Sonnenschein in die kleine Schneider-Familie!

Jürgen Schneiders Berufsweg führte in die Entwicklungsabteilung der Firma FAG Kugelfischer. Dieser blieb er 32 Jahre, bis zum vorgezogenen Ruhestand treu. Seine Hauptaufgaben waren: weltweite Entwicklungspartnerschaft mit der Stahlindustrie und weltweite Freigabe von Stahlwerken. Nach seiner durch Betriebsprobleme bedingten Frühpensionierung folgten noch fünf schöne Jahre als Technisch-Wissenschaftlicher Berater von Stahlwerken in Indien und USA.

Jürgen Schneiders Engagement galt zahlreichen Ehrenämtern: Kirchenvorstand von St. Lukas, als Beiratsmitglied des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen, der HOG Bistritz-Nösen e.V. und der Schweinfurter Gesellschaft „Harmonie“, Kassenwart seiner Verbindung „Palato-Sinapia“ und der HOG Bistritz-Nösen e.V. und Organisator der im Rhythmus von drei Jahren stattfindenden großen Fritsch-Treffen in Eichelsdorf.

Jürgen Schneiders Engagement kannte und kennt aber vornehmlich ein Ziel – Unterstützung und Hilfe für sein Heimatland Siebenbürgen, daneben aber auch Werbung für seine Schönheit, seine Kulturschätze, seine Gastfreundschaft u.a.m. Dem zuletzt genannten Ziel dienten und dienen zahlreiche Vorträge und viele Studien- und Begegnungsreisen. Die erste fand mit vier Freunden 1981 statt. Seit 2001 waren es dann insgesamt zehn Reisen, jeweils mit 25 bis 30 Verwandten, Klassenkameraden, Verbindungsbrüdern und guten Bekannten. Motivierend für diese Reisen waren für Jürgen Schneider des Altbischofs D. Dr. Christoph Klein des Öfteren wiederholte Worte: „Herr Schneider, behalten Sie diese Reisen bei. Jeder Deutsche, den Sie mitbringen, zeigt uns, dass wir als kleine deutsche Minderheit nicht vergessen sind.“

Unmittelbar nach der Wende schien der Hilfsbedarf besonders groß zu sein. Jürgen Schneider warb um Spenden – Geld, Kleidung, Nahrungsmittel, vor allem auch Babynahrung und Medikamente etc. Mit drei großzügig gesponserten 7,5t-LKWs wurde losgefahren. Jürgen Schneider warb in seiner Kirchengemeinde um regelmäßige Spenden für das Altenheim Dr. Carl Wolff und für ein Schülerheim in Hermannstadt.

Jürgen Schneider schaltete sich auch erfolgreich in die Anbahnung von Schüleraustauschprojekten zwischen Schweinfurt und Bistritz ein. Ihm war es im Hinblick auf Werbung für seine Heimat ein großes Anliegen, die wundervolle Natur- und Kulturlandschaft, vor allem aber auch die Leistung seiner Vorfahren in einem Buch zu dokumentieren. Er ist froh, dass ihm dies mit Hilfe des Freundes, Architekten und Malers Dr. Theo Damm im kürzlich erschienenen Buch „Alte Städte, Dörfer und Kirchenburgen, Skizzen aus Siebenbürgen“ gelungen ist.

Dr. Hans Georg Franchy

Schlagwörter: Bistritz, Geburtstag, Ingenieur, Porträt

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