2. Dezember 2022

„Was musikalische Begeisterung bedeutet“: Prof. Heinz Acker zum Achtzigsten

Vielleicht sollte er doch einmal ein wenig kürzer treten und Ruhe suchen, so überlegt Heinz Acker. Die Familie würde es sich wohl wünschen. Doch da sind so viele Ideen in seinem Kopf, so viele Vorhaben harren der Umsetzung. Prof. Heinz Acker, der immer noch zu den aktivsten siebenbürgischen Musikern in Deutschland gehört, vollendet am 2. Dezember sein 80. Lebensjahr.
Der Dirigent Heinz Acker ...
Der Dirigent Heinz Acker
Man kann vieles und noch mehr über den Dirigenten, Musikwissenschaftler, Komponisten, Pianisten, Lehrer, Autor und Erzkomödianten schreiben. Auch dieses: Er ist nicht abergläubisch. Denn diesen Geburtstag hat der gebürtige Hermannstädter bereits im Sommer gefeiert. Warum? Er und seine Frau Marianne, die bereits im Februar 80 Jahre alt geworden war, luden gewissermaßen auf halber Strecke zur Feier des gemeinsamen 160. Wiegenfestes ein, also im Juli. Die Festrunde auf Schloss Horneck war groß, denn die Großfamilie Acker ist verzweigt wie eine alte siebenbürgische Eiche.

Manches kann man über sie in Ackers Autobiografie „Zwei Leben und…“ nachlesen, die nicht nur Familienchronik ist, sondern ein veritabler Beitrag zur siebenbürgischen Kulturgeschichte, 484 Seiten dick. Wie ist sie entstanden? Der Verfasser war von seinen Enkeln gebeten worden, einen Fragebogen über sein Leben auszufüllen. Das war ihm indes zu wenig, er schrieb stattdessen (gemeinsam mit seiner Frau) ein Buch, aus dem die beiden inzwischen gerne vor Publikum lesen und das in erster Auflage längst vergriffen ist. Gerade ist die zweite, erweiterte und korrigierte Fassung in Vorbereitung. Eines von vielen Projekten. Zwei Leben, zwei Welten: Ein symbolischer roter Riss auf der Titelseite der Publikation trennt die eine von der anderen. Hier Rumänien, dort Deutschland, dunkelblau und hellblau, „aber beides Mal blau“, betont Acker. „Nicht schwarz und weiß.“

Oft ist er geehrt und gewürdigt worden, oft wurde auch seine Biografie erzählt: Heinz Acker wächst in den 1940er und 50er Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Dieter (1940-2006), der später ein führender Komponist der Avantgarde werden wird, bei den Großeltern in Hermannstadt auf. Der Vater ist vor Stalingrad gefallen, die Mutter wird zur Zwangsarbeit nach Russland verschleppt und fehlt lange. Die Zeiten sind hart, „aber wir kannten es nicht anders“. Ein Winter mit Aussicht auf leicht abgesenkte Raumtemperatur kann Acker heute wahrlich nicht schrecken. Er kennt Gegebenheiten zweier Welten, ein großer Gewinn aus seiner Sicht. Und Musik wird auch in der größten Not gemacht, gerade dann. Heinz und Dieter Acker besuchen die deutsche Volksschule und später das Brukenthal-Gymnasium, sie saugen die Musik in sich auf, die nicht zuletzt unter Leitung des Hermann­städter Stadtkantors Franz Xaver Dressler gemacht wird. Sie lernen beide, trefflich das Klavier zu spielen, und studieren Musik in Klausenburg. Heinz kann sich bald als Dirigent und Musikrezensent in der Heimatstadt Hermannstadt ausprobieren.

Doch die Rollen sind von Anfang an und im Grunde bis zum frühen Tod Dieters Ackers im Jahr 2006 verteilt: Heinz ist der ausübende Praktiker und auch musikalische Theoretiker, Dieter der kreative Schöpfergeist.

Als der Bruder von einer Deutschlandreise 1969 nicht nach Rumänien zurückkehrte, veränderte das im Leben der jungen Familie Acker vieles. 1964 hatten Heinz und Marianne Acker, geborene Rether, studierte Germanistin, geheiratet. 1967, 1969 und 1971 waren in schöner Regelmäßigkeit die Söhne Sebastian, Michael und Thomas zur Welt gekommen. Heinz war mittlerweile Lehrer am Hermannstädter Musikgymnasium und Dirigent bei der Philharmonie. Doch die durch die Ausreise des Bruders aufgestachelte Securitate machte den Ackers das Leben zur Hölle. Aus der unerträglichen Situation konnte nur die Ausreise heraushelfen, die unter dramatischen Umständen, mitten im großen Erdbeben von Bukarest am 4. März 1977 gelang.

In Deutschland fasste die Familie bald Fuß. Heinz Acker fand eine sichere Beamtenstelle als Musiklehrer am Gymnasium im badischen Hausach, um bald zu merken, dass er in Wahrheit eines viel lieber wollte: Musik machen. So wechselte er für ein vorerst geringeres Gehalt als Lehrer für Klavier, Musiktheorie und Orchesterleitung an die Musikschule Bruchsal, um hier ein Lebenswerk zu beginnen, das er selbst – aus heutiger Sicht – für sein wichtigstes erachtet: „Junge Menschen an die Musik heranzuführen und mit ihnen gemeinsam zu erleben, was musikalische Begeisterung bedeutet.“ 1981 gründete er das Jugendsinfonieorchester Bruchsal und formte aus den Jugendlichen ein Vorzeigeensemble, das auf dem Gipfel des Erfolges den ersten Preis beim Bundesorchesterwettbewerb 1996 gewann.

Parallel dazu übernahm er bereits 1978 einen Lehrauftrag für Musiktheorie an der Musikhochschule Heidelberg/Mannheim. Doch auch als er nach Jahren des Pendelns zwischen Bruchsal und Heidelberg 1987 zum Professor an dieser Musikhochschule berufen wurde (mit dem vollumfänglichen Aufgabenbereich Harmonielehre, Kontrapunkt, Gehörbildung, Schulpraktisches Klavierspiel, Partiturspiel, Instrumentation und Dirigieren), hielt er noch lange Zeit beim Jugendorchester die Fäden in der Hand. Mit seinem preisgekrönten Orchester ist er als musikalischer Friedensbotschafter der Stadt, des Landes, ja der Bundesrepublik weltweit aufgetreten, 2001 auch in Siebenbürgen. „Es war eine einmalige Reise, alle Orchestermitglieder waren einfach nur begeistert“, schwärmt Acker. Privat hatte der Stellenwechsel einen Umzug der Familie vom beschaulichen Heidelsheim in die große Stadt Heidelberg bedeutet.

Mit der Emeritierung im Jahr 2005 kehrte natürlich keine Ruhe im Leben Heinz Ackers ein. Es eröffneten sich aber neue Tätigkeitsfelder, zum Beispiel die verstärkte Beschäftigung mit der Musikgeschichte der siebenbürgischen Heimat und – damit einhergehend – das Komponieren. Als ihm bewusst wurde, dass er als Komponist selbst etwas zu sagen hatte, war Heinz Acker bereits über 50 Jahre alt. Die meisten seiner Werke sind sogar erst nach 2010 entstanden, dann aber in erklecklicher Zahl. Auf eine Kompositionsrichtung wollte und will er sich nicht festlegen lassen. Bereits 1996 schrieb er Variationen im Stil verschiedener Komponisten über das Lied „Ich hab mein Herz in Heidelberg“ verloren und fand bestätigt, was er als exquisiter Kenner von Tonsatz und Harmonielehre, als Verfasser einer „Modulationslehre“, längst wusste: „Ich könnte im Grunde in jedem musikalischen Stil komponieren.“ Vielmehr waren es Texte, aus der weltlichen Literatur oder auch aus der Bibel, die für ihn zum Ausgangspunkt des Komponierens wurden.

2012 entstanden für die Ensembles der Musikwoche Löwenstein, deren musikalischer Leiter Acker vier Jahre lang war, die „Carmina selecta – Südöstlicher Divan“ für Soli, Chor, Kinderchor und Orchester. Das Ergebnis liegt auf CD vor. 2014 folgte der „Sonnengesang des Hl. Franz von Assisi“ und 2017 eine Pfingstkantate für die Siebenbürgische Kantorei, im gleichen Reformationsgedenkjahr das Credo für die große „Kronstädter Messe“. Zahlreiche geistliche Werke stehen zu Buche, ebenso weltliche Lieder und Chöre, Bearbeitungen von Liedern anderer Komponisten – etwa von Georg Meyndt, Michael Barner, oder seines Vorfahren Carl Reich.

Heinz Ackers Kompositionen sind Gebrauchsmusik im besten Sinne, denn sie sind für bestimmte Ensembles, ein bestimmtes Publikum oder einen konkreten Anlass geschrieben: „Ich versuche immer, den Interpreten mit ihren ganz unterschiedlichen Fähigkeiten gerecht zu werden. Ich möchte, dass meine Musik aufgeführt wird und nicht in der Schublade verschwindet“, konstatiert der Komponist. Als Pianist und Dirigent kann er selbst dafür Sorge tragen.

Auch dies ist in den letzten 15 Jahren immer wichtiger für Heinz Acker geworden: Seinen Teil zur Bewahrung der siebenbürgischen Musikkultur beizutragen. Und dieser Teil ist wahrlich nicht klein. Mit Bearbeitungen, Orchestrierungen und der Edition von Kompositionen vergangener Jahrhunderte hat er diese zugleich dem Vergessen entrissen. Aufsätze zur Musikgeschichte kamen hinzu. Und vor allem Ende 2021 die Eröffnung der Musiksalons „Irtel“ und „Filtsch“ auf Schloss Horneck in Gundelsheim – zwei Räume, von ihm konzipiert, die der siebenbürgischen Musikgeschichte gewidmet sind und sie lebendig halten.

Eine eigene Seite ist auf Heinz Ackers Homepage den vielen Preisen gewidmet, die er erhalten hat: mit dem Orchester, bei Auslandsreisen als musikalischer Botschaft, aber auch ganz persönlich für sein umfassendes Engagement im Dienst der Musik: Silbernes Ehrenwappen der Siebenbürger Sachsen 2011, Schönbornmedaille der Stadt Bruchsal, Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg ebenfalls 2011, Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis 2013, Johann-Wenzel-Stamitz-Preis der Esslinger KünstlerGilde 2020. Eine ganz besondere Auszeichnung ist dabei, der Schlag zum „Ritter wider den tierischen Ernst“ der Foederatio Saxonica Transsilvanica mit Erhebung in den Ritterstand per Adelsbrief zum „Doctor humoris causa“ im Jahr 2015. Er hat sie sich mit zahlreichen kabarettistischen Auftritten, oft im Duett mit seiner Frau Marianne, verdient.

Und vielleicht liegt hier, neben dem immer hellen Kopf, „in dem noch so manches brodelt“, ein weiteres Geheimnis der Schaffenskraft Heinz Ackers verborgen: der unerschütterliche Humor, mit dem sich ein oder sogar zwei Leben – seine Biografie spricht davon – einfach leichter leben lassen. Ein ruhigeres Leben jedoch, das ist bei Heinz Acker nicht so schnell abzusehen.

Johannes Killyen

Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Musiker, Heinz Acker

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