20. Februar 2024

Die Rollen ihres Lebens: Interview mit der Hermannstädter Schauspielerin Sigrid Zacharias

Sigrid Zacharias wirkte vormals sehr erfolgreich als Schauspielerin an der Hermannstädter Bühne. Nach ihrer Aussiedlung 1981 hat sie das Gemeinschaftsleben in der Kreisgruppe Freiburg über 40 Jahre lang verdienstvoll bereichert. Anlässlich ihres 80. Geburtstages am 20. Februar sprach die frühere Kulturreferentin Karin Servatius-Speck mit Sigrid Zacharias nicht allein über Schauspielkunst.
Sigrid Zacharias als junge Schauspierlerin ...
Sigrid Zacharias als junge Schauspierlerin
Liebe Sigrid, „jeder, der die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt“, schreibt Franz Kafka. Du bist, wie wir dich kennen, nicht nur eine Ästhetin in allem, du machtest den Auftrag, schöne Kunst zu vermitteln, darzustellen, zu deinem Lebensinhalt, und du bist dabei unverwechselbar jung, dynamisch, aktiv geblieben. An der Hermannstädter Bühne viele Jahre tragendes Mitglied des deutschsprachigen Ensembles, bleibst du deinen Zuschauern unvergessen, zum Beispiel als ausdruckstarke „Iphigenie“, die „schöne Seele“ in Goethes Auftrag. Eine Vollblutschauspielerin. Wann hast du den Drang zum Rollenspiel entdeckt, wie entwickelt?
Entdeckt haben ihn später andere. Aber schon sehr früh konnte ich mit den Gestalten der Märchen, die Mutter vorlas, und mit den dramatischen Helden der Balladen, die Vater so gerne vortrug, mitempfinden. Ich konnte mich in meiner Phantasie mit ihnen gut identifizieren. In der Schulzeit dann gab es kaum ein Schulfest, an dem ich nicht selbst Gedichte vortrug. Ich habe auch immer sehr gerne mitgesungen, mitgetanzt oder mitgeturnt. An die Literatur haben mich unsere Deutschlehrer, vor allem Frau Professor Christa Thurmayer einfühlsam herangeführt. Eine Miniausgabe von Goethes Faust wurde damals so etwas wie meine „Bibel“. Meine Berufung zur Rollenschauspielerin hat nach meiner Matura, 1962, der Bukarester Regisseur Ion Olteanu, entdeckt. Er lud mich ins Hermannstädter Theater zum Vorsprechen ein, meinte, dass ich in seine neu gegründete deutschsprachige Schauspielklasse an der Bukarester Hochschule „Institutul de Teatru si Cinematografie Ion Luca Caragiale“ gut passen würde. 17-jährig zog ich zur Aufnahmeprüfung ins ferne Bukarest.

Da haben auch Karl-Heinz Maurer und Wolfgang Ernst erfolgreich studiert. Inwieweit förderte und formte das Lehren eure künstlerische Anlage, inwieweit wurde aber auch in dieser Lehranstalt politisch beeinflusst und gelenkt?
Im Rückblick kann ich sagen, dass diese Studentenzeit meine, unsere schauspielerisch freieste Zeit war. Herr Olteanu, unser Lehrmeister, hat uns, gemeinsam mit seiner Assistentin Eva Pătrășcanu, Schauspielerin am Nationaltheater, zu professionellen Schauspielern geformt. Wir haben intensiv und frei von Zwängen gelernt, uns selbst zu finden. Wir haben unsere Fähigkeiten entdeckt, auch jene des Körpers, des Geistes, unsere Phantasie und unsere Empathie und nicht zuletzt die Rolle und Leistungsfähigkeit unserer Stimme. Wir haben unsere Ausdrucksmöglichkeiten entdeckt und geschult. Wir haben das Herangehen an eine Rolle gelernt, wie man sie aufbaut, letztendlich erfolgreich im Ensemble auf die Bühne bringt. Beide Lehrer waren Perfektionisten und der deutschen Sprache mächtig. Es war eine umfassende theoretische und praktische Ausbildung, die Techniken und Bildung zielgerichtet vermittelt hat.
Ich weiß, es erscheint eigenartig für die 60er Jahre in Rumänien, aber „politisch-diktatorisch“ habe ich an diesem Institut bewusst nichts zu spüren bekommen. Und im Rückblick scheint mir, auch nicht bei den anderen Bühnen der Hauptstadt, zu denen allen wir als Studenten freien Zutritt hatten. Unser Institut war damals einmalig in der Welt, seine Klassen waren jede für sich wie ein kleines Theater ausgestattet.

Als Schauspieler muss man, wie du eben sagtest, einer Menge Anforderungen gerecht werden, intellektuell, mental, physisch. Welche entdecktest du schon während des Studiums als deine besondere Stärke?
Ich entdeckte, lernte, meine Rollen aus dem Kopf in den Bauch, ins Gesicht, dann erst auf die Zunge zu bringen. Im Gespräch mit dem Regisseur fand ich die perfekte Möglichkeit der Darstellung. Mut musste ich lernen und Empathie schulen, gerade als angehende Schauspielerin auf freier Bühne. Aber alles hat mir Spaß gemacht! Ich ging mit jeder Rolle „schwanger“, der Text war in mir auf dem Heimweg, beim Einkaufen, beim Abwasch. Ich war Lena aus „Leonce und Lena“, Anne Frank, Goethes Gretchen, Lady Anne aus „Richard III“, „Die Dame mit dem Hündchen“, Shen-Te/Shui-Ta in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“… . Alle gleich gerne, nein, mit Begeisterung!

Dann kamst Du 1966 zusammen mit deinem Mann Marius – er hatte am gleichen Institut studiert – nach eurem Staatsexamen ans Hermannstädter Theater mit rumänischer und deutscher Abteilung. Es war, wie alle Bühnen des Landes, ein Staatstheater, folglich an die Maßgaben der Regierung und ihrer Politik gebunden. Inwieweit hatten Intendant und Regisseur freie Hand bei der Wahl der Stücke fürs Repertoire?
Die Auswahl trafen Regisseur und Intendant, wobei strikte Vorlagen der Partei berücksichtigt werden mussten. Der Großteil sollten Übersetzungen aus der rumänischen Theaterliteratur sein, ein kleinerer Teil war aus der Weltliteratur, der Rest waren Dramen deutscher Literatur, vor allem der Klassik. So kam es, dass meine erste Rolle, die der Königin aus Schillers Don Carlos war, es folgten weitere weibliche Haupt- wie auch Nebenrollen in Dramen von Hebbel, Goethe, Brecht, Strindberg und anderen.

Die 80-jährige Jubilarin ...
Die 80-jährige Jubilarin
Rollen stellen ja ganz unterschiedliche Charaktere dar. Gibt es eine, in der du dich umfänglich selbst vermittelt hast? Und was war beim Spielen dein Anliegen?
Ja, à propos Rollenwechsel: Am intensivsten war der für mich einmal bei einem Theaterfestival für Kurzes Theater in Großwardein (Oradea), 1977. In vier Einaktern musste ich jeweils vier grundverschiedene Charaktere darstellen. Es war eine Herausforderung. Für die Interpretationen habe ich damals den Preis als „Beste Schauspielerin“ erhalten.
In welchen Rollen ich mir am nächsten kam? Unvergessen bleibt mir die Rolle von Strindbergs Fräulein Julia und die von Goethes Iphigenie, bei deren Interpretation ich viel von mir, von meinem Innersten, preisgegeben habe. Es waren aber nicht nur die Hauptrollen, auch in vielen kleinen Rollen, sogar in Komödien mit Gesang und Tanz konnte ich Facetten meines Ichs zum Ausdruck bringen, schon durch die Freude, den Spaß an der Rolle. Mein Anliegen war immer, das Interesse des Publikums für den jeweiligen Charakter voll und ganz zu wecken, nicht nur der Spaß am Spiel war wichtig. Mit der Stimme und dem Spiel meiner Rolle wollte ich dabei jeden erreichen.

In dem Sinne bezüglich Breitenwirkung noch: Als Ensemble eines Staatstheaters hattet ihr doch auch den Auftrag, als Multiplikatoren von Kultur für die Menschen auf dem Land, in den Dörfern Siebenbürgens aufzutreten?
O ja, und ich habe richtig wertvolle Erinnerungen daran! Unsere Vorstellungen in deutscher Sprache waren so sinnvoll! Für die Menschen zur Freude und zugleich ihr Selbstbewusstsein und das der Gemeinschaft bestärkend. Und der Dank, die Herzlichkeit, die wir erfuhren, haben uns mehr als belohnt. Trotz der oft einschränkenden Bedingungen für unser Spiel – wir haben alles mit Freude getan, und das gemeinsam Erlebte hat uns als Ensemble noch fester verbunden.

Dein Mann Marius war an der gleichen Bühne Schauspieler an der rumänischen Abteilung. Ihr habt, bis zu seinem viel zu frühen Tod mit 69 Jahren, eine glückliche Ehe geführt. Die Schauspielerin Vanessa Redgrave behauptet, dass manche Ehe nur deshalb als gut gelte, weil beide Partner ungewöhnlich begabte Schauspieler sind. Wie war das bei euch?
Vanessa Redgrave mag Recht haben. Marius und ich hatten einen Tag nach unserem Staatsexamen in Bukarest geheiratet, kamen danach gemeinsam ans Staatstheater Hermannstadt. Marius war ein überaus begnadeter, facettenreicher und sehr erfolgreicher Schauspieler. Wir waren Partner im Leben, nur ab und zu haben wir uns beim Proben gegenseitig hospitiert und anschließend ausgetauscht, aber nie mehr so intensiv wie in der Bukarester Studienzeit.

Drei Töchter wuchsen in eurer Künstlerehe groß. Hat das Künstlerisch-Kreative ihren Weg mitbestimmt?
Ja, wir haben drei wunderbare Töchter zu starken Persönlichkeiten erzogen. Marius war ein absoluter Familienmensch und liebevoller Vater. Sie sind zweisprachig aufgewachsen und wir haben versucht, ihnen die Werte unserer beiden Kulturen durch Vorleben zu vermitteln: das Gutbürgerliche, die konservativen Werte der Ethik und Moral im respektvollen Miteinander. Gleichzeitig haben sie aber auch die Freiheit des Denkens und der Entscheidung gelernt. Sie haben von klein auf Theaterluft geatmet und offensichtlich auch die künstlerischen Gene geerbt. Die Älteste, Barbara, praktizierende Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, kreiert auch hobbymäßig außergewöhnlichen Blumenschmuck, singt, übt Kalligraphie. Siegmar, unsere mittlere Tochter, hat in Berlin und London Philosophie und Literaturwissenschaft studiert, aber auch Performance in Amsterdam; ihre Performances, künstlerisch-philosophische Aktionen, Auseinandersetzungen mit Erscheinungsformen der Wirklichkeit, auch ihr künstlerischer Einsatz für Gerechtigkeit, bringen ihr internationale Erfolge.
Unsere jüngste Tochter, Susanne, wurde nach ihrem Studium an der Universität in Babelsberg eine begnadete Regisseurin, die schon für ihren ersten Langspielfilm „Hallesche Kometen“, 2005, den renommierten „Max Ophüls-Preis“ für beste Regie erhielt. Auch als Drehbuchautorin, Kommunikationstrainerin und Keramikmeisterin war sie erfolgreich. Aus diesem begnadeten Künstlerleben wurde sie, 44-jährig, von unheilbarer Krankheit jäh von uns gerissen. Aber sie ist immer bei uns, auch im künstlerischen Schaffen ihrer Schwestern mit den Themen um Leben und Tod. Der frühe Verlust des Vaters, bald darauf das Sterben der geliebten Tochter und Schwester hat unsere Familie tief erschüttert. Aber unser Zusammenhalt über Entfernungen hinweg ist stärker denn je.

1981 bist du mit Marius und euren drei Kindern ausgewandert. Nach Freiburg. Die Universitätsstadt war und ist als kultureller Lebensraum von Akademikern, Künstlern, übervoll besetzt. Und da hast du den erfolgreich geübten Rollentausch auf der Bühne in ein neues Berufsleben des Alltags übertragen: Mit knapp 40 Jahren wurdest du diplomierte Medizinisch-Technische Assistentin, hast den Beruf am Freiburger St. Josefskrankenhaus in der Röntgenabteilung bis zu deiner Rentenzeit ausgeübt. Welches waren die Brücken, die zur Wahl dieses Berufes führten, der dir ebenfalls Erfüllung und Anerkennung gebracht hat?
Schon bei der Auswanderung war mir klar, dass ich in Deutschland auf dem freien Markt der Schauspielkunst wenige Chancen haben werde. Trotzdem habe ich mich zentral beworben und tatsächlich nach einiger Zeit eine Stelle am Kieler Stadttheater angeboten bekommen. Aber wir lebten mit unseren drei Schulkindern in Freiburg, einen erneuten Umzug wollten wir ihnen nicht zumuten. Marius und ich wurden diplomierte Assistenten der Medizinischen Radiologie. Die Nuklearmedizin hat mich fasziniert und dieser Beruf war ja ebenfalls Wirken für die Menschen, im Team. Die tägliche Arbeit brachte keinen Bühnenapplaus, aber den Dank und Respekt der Patienten, die Anerkennung des Ärzte- und Kollegenteams. Einige meiner nuklearmedizinischen Aufnahmen bleiben in zwei Büchern und drei Doktorarbeiten dokumentiert.

Wie schon eingangs gesagt, umgibst du dich in deinem Lebensumfeld gerne mit Schönem, bist selbst aktiv kreativ. Was sind denn deine Hobbys?
Meine größten, schönsten und wichtigsten Rollen waren und sind für mich die der Mutter und die der Oma. Die gemeinsame Zeit mit den Kindern, mittlerweile auch mit meinen vier Enkelkindern, von denen zwei auch künstlerisch begabt sind, ist für mich das Wichtigste. Das Schönste neben echter Freundschaft. Aber schon in Hermannstadt hatte ich in einem Malkurs auch die Freude, mich mit Farben auszudrücken, entdeckt. In Freiburg habe ich dann viele Maltechniken erlernt und probiert, aber seit das Handy griffbereit so gute Bilder festhalten kann, ruht der Pinsel (lacht).

Weil dir deine Familie am herznächsten ist, was gibst du deinen eben genannten Enkelkindern, gerade in diesen bewegten Zeiten, die wir leben, auf ihren Weg denn mit?
Was ich auch meinen Töchtern schon immer gesagt habe: Habt Mut! Lasst euch nicht unterkriegen von Misserfolgen! Verwirklicht eure Träume mit aller Kraft! Ihr dürft das Ziel auch wechseln, macht aber weiter, erforscht und erprobt euch selbst, Neues wagen! Und vergesst über alldem die Liebe nicht! Sie ist und bleibt der unzerstörbare Energiequell, Lebenselixier!

Und das alles hast du ihnen ja selbst vorgelebt, lebst es in den unterschiedlichsten Rollen deines Lebens! Liebe Sigrid, für deine bereichernden künstlerischen Beiträge bei kleineren und ganz großen Feiern, Jubiläen, Festen unserer Gemeinschaft, wie zum Beispiel auch den Bundeskulturtagen, 1998 in Freiburg, sind wir dir sehr verbunden und dankbar! Bleib uns auch in Zukunft gewogen!
Der kulturellen Aktivität unserer Gemeinschaft hier verdanke ich die Freude, dass ich all die Gedichte, Texte aus unserem siebenbürgischen Kulturschatz, der für uns so wichtig ist, hier vortragen konnte. Neben vielen mehr, die mir auch am Herzen liegen. Dafür bin ich dankbar!

Herzlichen Glückwunsch zu deinem Lebensjubiläum und unsere besten Wünsche für alles Kommende in vielen Jahren bei bester Gesundheit!
Danke!

Schlagwörter: Interview, Schauspielerin, Geburtstag

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