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5. März 2010

Interviews und Porträts

"Arbeit ist Sauerstoff". Der Kinderbuchautorin, Zeichnerin und Übersetzerin Ricarda Terschak zum Achtzigsten

Am 18. Dezember wurde Ricarda „Mimo“ Terschak 80 Jahre alt. Sie zählt nicht nur zu den ­populärsten rumäniendeutschen Kinderbuchautorinnen der Nachkriegszeit, sondern ist auch Kunsttherapeutin, Zeichnerin und Übersetzerin. Die vielbeschäftigte Allrounderin lebt heute noch in ihrer Heimatstadt in der Patrioților-Gasse. „Die ist nach mir so benannt“, flachst die Achtzigerin mit tiefer Stimme und öffnet lachend das Gassentor ihres Elternhauses. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 10 mal kommentiert.

  • Karin Decker

    1 • Karin Decker schrieb am 05.03.2010, 10:19 Uhr:
    Ricarda Terschak gehört bestimmt zu jenen zehn Gerechten, die laut biblischer Überlieferung nötig sind, um einer ganzen Stadt die Gnade des Allmächtigen auch dann noch zu erhalten, wenn alle Wertvorstellungen der Gesellschaft aus den Fugen geraten sind.

    Wer in schweren Zeiten die menschliche Größe und Kraft aufbringt, neben Beruf und schriftstellerischer Berufung auch noch drei Waisen aufzunehmen, – es waren die Kinder meines jung verstorbenen Onkels und seiner kurz darauf verschiedenen Ehefrau –, um ihnen eine glückliche Kindheit zu schenken (meisterhaft geschildert in Ricarda Terschaks Kindergeschichte „Drei Kinder und ein Dackel“), der verdient unsere ganze Liebe und Bewunderung.

    Herzlichen Glückwunsch und alles Gute, liebe Frau Terschak! Sie sind uns ein Vorbild der Güte und Menschlichkeit und ein Beispiel für die aus tiefem Glauben entstehende selbstlose Liebe.
  • Karin Decker

    2 • Karin Decker schrieb am 05.03.2010, 12:23 Uhr:
    Sehr geehrter Herr Klein,

    Sie erwähnen in Ihrer obigen Hommage an Ricarda Terschak auch die wunderbare Mausi Fröhlich, Ehefrau des Rechtsanwalts Dr. Max Fröhlich, und schreiben über ein Buch, welches „bei der Kritik keine Gnade fand“.

    Wie heißt dieses Buch, und wo kann man es denn womöglich noch beziehen?

    Meine letzte Begegnung mit „Mausi“ (Flora Fröhlich) hatte ich wohl im Jahr 1990. Ich besitze noch ein paar Fotos mit ihrem ausdrucksstarken gütigen Antlitz. Ich fragte sie freilich auch nach der düsteren Zeit der Judenverfolgung in Siebenbürgen und wie sie, eine bereits lange vor dem Krieg in Hermannstadt heimisch gewordene Wiener Jüdin, diese Zeit überstanden habe.

    Mausitante erzählte mir fast anekdotisch, dass ein rumänischer Offizier bei ihnen zu Hause erschienen sei und zu ihnen, dem Ehepaar Fröhlich, gesagt habe, sie müssten jetzt ihr Haus verlassen und in eine Laube am Stadtrand von Hermannstadt (ich meine in Neppendorf) umziehen, denn ab jetzt werde er in diesem Hause wohnen. Mausi Fröhlich und ihr Mann erklärten sich einverstanden, wollten aber wissen, ob ihre Katze im Haus bleiben könne, denn von diesen Tieren wisse man ja, dass sie sich ungern an eine andere Umgebung anpassten. Der Offizier gestattete dieses.

    Und dann?, fragte ich sie. Sie sagte: „Na, nichts. Nach dem Krieg kam der Offizier zu uns und sagte, wir können jetzt wieder in unser Haus ziehen, es ist jetzt alles vorüber.“

    Es muss eine schlimme und entbehrungsreiche Zeit für das Ehepaar Fröhlich gewesen sein. Es war jedoch nicht Mausitantes Art, darüber zu klagen oder sich zu bemitleiden. Sie war zeitlebens eine eifrige Arbeiterin, zuerst als Sekretärin ihres Ehemannes, später als akribische Übersetzerin literarischer Texte.

    Angesichts der Berichte, die man aus der Bukowina und aus der Moldau kennt, verwundert es jedoch, dass es der Familie Fröhlich nicht schlimmer ergangen ist. Handelte es sich bei ihnen um eine seltene Ausnahme? Oder wurden die Juden in Siebenbürgen nicht in dem Maße verfolgt, wie in anderen Gegenden, wo der Faschismus unerbittlich um sich griff? Haben sich die Siebenbürger Sachsen schützend vor ihre jüdischen Mitbürger gestellt, welche ja sprachlich und kulturell ihnen die Nächsten waren? War es von Ort zu Ort verschieden? Wie war es speziell in Hermannstadt?

    Oder stand die große Verfolgungswelle erst bevor, konnte jedoch gottlob dank der Niederlage Deutschlands nicht mehr durchgeführt werden?

    Es wäre, so glaube ich, eine wichtige Aufgabe, wenn jemand von den unzähligen Freunden, die Mausi Fröhlich in der ganzen Welt besaß, einen Artikel in der Siebenbürgischen Zeitung veröffentlichte, der alle diese Fragen wahrheitsgetreu beantwortet.

    [Beitrag am 05.03.2010, 12:32 von Karin Decker geändert]
  • bankban

    3bankban schrieb am 05.03.2010, 13:14 Uhr:
    In Hermannstadt entstand Ende des 19. Jahrhunderts der erste zionistische Lokalverband im damaligen Ungarn. Dies ist bedeutsam, weil etwa in Budapest, wo die jüdische Gemeinschaft sehr liberal und an die Ungarn assimiliert war, hatten es die Zionisten (wie generell in Ungarn) sehr schwer, sich zu etablieren. Die Entstehung jener zionistischen Vereinigung in Hermannstadt 1897 kann also als ein Zeichen ihrer kaum erfolgten Integration (aber auch als das ihrer bewussten Abgrenzung) gedeutet werden. Dass im Übrigen einer der Frühzionisten Ungarns aus Bistritz stammte und sein zionistisches Engagement um 1900 auf seine antisemitischen Erfahrungen am dortigen sächsischen Gymnasium zurückgeführt wird, ist ein weiteres Zeichen für eine Kluft zwischen Sachsen und Juden um 1900 herum. Die Vergrößerung dieser Kluft in der Zwischenkriegszeit behandelt Hildrun Glass in ihrem mittlerweile zum Standardwerk avancierten Buch "Zerbrochene Nachbarschaft". In den 1940ern hatten es in Siebenbürgen jene Juden besser getroffen, die in Südsiebenbürgen geblieben waren. Die rumänische Regierung hatte 1942 ihre Deportation nach Auschwitz zwar nicht nur beschlossen, sondern auch die Zugfahrpläne wurden schon zusammengestellt. Doch letztlich waren die Eingriffe bürgerlicher Politiker, rumänischer Kirchenkreise (Metropolit Bälan aus Hermannstadt) sowie der Königinmutter (Elena?) hilfreich gewesen und diese Deportationen wurden abgesagt. Freilich sind aus dem Banat vorher schon ein paar Tausend Juden nach Transnistrien deportiert worden. Ich glaube, die wenigsten kehrten zurück. Dass es die Juden in den sächsisch dominierten Ortschaften damals nicht einfach hatten, kann man anhand der antisemitischen Äußerungen in der sächsischen Presse, Erinnerungen sowie fiktionaler Literatur entnehmen (sofern diese als Quelle angesehen werden können).
    Im Gegensatz zu den Juden Südsiebenbürgens sind jene des Nordens bitter enttäuscht worden. Die meisten haben in der Zwischenkriegszeit ihre ungarische Sprache behalten, haben die ungarische Kultur gepflegt usw. Dementsprechend haben sie sich über die Teilung Siebenbürgens und ihre Rückkehr nach Ungarn gefreut. Doch sie wussten nicht, dass das Ungarn von 1940 nicht mehr jenes des Dualismus gewesen war, sondern eines, das zwischen 1938-41 drei "Judengesetze" und unzählige antisemitische Verordnungen erlassen hatte. Die vom Antisemitismus durchdrungene ungarische Gesellschaft, die lokale Administration, die Gendarmen usw. wirkten bei der Deportation 1944 so freudig mit, dass selbst Eichmann davon überrascht und in Auschwitz die Gaskammern mit der "Arbeit", also ihrer Tötung, überfordert waren. Auch deshalb geschah dies so eifrig, weil sich die Ungarn die Vermögenswerte der Juden an sich reißen wollten.
    Soviel dazu.
    Wie hätten sich nun die Sachsen vor die Juden stellen können? Das wäre doch weder im Sinne rumänischer noch der deutschen offiziellen Politik gewesen. Sie waren ja, selbst die wohlmeinenden unter ihnen, selbst mit ihrem Alltag beschäftigt gewsen, haben versucht, über die Runden zu kommen. Sicher gab es die eine oder andere Hilfeleistung im Kleinen, doch wird sie wohl nicht generell gewesen sein. Die politische Führung jedoch, und das muss auch gesagt werden, war sehr wohl danach bestrebt, dass die Dt. Volksgemeinschaft am enteigneten jüdischen Vermögen im Lande ihrem prozentualen Anteil entsprechend beteiligt wird. Dies war bestimmt kein Ruhmeskapitel und zudem widersprüchlich, weil sich die sächsische Führung ansonsten andauernd wegen der Benachteiligung der Deutschen und der Rumänisierungen beschwerte aber Unrecht in Kauf nahm und es sogar unterstützte, wenn die eigene Gemeinschaft davon profitieren konnte. Minderheitensolidarität hätte anders ausgesehen, doch eine solche zeichnete die rumäniendeutschen Politiker auch in der Zwischenkriegszeit nicht aus...

    [Beitrag am 05.03.2010, 13:15 von bankban geändert]

    [Beitrag am 05.03.2010, 13:19 von bankban geändert]
  • Karin Decker

    4 • Karin Decker schrieb am 05.03.2010, 13:39 Uhr:
    @ bankban:
    Danke für die ausführlichen und gut dokumentierten Erklärungen! Es sieht folglich wohl so aus, als sei in Südsiebenbürgen das schlimmste Verbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, der Völkermord an den Juden, gerade noch verhindert worden. Leider nicht durch das Mitgefühl oder gar die Solidarität der Siebenbürger Sachsen, sondern aufgrund etwas günstigerer gesamtpolitischer Bedingungen.

    In Nordsiebenbürgen hat es diese Verschonung der Juden jedoch nicht gegeben und das Teufelswerk der Nationalsozialisten wurde unerbittlich in Gang gesetzt.

    … Ein ausführlicher Artikel über „Mausi“ (Flora) Fröhlich, verfasst von jemandem, der sie über alle diese Jahre hinweg gut kannte, wäre dennoch – oder um so mehr – ein sehr schöner Beitrag für die Siebenbürgische Zeitung!
  • pedimed

    5pedimed schrieb am 05.03.2010, 23:25 Uhr:
    Die Toleranz der Mediascher (lesbar im Heimatbuch 1993) gegenüber allen dort lebenden Volksgruppen hat sich auch gegen die Judenvervolgung ausgewirkt.Als die Eiserne Garde die Juden einsammeln wollte, setzte der damalige Deutsche Bürgermeister mit Hilfe der Deutschen Jugend in Uniform die Jüdischen Wohnungen unter Schutz und verhindete so deren Vernichtung. Wir haben mit denen auch in der Nachkriegszeit immer noch normal reden können. Bei uns gab es diesbezüglich also keine Probleme!
  • bankban

    6bankban schrieb am 06.03.2010, 08:07 Uhr:
    @ pedimed: wie hiess dieser Bürgermeister?
  • Anchen

    7Anchen schrieb am 06.03.2010, 14:50 Uhr:
    Bürgermeister in Mediasch war von 1940-44 Hans Zikeli.

    "Erinnerungen des letzten deutschen Bürgermeisters der Stadt Mediasch" (Gundelsheim 1994)
  • Karin Decker

    8 • Karin Decker schrieb am 06.03.2010, 17:17 Uhr:
    @ Anchen:
    Es handelt sich vermutlich um denselben Hans Zikeli (Dr. Hans Zikeli), der laut englischem Wikipedia-Eintrag* als Handballer an der Olympiade 1936 in Berlin teilgenommen hat. – Das ist bemerkenswert, denn wenn es stimmt, dass er als Bürgermeister von Mediasch, die Juden seiner Stadt vor dem Zugriff der rumänischen Legionäre („Eisernen Garde“) gerettet hat, dann bedeutet das wohl auch, dass er sich 1936 in Berlin nicht von der Hybris der deutschen Nationalsozialisten hat sonderlich beeindrucken lassen.

    * Der Link „Notice of death (German)“ auf der engl. Wikipedia-Seite führt zum falschen Artikel auf Siebenbürger.de (darin ist nur am Rande von Dr. Hans Zikeli die Rede)
  • seberg

    9seberg schrieb am 06.03.2010, 17:50 Uhr:
    Das wäre in der Tat bemerkenswert und Grund zu Stolz und Genugtuung. @pedimed kann uns sicher die Quelle seiner Information nennen. Heimatbuch?

    Es gab/gibt bekanntlich Fälle von ausgewandeten ehemaligen siebenbürgischen Juden, die mit ihren sächsischen Bekannten und Freunden in Kontakt und freundschaftlicher Beziehung blieben. Gibt es von den Mediascher Juden selbst Berichte über ihre Rettung durch Sachsen?

    [Beitrag am 06.03.2010, 17:53 von seberg geändert]
  • bankban

    10bankban schrieb am 06.03.2010, 19:47 Uhr:
    Anchen: Danke für die Info.

    (Ein) Dr. Hans Zikeli, Arzt aus Agnetheln wurde 1941 als Anhänger des Nazibischofs Staedel ins Landeskonsistorium gewählt.

    Schade dass der von pedimed erwähnte Text online nicht zugänglich ist.

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