5. März 2010

"Arbeit ist Sauerstoff". Der Kinderbuchautorin, Zeichnerin und Übersetzerin Ricarda Terschak zum Achtzigsten

Am 18. Dezember wurde Ricarda „Mimo“ Terschak 80 Jahre alt. Sie zählt nicht nur zu den ­populärsten rumäniendeutschen Kinderbuchautorinnen der Nachkriegszeit, sondern ist auch Kunsttherapeutin, Zeichnerin und Übersetzerin. Die vielbeschäftigte Allrounderin lebt heute noch in ihrer Heimatstadt in der Patrioților-Gasse. „Die ist nach mir so benannt“, flachst die Achtzigerin mit tiefer Stimme und öffnet lachend das Gassentor ihres Elternhauses.
Eine Schwester Immerfroh war „Mimo“ immer schon. Und ein Temperaments- und Energiebün­del dazu, wie sich ihre Klassenkameradinnen erinnern. Zum Bücherschreiben kam sie eher zufällig und vergleichsweise spät. Ihre Kinderbücher kennen viele, aber was weiß man schon von der Autorin selbst? Dabei ist ihr vom katholischen Glauben geprägter Lebensweg alles andere als gewöhnlich.

Eigentlich endete für die angehende Benediktinerschwester Ricarda Maria „Benedicta“ Terschak alles, ehe es richtig begonnen hatte. Es muss ein Sommertag des Jahres 1949 gewesen sein, als sie im Kloster St. Lioba in Temeswar ihr Ordenskleid ablegte und noch einen letzten Blick auf das enteignete Kloster warf – der Kommunismus hatte auch hier gesiegt. In der Dezemberausgabe des donauschwäbischen „Gerhardsboten“ erinnert Terschak an diese bittere Epi­sode, als auch das Martyrium der von ihr hoch verehrten Priorin Sr. Hildegardis Wulff OSB (1896-1961) begann (die aus Mannheim stammende Schwester Hildegardis verschwand danach für neun Jahre in rumänischen Gefängnissen, darunter sechs in Mislea, wo auch Maria Antonescu und Arlette Coposu inhaftiert waren). Der zum Gedächtnis für Sr. Hildegard geschriebene Text ist auch ein Schlüsseltext zu Terschaks Leben: „Es war mir gnadenhaft erlaubt, als Postulantin an den Anfang ihres Leidensweges gestellt worden zu sein. [...] Ich war mit dabei, als wir, lächerlich gekleidet, jede mit einem kleinen Beutel, aus dem Haus geführt wurden, vor dem Tor standen und verständnislos nach allen Richtungen davongingen. Nachher, als sie sich eine Zeitlang in meinem Elternhaus in Hermannstadt versteckte, habe ich sie nächtelang stöhnen gehört; tagsüber war sie dankbar über die Bewegungsfreiheit im Garten, die sie bald darauf mit engster Zellenhaft im berüchtigten Gefängnis von Mislea vertauschen sollte.“
„Arbeit ist Sauerstoff. Das ist mein Lebensrezept ...
„Arbeit ist Sauerstoff. Das ist mein Lebensrezept und ich versuche, es auch für andere gültig zu machen.“ Ricarda Terschak im September letzten Jahres in ihrer Wohnung in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
„Mimo“ war ein typisches Kriegskind. Krankenpflegerin bei verwundeten Soldaten mit 14, drohende Deportation mit 15 – alles nachzulesen in ihrem halbdokumentarischen, leider etwas unglücklich konstruierten Jugendroman „Brennende Schwalbe“ (1985). Als Januar 1945 die Aushebungen zur Zwangsarbeit in der Sowjetunion stattfanden, verbrachte die junge Ricarda eine Woche lang liegend hinter einem Stapel von Holzscheiten im elterlichen Garten. Nur zwischendurch kam der Vater vorbei, um ihr im Schutz der Dunkelheit eine warme Mahlzeit zu bringen (auf dem Dachboden im Nachbarhaus hielt sich zur gleichen Zeit über Monate hinweg der spätere Karikaturist Helmut Lehrer bei seinen Schwiegereltern Marschall versteckt).

Bald darauf finden wir „Mimo“ wieder am ev. Mädchenlyzeum, am katholischen Lehr- und Erziehungsinstitut „St. Ursula“ und am „Domnița Ileana“-Lyzeum, dann in Kronstadt und zuletzt in Temeswar, wo sie trotz chaotischer Unterrichtsverhältnisse das Abitur ablegte. Obwohl zwischen 1945 und 1948 viele Schulnonnen verhaftet, verschleppt und drangsaliert wurden, entschied sich Terschak 1947 für eine klösterliche Laufbahn – zu nachhaltig muss der Eindruck der charismatischen Erzieherin und Klostergründerin Hildegardis gewesen sein: „Unverges­sen und unvergessbar die Formung von Mädchen, an die der Ruf des HERRN ergangen war“. Kurz darauf zerschlug die Säkularisation auch Terschaks Lebenspläne.

Ein Denkmal für „Mausitante“

1949-51 folgte ein Zwischenspiel als Hilfslehrerin in Heltau. Ihre dortigen pädagogischen Alleingänge und Erfahrungen mit einem Problemkind finden sich in Terschaks Jugendroman „Brennende Schwalbe“ wieder. Das Büchlein erzählt mit Rückblenden auch von der Volksgruppenzeit, etwa von ihrem Rauswurf aus der DJ (Mimo wurde gegenüber deutschen Soldaten tät­lich, als diese einem Foxterrier eine Konservendose an den Schwanz gebunden hatten. Was sie 1985 noch nicht schreiben konnte, war freilich, was sie mit den anderen DJ-lern auf dem Turnschulgrund skandieren musste: „Wir wollen keinen Christus, nein / Denn Christus war ein Judenschwein!“), von ihrer ersten Liebe zum früh verstorbenen Judenjungen Herschi oder vom gastfreundlichen jüdischen Ehepaar Dr. Max und Flora „Mausi“ Fröhlich. Auch wenn das Buch bei der Kritik keine Gnade fand, bleibt es doch ein begrüßenswerter Versuch, von einer oft verdrängten Zeit zu erzählen und zugleich der bekannten Hermannstädter Menschenfreundin – „Mausitante“ starb 1992 – ein kleines literarisches Denkmal zu errichten.
Ricarda Terschak: Zeichnung für Maria Haydls ...
Ricarda Terschak: Zeichnung für Maria Haydls Prosaband „Eine Truhe voll Kupferkreuzer“ (2008). Feder und Tusche. Privatbesitz Uwe Hatzack, Nürnberg
Das anschließende Psychologie- und Pädagogikstudium in Bukarest gab Terschak 1952, nach nur zwei Semestern, auf: „Ich ließ mir ein paar mal zu oft den Mund gehen.“ Bei einer entsprechenden IM-Tätigkeit hätte sie bleiben können. Sie zog es vor, das Studium an den Nagel zu hängen. Erst durch eine Stelle als ethnographische Zeichnerin an der Volkskunstabteilung des Brukenthalmuseums und bald darauf im angegliederten Waldmuseum gewann sie 1960 wieder festen Boden unter den Füßen – ihre zeichnerisch kongeniale Vorgängerin Juliana Fabri­tius hatte ihren Zeichnerjob hier bereits 1958 gekündigt und war ihrem Mann Dumitru Dancu nach Bukarest gefolgt. Wenn auch das Zeichnen von Bestandsplänen (releveuri) und bäuerlichen Gebrauchsgegenständen nicht eben zu den span­nendsten Tätigkeiten zählte, so war man doch stolz, zum Team zu gehören, als sich ab 1963 das Hermannstädter Freilichtmuseum unter Direktor Cornel Irimie zum schönsten des Landes entwickelte. Es waren jene Pionierjahre, die sie mit so wunderbaren Berufskollegen wie Herbert Hoffmann, Paul Niedermaier, Ulrike Rușdea, Raymonde Wiener, Constantin Popa oder Mihai Sofronie verbringen durfte; erlebnisintensiv besonders dann, wenn man über Land fuhr und sich nach neuen Exponaten umsah. Zeitweilig hielt „Mimo“ im Waldmuseum sogar, Franziskus lässt grüßen, eine gezähmte Wölfin (vgl. die Erzählung „Roxa“ in ihrem ersten Kinderbuch). 1973 warf sie freilich hin, als man sie mal wieder nicht zum Hauptgraphiker (grafician principal) befördert hatte. Ohnehin war ihr klar geworden, dass ihr die Arbeit mit Menschen weit­aus mehr bedeutete als das Zeichnen ‚toter Sachen‘ (siehe hierzu ihren Text „Von wenig begangenen Straßen“ in Komm mit 1976).

Als Dr. Constantin Coatu 1975 am Hermann­städter „Nervenspital“ (Neuropsychiatrische Kli­nik) die Psychotherapie-Angebote durch seine LSM-Abteilung (Laboratorul de Sănătate Minta­lă) erweiterte, wagte Terschak einen Neuanfang als Ergo- und Kunsttherapeutin. So ließ sie beispielsweise Perlen aus einer Mischung aus Gips, Mehl und Aracet formen, bemalen und auf Schnürsenkel aufgezogen sogar verkaufen (dass solche Ketten nichts von ihrer frischen Farbigkeit eingebüßt haben, zeigt, dass sich die Knetmasse „Patent Terschak“ bewährt hat). Mit ihren kunst- und gestaltungstherapeutischen Heilmethoden füllte Terschak in den Jahren spätsozialistischer Tristesse eine echte Psycho-Nische aus.

Studentin mit 63

Die politische Wende in Rumänien ermöglichte Terschak, sich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen: das Studium der Katholischen Theologie in Temeswar (1992-1997). Was Wunder, als die Spätberufene bei der 2000 gegründeten „Fachschule (școala postliceală) ‚Friedrich Müller‘ für Heilerziehungs- und Altenpflege“ von Anfang an dabei war – einmal Lehrer, immer Lehrer. Seit zehn Jahren unterrichtet sie dort Ludo- bzw. Spieltherapie, Kinderliteratur und Religion. Daneben bietet sie auch einen Kurs für den Umgang mit Alzheimer- und Demenzkranken an. Wie sie es schafft, nebenher auch sieben Schülergruppen in katholischer Religionslehre zu unterrichten und ein Krippenspiel ein­- zustudieren, bleibt ihr Geheimnis.

Dabei ist Terschak seit über einem Jahr in ein verlegerisches Großprojekt eingebunden: die Übersetzung der Schriften der jüdischen, zum Katholizismus übergetretenen Philosophin und von den Nazis in Auschwitz ermordeten Edith Stein, deren 25-bändige Gesamtausgabe des Her­der-Verlages auf Initiative der Bukarester Karmeliter nun auch in Rumänien erscheinen wird. Terschak hat zwar „nur“ die geistlichen Schriften – annähernd 400 Seiten – der Philosophin zu übertragen, doch erweist sich das als ungemein mühseliges Unterfangen, weil es im Rumänischen oft keine Entsprechungen für die von Stein verwendeten Begriffe und Wortschöpfungen gibt. Wer will ihr da verübeln, dass sie sich nicht mal zur Feier ihres 80. Geburtstages aus der Arbeit herausreißen ließ?

Mit Edith Stein schließt sich für Terschak der Kreis zu der bereits erwähnten Ordensfrau Hildegardis Wulff, die fast selbst zur Märtyrerin einer menschenverachtenden Diktatur geworden wäre. Erst 1959 kam sie mit zwei weiteren Kirchenleuten und dem Parlamentarier Dr. Franz Kräuter im Austausch gegen zwei rumänische Spione frei. Hildegardis, die große Verdienste um das katholische Banat und die kirchliche Sozialarbeit hat (auch das Hermannstädter Schülerheim „Norbertinum“ ist ihre Gründung), hatte ihren Klosterschwestern wiederholt von der großen Edith Stein – heute ist die mittlerweile heiliggesprochene Patronin Europas – erzählt.

1974 erschien Terschaks erstes Kinderbuch „Drei Kinder und ein Dackel“, ein stark autobiographisch gehaltenes Buch, das „Mimo“ ursprünglich für ihre drei Adoptivkinder geschrieben hatte. Es wurde mit 12 000 verkauften Exemplaren zu einem der meistgelesenen rumä­niendeutschen Kinderbücher. Im gleichen Jahr erschien auch ihr Märchen „Die Mondrakete und das Wurzelmännlein“, 1976 das naturwissenschaftliche Kinderbuch „Der Meteorit mit dem Edelstein“ und 1977 „Der Kater in der Badewan­ne“, eine mit Heimatsagen angereicherte Erzäh­lung von Pionieren, die zum Neumarkieren von Gebirgswegen ausschwärmen. 1979 veröffentlichte sie „Verzeihung, brauchen Sie dieses Brett?“, das für seine Thematisierung des Generationenkonfliktes den Preis des Schriftstellerverbandes erhielt, und 1980 den Kinderkrimi „Katrin“. Im gleichen Jahr erschien auch ihr Märchenbuch „Die Zauberin Uhle“, dem eigene Kindheitserlebnisse in Leschkirch – dem Geburtsort der Mutter – zugrundeliegen, wo eine Albinofrau als „Trud“ (Hexe) verschrien war. Eine dramatisierte Fassung wurde unter dem Titel „Das Schlangenmädchen“ vom Hermannstädter Puppentheater 1981/82 erfolgreich aufgeführt.

Mit „Pickeltick“, der Geschichte eines Jungen aus dem alten Hermannstadt, dessen Vater die ehrbaren Bürger über den Entenbach hinübertrug, traute sich Terschak 1982 auch an historische Stoffe. Die Inszenierung für die Hermann­städter Puppenbühne besorgte die bekannte Klausenburger Regisseurin Kovács Ildiko. 1985 erschien das Jugendbuch „Elmolin“, in dem auch vom Seilkünstler „Professor Strohschneider“ erzählt wird, der 1933 die Hermannstädter in Atem hielt (eine Gestalt, die auch in Schlattners „Geköpften Hahn“ und K. Steinmeiers „Komm, wir spielen Pitziknochen!“ Eingang fand). Zu bedauern ist, dass Terschaks Harteneck-Roman unvollendet blieb.

Mehr noch als die Literatur hat Terschaks Leben die klassische Musik und speziell Bach beeinflusst. Dass sie zeitweilig auch als Organistin der katholischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt wirkte, wundert nicht weiter bei ihrem prominenten Urgroßvater, dem aus Prag gebürtigen Flötisten und Komponisten Adolf Terschak (1832-1901). Zu Bekanntheit brachte es auch dessen in Cortina d’Ampezzo ansässig gewordener Sohn Emil Terschak (1858-1915), freilich auf anderem Gebiet: dem der Landschaftsmalerei und der Hochgebirgsfotografie (womit er seiner­zeit den jungen Luis Trenker beeinflusste).

Zum Zeichenstift greift Terschak nur noch ­gelegentlich. Zuletzt, als sie für Maria Haydls (1910-1969) Prosaband „Eine Truhe voll Kupferkreuzer“ ein prächtiges Titelbild entwarf und die Buchillustrationen gleich mitlieferte – eine späte Reverenz an jene Frau, die sie bereits früh zum Schreiben animiert hatte. Die Zeichnungen – ein Stilmix aus Fleißbildchen und Berta Stegmann („Saksesch Wält e Wirt uch Beld“) – mögen manchmal etwas süßlich sein, erfüllen aber ihren Zweck vollauf. Überhaupt war Terschaks künstlerische Tätigkeit stets an konkrete Aufträge gebunden. Erinnert sei hier auch an die Illustrationen zu Tudor Arghezis „Spielsachenbuch“ in der Übersetzung von Reimar A. Ungar (1976).

Zu „Mimos“ besten Freunden zählte Wolf von Aichelburg, mit dem sie eine jahrzehntelange literarisch-philosophische Freundschaft verband. 1981 verabschiedete sie ihn in Bukarest bei seiner durch Radio Free Europe erzwungenen Aus­reise „mit großem Buhei“: „24 Stunden waren wir mit Emil Hurezeanu und anderen Freunden im Fadenkreuz der Securitate. Mit dem Flugticket in der Tasche hat man ihn noch bedroht und geschüttelt.“ Auch Buchhandelsdirektor Reimar Alfred Ungar zählte zu ihren engeren Freunden, was sich auch für seine Töchter Beatrice und Christel Ungar sehr anregend auswirkte. Davor war „Mimo“ bereits 13 Jahre lang mit dem seit einem Bombenangriff halbseitig gelähmten Übersetzer und Schriftsteller Paul Dragoș Vacariuc (gest. 1978) zusammen, einem hochgebildeten, aus Czernowitz zugewanderten Flüchtling (Vacariuc, der neben Russisch, Estnisch, Indisch und Französisch auch fließend Deutsch sprach, übersetzte unter anderem Oskar Paulinis Jagdgeschichten; seine Schwester Oltea Vacariuc war die dritte Ehefrau des Dichters Werner Bossert).

„Mimo“, dem 80-jährigen Geburtstags-„Kind“, weiterhin viel Kraft, Gesundheit und gutes Gelingen bei ihren Projekten!

Konrad Klein

Schlagwörter: Kultur, Hermannstadt, Kinderbuch

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Neueste Kommentare

  • 06.03.2010, 19:47 Uhr von bankban: Anchen: Danke für die Info. (Ein) Dr. Hans Zikeli, Arzt aus Agnetheln wurde 1941 als Anhänger ... [weiter]
  • 06.03.2010, 17:50 Uhr von seberg: Das wäre in der Tat bemerkenswert und Grund zu Stolz und Genugtuung. @pedimed kann uns sicher die ... [weiter]
  • 06.03.2010, 17:17 Uhr von Karin Decker: @ Anchen: Es handelt sich vermutlich um denselben Hans Zikeli (Dr. Hans Zikeli), der laut ... [weiter]

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