26. September 2010

Fünfkirchen/Pécs-Buch von Konrad Gündisch und Harald Roth

Die Verfasser des im Böhlau Verlag erschienenen Buches „Fünfkirchen/Pécs. Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt“, die siebenbürgisch-sächsischen Historiker Konrad Gündisch und Harald Roth, wollen „dem Leser wie dem Reisenden ein(en) Leitfaden für die kulturellen Besonderheiten dieser herausragenden Stadt im Süden Ungarns“ bieten.
Der Abriss der Stadtgeschichte gründet sich „auf zahlreiche Arbeiten anderer Fachkollegen“. Entsprechend dieser Literatur ist den verschiedenen Zeitabschnitten auch unterschiedlicher Raum beigemessen. Von den 170 Seiten Text umfasst ein erstes Kapitel über die Römerzeit 12 Seiten, dem Mittelalter sind 18 Seiten zugemessen, weitere 28 Seiten der Türkenzeit und 58 Seiten der Zeit, als Fünfkirchen zur Habsburger Monarchie gehörte; schließlich beziehen sich 28 Seiten auf das 20. Jahrhundert. Der Umfang dieser Kapitel ist nicht verwunderlich, widerspiegeln sie doch die Gewichtungen der existenten Literatur, die für einen breiteren Leserkreis von Interesse ist. Das Buch will nämlich auch für einen solchen Kreis zugänglich sein. Es bettet die Entwicklung Fünfkirchens in die allgemeine Geschichte ein, unterstreicht zugleich besondere Aspekte der Stadt – etwa die Kulturgeschichtliche Bedeutung der frühchristlichen Grabstätten. Der in Kapitel und Unterkapitel gut gegliederte Text lässt sehr gut lesen.

Viele Erscheinungen sind klar erfasst und erinnern uns unwillkürlich an Siebenbürgen und Westrumänien. Wenn von der Zugehörigkeit der Diözese Fünfkirchen zum Erzbistum Kalocsa die Rede ist, erinnern wir uns, dass auch die siebenbürgische Diözese dem gleichen Erzbischof unterstellt war. Ebenso, wenn von einer „Handwerker- und Kaufmannsiedlung im Schutze der Kirchenburg“ die Rede ist, bei der sich für gewisse Zeitläufe trotzdem „das Bild einer Ackerbürgerstadt aufdrängt“, muss man unwillkürlich an die geschichtliche Entwicklung der Bischofsstädte Großwardein oder Tschanad denken. Ebenso fallen uns Vorschriften bezüglich des Hermannstädter Dominikanerkloster ein, wenn wir über deutsch-ungarische Konflikten innerhalb des Dominikanerkonventes von Fünfkirchen lesen.

Dabei bringt das Buch auch für den siebenbürgischen Historiker Neues. In diesem Sinn ist im Besonderen das Kapitel zur osmanischen Zeit hervorzuheben. Über diese wissen gerade wir recht wenig, während sich die Ungarn verständlicherweise damit viel intensiver beschäftigt haben. So ist für Fünfkirchen und den zugehörigen ländlichen Raum die Schilderung des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Moslems, Juden und Christen, zwischen Reformierten, Unitariern, Orthodoxen und Katholiken besonders interessant – ein Verhältnis, das 1588 bis zu einer öffentlichen Disputation zwischen Reformierten und Unitariern führte. Das Kapitel basiert selbstverständlich auf den geschichtlichen Tatsachen und ist zugleich mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben. Dadurch lässt sich vieles gut nachvollziehen – zum Beispiel wenn über Fünfkirchen in der Zeit unmittelbar nach der Schlacht von Mohács berichtet wird oder über das langsame Ausbluten des Gebietes vor und in der Türkenzeit. Wie die Verfasser zeigen, blieb Fünfkirchen (wie Temeswar oder Karasebesch) trotzdem ein Umschlagplatz, zumal für Ragusaner Kaufleute, und zugleich ein Verwaltungszentrum – allerdings nur eines Sandschaks.
Das Buch kann als Ausgangspunkt für künftige Forschungen dienen – etwa wenn es einen konkreten Rahmen für die mittelalterliche Entwicklung der Stadt abzeichnet. Anders als in Temeswar oder Großwardein, wo nach der Rückeroberung der Gebiete die Stadt ganz neu und andersartig aufgebaut wurde, hat sich in Fünfkirchen der mittelalterliche Grundriss trotz aller Zerstörungen sehr gut erhalten – eine Tatsache, auf welche die Verfasser hinweisen. Wenn einerseits, im Westen der Innenstadt die „Alte Burg“ mit dem Bischofsitz eine geschlossene Anlage bildet, so ist andererseits im beigegebenen Grundriss im Osten der Innenstadt (zwischen Floriangasse, Komitatsgasse und Nepomukgasse) eine klar geschlossene, in mehreren Etappen entstandene Hospitessiedlung nicht zu verkennen. Deren Rückgrat bilden die Ofenergasse und die Postgasse, während der (Dreifaltigkeits-)Marktplatz bezeichnenderweise neben dieser Siedlung, gegen die Bischofsburg hin liegt, dem geistlichen Zentrum, zu dem die Untere Kapitelsgasse und die Nonnengasse führen.

Auch für die Habsburger Zeit bietet das Buch Denkanstöße, etwa wenn von der Verdrängung der Südslawen die Rede ist, die sich mit Weidewirtschaft beschäftigten, die im Vergleich zum Ackerbau weniger rentabel war; ein solcher, vielleicht weniger ausgeprägter Prozess könnte auch für das Banat von Belang sein.

Schließlich ist auch der Architektur und den Gedächtnisstätten breiter Raum gewidmet, wobei mitunter auch eine Distanzierung der Autoren von den Fakten spürbar wird. So wird nebenbei bemerkt, dass „die osmanische Tradition mit deren Gelehrtenschulen“ (wie im Banat) weitgehend übergangen wird. Dann heißt es mitunter auch sehr diskret, dass die Tatsachen „Spielraum für Spekulationen“ lassen.

In wissenschaftlicher Hinsicht ist das größte Verdienst dieser Abhandlung die Tatsache, dass hier siebenbürgisch-sächsische Forscher auf außersiebenbürgische Entwicklungen eingehen. Deren Kenntnis bringt eine wesentliche Erweiterung unseres Horizontes. Denn erst wenn wir die Verschiedenartigkeit der Entwicklung in anderen, uns trotzdem naheliegenden Gebieten kennen, können wir das Spezifische unserer eigenen Entwicklung erfassen.

Paul Niedermaier


Harald Roth, Konrad Gündisch: „Fünfkirchen / Pécs. Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt“, Böhlau Verlag Wien Köln Weimar, 2010, 170 Seiten, Preis: 19,90 Euro. ISBN 978-3-205-78438-8.

Schlagwörter: Gündisch

Bewerten:

9 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.