24. Februar 2024

ADZ 2024 – Deutsches Jahrbuch für Rumänien

In bewährter Aufmachung und den seit Jahren bekannten Kapiteln mit nur teils ergänzten Überschriften bietet das neue Jahrbuch der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ) die gewohnte große inhaltliche und regionale Vielfalt. Thema sowohl des Titelbildes und als auch des Kalenderteils ist Temeswar, Kulturhauptstadt Europas 2023. Im Folgenden beschränken wir uns auf einzelne Beiträge als Beispiele der inhaltlichen Vielfalt.
Die Einleitung bilden ein Vorwort des Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Dr. Paul-Jürgen Porr, und ein Grußwort des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Dr. Peer Gebauer.

Im ersten Kapitel „Im Dienst der Gemeinschaft“ geht ADZ-Chefredakteurin Nina May in ihrem Beitrag „Unsere Zeitung muss ein Spiegel sein, in den man gerne blickt“ der Frage nach: „Was ist gedruckte Zeitung heute? Ein im Auslaufen begriffenes Medium … Oder kann Zeitung – auch heute noch – mehr sein?“. In einem Rückblick, Einblick und Ausblick über Aufgaben und Möglichkeiten von Zeitung heute, stellt sie fest, dass „Menschen sich… angesprochen fühlen (wollen)“ und kommt zum Schluss: „Wir wollen unsere Leserinnen und Leser nicht auf Konsumenten reduzieren. Dies ist eine Einladung zum Mitmachen … für diese neue werdende Gesellschaft.“ In einem Interview im gleichen Kapitel beschreibt Radu Chivarean, Direktor des „Johannes-Honterus“-Nationalkollegs in Kronstadt, die Lage und Perspektiven der größten deutschsprachigen Schule Rumäniens mit 1 403 Schülern, 54 Klassen und insgesamt über 100 Lehrern. Nicht nur die 100 Prozent Bestehensquote der Absolventen im Abitur in den letzten vier Jahren, die Teilnahme an nationalen und internationalen Projekten sowie den zahlreichen Partnerschulen in Europa, sondern auch die Fortführung der Traditionen, ob Eröffnungsgottesdienst in der Schwarzen Kirche oder Honterusfest u.a., zeichnen die Hontersschule aus. Im Kapitel „Lesen, Literatur, Kulturhauptstadt“ liegt ein Schwerpunkt auf Temeswar als Kulturhauptstadt Europas 2023. Thomas Perle, der von Mai bis September als Stadtschreiber von Temeswar seitens des Deutschen Forums östliches Europa tätig war, gibt in einem Interview seine Erlebnisse und Erfahrungen während dieser Zeit wieder. Der aus dem Wassertal (Maramuresch) stammende Dramatiker war beeindruckt von den vielen neuen Bekanntschaften und Freundschaften, die er gemacht hat, und besonders von der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater Temeswar und dem Jüdischen Staatstheater Bukarest an seinem Stück „Sidy Thal“, das ein dunkles Kapitel der Stadt thematisiert. In einem Blog hat er seine Erlebnisse dokumentiert und als Vermittler gewirkt, so z. B. mit dem Babelsberger Filmgymnasium einen Dokumentarfilm gedreht. Die Stadt beschreibt Perle als „Vielschichtig. Mehrsprachig. Reizend“.

Ein sehr nachdenklicher Text ist Karin Gündischs „Im Zug von München nach Hamburg. Wieder Probleme mit den Rumänen“ im Kapitel „Stadt und Land“. Gemeinsam mit ihrem Mann fährt die Autorin mit dem ICE von München nach Hamburg. Erinnerungen an ein Attentat in einem Regionalzug lassen ein unbehagliches Gefühl aufkommen. Doch die meist jungen Reisenden im Großraumwagen sind mit ihren Smartphones oder Computer beschäftigt. In Halle wird das Personal gewechselt. Alles ist ruhig, als eine Passagierin Unruhe hört und beim Kellner nachfragt, der herablassend feststellt: „Es gibt wieder Probleme mit Rumänen!“ Neugierig geworden erhebt sie sich und folgt einem aufgeregten Gespräch dreier Rumänen mit dem Schaffner, der „stoisch im monotonen Singsang“ wiederholt: „Sie müssen den Zug verlassen! Sie haben geraucht.“ Eine Durchsage fragt nach einem anwesenden Polizisten, woraufhin sich ein Mann meldet, offensichtlich kein Polizist, die drei anherrscht „Raus hier!“. Nach Eintreffen der Polizei verschwindet dieser klammheimlich, die drei folgen der Aufforderung wortlos und die Mitreisenden werden aufgefordert, sich zu melden, wenn sie beschimpft oder beleidigt worden seien. „Schuldgefühle überschwemmten mich…Ich hätte…den Rumänen zu Hilfe eilen müssen. Vor wem hatte ich Angst?“, so die Autorin. „Du kannst die Welt nicht retten“, entgegnet ihr Mann, „aber vielleicht hätten wir den drei Rumänen auf irgendeine Art helfen können“.

Im Kapitel „Lesen, Literatur, Literaten“ beschreibt „Licht aus Rothberg“ das Zusammentreffen des Autors mit Eginald Schlattner anlässlich dessen 90. Geburtstags. Schlattner erzählt, wie er ursprünglich angefangen hatte Theologie zu studieren, um diese ad absurdum zu führen, er zwei Jahre im Gefängnis der Securitate zubrachte und nach 15 Jahren dem Ruf Gottes folgte und ein zweites Mal Theologie studierte. Als Pfarrer in Rothberg predigt er jahrelang vor leeren Bänken, nachdem fast alle deutschen Bewohner des Dorfes das Land verlassen haben. „Ich habe geschrieben aus Verzweiflung“, seine Romane werden Bestseller und so ist „das Augenlicht der Welt auf unsere Kirche gefallen“, so Bischof Reinhart Guib. Schlattner ist auch als Gefängnispfarrer tätig und nimmt sich aller Insassen an, unabhängig von deren Glauben. Ruhestand? „Ein Pfarrer im Ruhestand, sowas gibt es nicht.“

Unter dem Titel „Dejs zunächst fast finstere Miene entspannte sich…“ veröffentlicht Wolfgang Wittstock seinen Briefwechsel mit dem Schriftsteller Hans Bergel, nachdem dieser in einem Artikel von einer Audienz des Schriftstellers Erwin Wittstock beim damaligen mächtigsten Mann Rumäniens Gheorghe Gheorghiu-Dej berichtet. Da weder im Nachlass Erwin Wittstocks ein Hinweis zu finden ist, noch in der Familie etwas bekannt war, führt der Autor in den Jahren 1979 und dann 1999 einen Briefwechsel mit Hans Bergel, in dem der Gesprächsinhalt der Audienz (Dekret 81/18. März 1954, Eigentumsrückgabe) und dessen geschichtliche Bedeutung zur Sprache kommen. Die Kapitel „Heimat, Brauchtum und Mundart“ und „Reisen und Wandern“ beschließen das diesjährige Jahrbuch. Die hier subjektiv ausgewählten Beiträge zeigen nur einzelne Aspekte der inhaltlichen Vielfalt und sollen zur Lektüre anregen.

Alfred Schadt



Deutsches Jahrbuch für Rumänien ADZ 2024, 348 S.; Verlag Honterus, 18,50 Euro zuzüglich Versand, zu bestellen im Erasmus Büchercafé, Hermannstadt, unter ISBN 378345, https://www.buechercafe.ro/artikel.html?q=adz-jahrbuch&idx=15&nummer=118538

Schlagwörter: ADZ, Jahrbuch, Buchbesprechung, Porr, Gündisch

Bewerten:

15 Bewertungen: –

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.