20. Oktober 2010

Horst Göbbel: „Bildung ist Zukunft“

„Bildung hat Siebenbürgen jahrhundertelang an den wisschenschaftlich-kulturellen Fortschritt Mittel- und Westeuropas gebunden.” Siebenbürgen sei jahrhundertelang ein bildungsfördernder Kommunikationsraum verschiedener ethnischer und religiöser Kulturen und Wertesysteme gewesen, „ein wahrer auf Zukunft setzender Bildungstiegel”. Dies stellte Horst Göbbel in einem Festvortrag beim 20. Sachsentreffen am 18. September 2010 in Bistritz fest. Der in deutscher und rumänischer Sprache gehaltene Vortrag wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
„Was man kennt, das schätzt man. Was man schätzt, das schützt man.“ Als wir aus Siebenbürgen gingen – mit unserem schwerwiegenden Erinnerungsgepäck, heimgesucht von der Geschichte, entschlossen zu neuer Lebensgründung –, da war uns allen klar: Wir müssen umsatteln. Wir müssen neue Lösungen finden. Und wir fanden sie im Rüstzeug, das uns im Laufe der Jahrhunderte zugewachsen und wesentlicher Bestandteil unserer Lebensstrategie geworden war: Nicht aufgeben! Am geistigen Erbe, an der Gesinnung, an der Sprache unserer Väter und Mütter festhalten! Immer wieder zum Neubeginn bereit sein!
Den Vortrag zum Thema "Bildung ist Zukunft" hielt ...
Den Vortrag zum Thema "Bildung ist Zukunft" hielt Horst Göbbel am 18. September 2010 im Festsaal des Gewerbevereins in Bistritz. Foto: Michael Weihrauch
Unser Wohlstand nach der Aussiedlung hat viel auch mit unserer Fähigkeit zu tun, vor unerwarteten Veränderungen nicht die Flinte ins Korn zu werfen, sondern uns neu zu orientieren, anzupacken, neue Möglichkeiten gewinnbringend zu nutzen.

Wesentlicher Faktor dabei: Bildung. Bildung hat unsere damalige Zukunft entscheidend mitgeprägt. Sie tut es auch heute. Bildung war somit damals Zukunft, Bildung ist Zukunft, Bildung bleibt Zukunft.

Dabei ist unsere Welterfahrung unauslöschlich mit unserem siebenbürgischen Bildungsweg verbunden. Auch deswegen tragen wir Siebenbürgen in uns.

Wofür ist Bildung nützlich?

Bildung entzieht sich der Kurzlebigkeit von Konjunkturen, Bildung bleibt aktuell, Bildung war und ist ständig Zukunft.

Bildung als unentreißbarer Besitz, als Menschheitsherausforderung, als lebensgestaltende Kraft für alle, entscheidet letztlich über Einkommen, Position, Prestige, Aufstieg. Bildung ist nicht kostenlos, dafür ist sie zu kostbar. Aus der Perspektive des Lebens gesehen, ist Bildung alternativlos. Sozialer Aufstieg durch Bildung ist für mich ein Signum von Lebensfreiheit.

Welche Rolle spielte Bildung in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen?

Bildung wurde bei den Siebenbürger Sachsen recht früh eine res publica, eine öffentliche Angelegenheit. Ihre Schulen entstehen sehr früh und sind bis heute ohne die Kirche als Kulturträger und Bildungsfaktor ersten Ranges nicht denkbar.

Horst Göbbel, Stellvertretender Vorsitzender der ...
Horst Göbbel, Stellvertretender Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen e.V., während seines Vortrages. Foto: Michael Weihrach
„Kein Bollwerk und keine Festung kann eine Stadt so stark machen wie die Bildung ihrer Bürger.“ – Das sagte vor fast 500 Jahren kein Geringerer als Philipp Melanchthon. Für Melanchthon war Bildung Voraussetzung für ein gelingendes Leben. Er inspirierte auch Johannes Honterus, den großen Reformator, als dieser 1541 die Kronstädter Stadtschule in ein „Humanistisches Gymnasium“ im Sinne Melanchthons umwandelte. Es war die erste Schule dieses Typs in Südosteuropa. Nach diesem Vorbild entstanden dann auch in Hermannstadt und Bistritz, später in Schäßburg und Mediasch humanistische Gymnasien. Diese wurden von der geistlichen und von der weltlichen Obrigkeit getragen, ein System, das sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg glänzend bewährt hat.

Die ersten dokumentarischen Hinweise auf siebenbürgische Schulen stammen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Um 1500 werden schon in 85 Prozent der siebenbürgisch-sächsischen Orte Schulen nachgewiesen. In Nordsiebenbürgen – schreibt Dr. Michael Kroner – ist urkundlich erstmals ein „rector scholaris“ im Jahre 1388 in Bistritz erwähnt. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Nordsiebenbürgen vor der Reformation kaum ein sächsisches Dorf gegeben hat, das längere Zeit keine Schule hatte. Im Vergleich zu den anderen rumänischen Landesteilen, wo de facto die allgemeine Schulpflicht erst um 1900 schrittweise eingeführt wurde, war man in Siebenbürgen bzw. im Banat längst erheblich weiter.

Höhere Bildung erwarb man an westeuropäischen Gymnasien und Universitäten. Bis 1530 haben allein an der Uni Wien 1019 junge Sachsen studiert. Link zum Video Festvortrag „Bildung ist Zukunft“ von Horst Göbbel beim 20. Sachsentreffen am 18. September 2010 in Bistritz (ab Minute 28:33) 1565 und dann 1833 wurde neben der Stadtpfarrkirche in Bistritz ein neues Gebäude für das Gymnasium errichtet. Im Jahre 1892 beschloss das evangelische Presbyterium von Bistritz die Errichtung eines modernen Schulneubaus. 1908 wurde der Grundstein zum Neubau gelegt, dessen Errichtung durch freiwillige Spenden vorwiegend der sächsischen Bürger und der sächsischen Geldinstitute sowie durch nicht geringe Zuschüsse der ungarischen Regierung möglich geworden war. Im Sommer 1910 war das Gebäude bezugsfertig, so dass am 8. September desselben Jahres der Umzug ins neue Schulhaus erfolgte. Also vor genau 100 Jahren, wenn auch die feierliche Einweihung erst am 7. Oktober 1911 durch Bischof Friedrich Teutsch vorgenommen wurde. Große Verdienste erwarb sich dabei Direktor Georg Fischer, dessen Urenkelin Elke Flentge ich im Saal herzlich begrüße. Das im Neorenaissance-Stil errichtete evangelische Gymnasialgebäude von Bistritz gehört zu den imposantesten Gebäuden der damals in siebenbürgisch-sächsischen Städten errichteten Schulen und ist bis heute ein wahrer Hort der Bildung geblieben.

Das Jubiläum des Schulneubaus vor 100 Jahren feiern wir heuer zusammen mit dem Jubiläum der ersten, 1870 in Bistritz gegründeten siebenbürgischen Ackerbauschule.

Ist Zukunft das, was auf uns zukommt was wir bewusst gestalten können?

Wir überlassen unser Leben nicht dem Zufall. Uns ist es nicht gleichgültig, wie unser Morgen aussieht. Aus der Vergangenheit schöpfend sind wir daran interessiert, Zukunft zu gestalten. Uns ist daran gelegen, nicht nur dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben. Kompetenz, Erfahrung, Bildung sind dabei unschätzbare Güter. Bildung ist per se zukunftsorientiert. Zukunft entsteht durch Bildung.

Kann Bildung Zukunftssicherung bedeuten?

Die Siebenbürger Sachsen waren Pioniere des allgemeinen Bildungswesens in Europa. Auch viele Nichtdeutsche wurden an ihren Schulen unterrichtet. Vor allem im 19. Jahrhundert haben viele rumänische Jugendliche, aber auch Ungarn, Juden, Armenier und Griechen die sächsischen Schulen besucht. Im Schuljahr 1851/52 z.B. besuchten 8 rumänische Schüler das deutsche Gymnasium von Bistritz, 1856/57 waren es 14, im 1860/61 53 und danach nie weniger als 10, im Schuljahr 1916/17 sogar die Höchstzahl von 72.

Seine prominentesten rumänischen Schüler sind Miron Cristea (1868 -1939), rumänisch-orthodoxer Patriarch, sowie Alexandru Vaida-Voievod (1872-1950), Publizist, Arzt, Politiker (beide waren auch Ministerpräsidenten Rumäniens in der Zwischenkriegszeit).
Blick auf das Publikum im Festsaal des ...
Blick auf das Publikum im Festsaal des Gerbevereins in Bistritz. Foto: Michael Weihrauch
Das heutige deutschsprachige Schulwesen in Siebenbürgen steht in der Tradition des siebenbürgisch-sächsischen Bildungswesens. In Hermannstadt, Kronstadt, Mediasch, Schäßburg, Neumarkt, Bistritz, Sächsisch Reen besuchen zu über 90% nichtdeutsche Schüler diese höheren Schulen. An der Deutschen Abteilung am Nationalkolleg „Liviu Rebreanu“ erhalten derzeit ca. 300 Schüler von der 1. bis zur 12. Klasse Fachunterricht in deutscher Sprache.

Breite Akzeptanz, ja Wertschätzung in der Elternschaft, Mehrsprachigkeit, traditionelle Offenheit und Toleranz, nach wie vor hoher Qualitätsanspruch, das sind Pluspunkte des deutschen Bildungswesens in Siebenbürgen und darüber hinaus.

Bildung als Grundnahrungsmittel des Lebens hat Siebenbürgen jahrhundertelang an den wisschenschaftlich-kulturellen Fortschritt Mittel- und Westeuropas gebunden. Für Siebenbürgen war und bleibt Bildung ein Segen. Bildung war für die Siebenbürger Sachsen auch Zukunftssicherung als Volk. Siebenbürgen war Jahrhunderte hindurch ein wahrhaft idealer bildungsfördernder Kommunikationsraum diverser ethnisch und religiös verankerter Kulturen und Wertesysteme, ein wahrer auf Zukunft setzender Bildungstiegel.

Welche Gemeinsamkeiten sind bei folgenden Persönlichkeiten feststellbar? Johannes Honterus, Reformator; Samuel von Brukenthal, Gubernator und Kunstmäzen; Gheorghe Lazăr, Pädagoge; János Bolyai, Mathematiker; Aurel Vlaicu, Ingenieur und Flugzeugpionier; Iuliu Hațieganu, Mediziner; Prof. Dr. Hermann Oberth, „Vater der Weltraumfahrt“; Stefan H. Hedrich, einer der Erfinder des Transrapid. Sie sind vorbildliche Pioniere, Gelehrte, Wissenschaftler, sie haben in Siebenbürgen Gymnasien absolviert und alle auch an deutschen Universitäten studiert: in Wien, Basel, Halle, München, Göttingen, Heidelberg, Berlin, sie und zahlreiche andere waren zukunftsweisende kreative Köpfe aus dem Bildungstiegel Siebenbürgen.

Ein Abschlussgedanke: Darf das kommunistische Bildungssystem Rumäniens gelobt werden?

Zunächst stand in den sozialistischen Staaten flächendeckende kostenlose Bildung grundsätzlich sowohl Jungen als auch Mädchen gleichermaßen offen – ein Erfolg.

Das kommunistische Rumänien hat trotz massiver ideologischer Einschränkungen und deutlicher Romanisierungsversuche zumindest eines nicht getan: nämlich die deutsche Muttersprache in Bildungs- und Kultureinrichtungen zu verbieten. Wir, die Generationen der in Rumänien sozialisierten Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, wir, die wir etwa nach Deutschland ausgesiedelt sind mit deutschen Sprachkenntnissen, generell mit solider Ausbildung, wir befanden uns auch deswegen von Anfang an auf der Siegerstraße. Unsere Integration in Deutschland, in Österreich wurde dadurch vergleichsweise ein eindrucksvoller Erfolg.

Ich schließe mit einem Bekenntnis von Hannah Monyer, Neurobiologin an der Universitätsklinik Heidelberg. Die 1957 in Großlasseln geborene Wissenschaftlerin erhielt 2004 den mit 1,55 Millionen Euro am höchsten dotierten deutschen Forschungspreis, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis. Hannah Monyer, hochbegabte Schülerin, floh 1975 aus Ceaușescus Diktatur nach Deutschland: „Ich bin eine Sächsin aus Rumänien. In Klausenburg besuchte ich das englische Gymnasium Ady-Șincai. Vieles von dem, was ich später erreicht habe, führe ich auch darauf zurück, … dass ich in diesen zwei Kulturen groß geworden bin: im Sächsischen und im Rumänischen.“

Also bleibt es dabei, wie bei Oberth, Monyer, Bolayi oder Lazăr und vielen, vielen anderen: Bildung war, Bildung ist, Bildung bleibt unsere Zukunft.

Horst Göbbel

Der vollständige Vortragstext ist im Büchlein „WIR NÖSNER – Sonderausgabe 2010“ zu lesen (siehe Siebenbürgische Zeitung Online).

Schlagwörter: Bistritz, Sachsentreffen, Schule

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