24. Februar 2012

Vor 200 Jahren starb der Botaniker Joseph Raditschnig von Lerchenfeld

Als der italienische Universalgelehrte Domenico Sestini (1750-1832) im Jahr 1780 von seiner Reise durch die Walachei nach Siebenbürgen kam und auch in Hermannstadt verweilte, traf er hier auf einen Kreis von Gelehrten, deren Ruf bereits weit über die Grenzen hinausgegangen war. Zu diesem um Samuel von Brukenthal gescharten Kreis gehörte auch der junge Joseph Raditschnig von Lerchenfeld, der 1778 in die Stelle des Direktors der Normalschule in Hermannstadt berufen worden war. Ein weiterer italienischer Gelehrter, Lazzaro Spalanzani (1729-1799), hatte während seiner Siebenbürgenreise im Jahr 1786 den Kreis der Hermannstädter Gelehrten besucht und dabei auch die Bekanntschaft Joseph v. Lerchenfelds gemacht. Dieser wurde dank seiner herausragenden Tätigkeit als Lehrer, Schulleiter, später Oberaufseher aller siebenbürgischen Normalschulen sowie als Publizist, Botaniker und Mineraloge in den „Siebenbürgischen Provinzialblättern“ bereits zu seinen Lebzeiten als „ein verdienstvoller Gelehrter“ gewürdigt.
Seine Wiege stand in Hörzendorf bei Klagenfurt in Kärnten, wo Joseph Mathias Raditschnig als Sohn des Pulvermachers Joseph Raditschnig auf dem so genannten „Edelhammerhof“ am 21. Februar 1753 geboren wurde. Aus dem kinderreichen Elternhaus ging Joseph Raditschnig später nach Klagenfurt, wo er seine Schulausbildung erhielt. Als Hofmeister und Begleiter eines jungen Grafen bereiste er Österreich, Deutschland und Italien und lernte während dieser Zeit Englisch, Französisch und Italienisch. Bald fesselte den jungen, literarisch interessierten Mann die Kaiserstadt Wien, in der er mit Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft zusammentraf. Hier hat er wohl den Botaniker Nikolaus v. Jacquin kennen gelernt, mit dem er auch in späteren Jahren in Verbindung stand. Dank seiner Sprachkenntnisse und seiner literarischen Begabung beschäftigte er sich mit Übersetzungen, schrieb selbst Gedichte und verfasste im Geiste der Aufklärung Beiträge zum „Wiener Musenalmanach“. Ab 1774 bot sich für ihn die Möglichkeit, eine Lehrerausbildung zu machen und dann in der Niederösterreichischen Schulkommission an der Erstellung von Schulschriften mitzuwirken. 1778 erhielt er die Berufung in die Stelle des Direktors an der 1777 gegründeten Normalschule in Hermannstadt. Vertretungsweise übernahm er auch die Stelle des Oberaufsehers aller siebenbürgischen Normalschulen, die er dann hauptamtlich ab 1787 bis an sein Lebensende inne hatte. In die Hermannstädter Gesellschaft gliederte er sich rasch ein, nicht zuletzt auch durch seine Heirat mit der Tochter Magdalena des damaligen Hermannstädter Bürgermeisters Johann Georg von Honnamon. Wann er sein Adelsprädikat erhielt, ist nicht bekannt, Tatsache ist jedoch, dass er in Siebenbürgen unter dem Namen Joseph v. Lerchenfeld bekannt wurde und als solcher auch in die Geschichte einging.
Franz Neuhauser: Bulea Wasserfall (um 1794) ...
Franz Neuhauser: Bulea Wasserfall (um 1794)
Sein voller Einsatz galt der Entwicklung der Normalschule zu einer staatlichen Musterbildungsstätte. In diesem Sinne machte er Vorschläge für praktischen, landwirtschaftlichen Unterricht in schuleigenen Gärten, förderte die Begründung und Entwicklung von naturkundlichen Schulsammlungen als Anschauungsmaterial und befürwortete den natur- und heimatkundlichen Unterricht. Als Oberaufseher aller siebenbürgischer Normalschulen war v.Lerchenfeld nicht nur für die inhaltlich-fachliche Inspektion verantwortlich, sondern er kümmerte sich auch um das Einkommen der Lehrer, die sozialen Verhältnisse der Schüler sowie das Zusammenleben der Nationalitäten.

In Hermannstadt erlebte er den Aufschwung der Naturwissenschaften, an dem er selbst aktiv beteiligt war. Dieser Aufschwung war von der auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Denkweise der Aufklärung und den bahnbrechenden Werken Linnés bestimmt. Im Geiste der Aufklärung stand auch v. Lerchenfelds redaktionelle Tätigkeit der ab 1784 bei Martin Hochmeister gedruckten „Siebenbürgischen Zeitung“, die er zusammen mit Michael Lebrecht und Joseph Carl Eder herausgab, sowie seine Beteiligung an der „Siebenbürgischen Quartalschrift“ (1790-1801).

Mit J. C. Eder verband v. Lerchenfeld auch das gemeinsame Interesse für Mineralogie und Botanik. Diese beiden Wissenschaften standen auch im Blickpunkt der Hermannstädter Freimaurerloge „Zu den drei Seeblättern“, die auf die Pflege der Naturwissenschaften ausgerichtet war. Doch ungeachtet seiner Mitgliedschaft in der Freimaurerloge, der er erst ab 1790, ein Jahr vor ihrer Auflösung angehörte, hatte sich Lerchenfeld bereits viele Jahre davor mit botanischen Forschungen und mit Mineralogie befasst. Lerchenfelds Reisen, die er als Oberaufseher aller Normalschulen in die verschiedenen Teile Siebenbürgens unternahm, boten hervorragende Möglichkeiten auch für botanische und mineralogische Forschungen. Als Anerkennung seiner mineralogischen Tätigkeit gilt auch seine 1798 erfolgte Aufnahme in die Herzogliche Mineralogische Gesellschaft Jena. Auch Brukenthals Sommerresidenz in Freck diente oft als Ausgangspunkt für botanische Streifzüge in die nahen Südkarpaten. Viele seiner Exkursionen unternahm Joseph Raditschnig v. Lerchenfeld mit dem ihm befreundeten Apotheker-Botaniker Peter Sigerus, mit dem er auch ein Vorhaben zur Anlage eines Herbarium vivum, ein Belegherbar in mehreren Exemplaren, verwirklichen wollte. Dieses Herbar sollte den Apothekern zur Vertiefung ihrer Kenntnisse über die heimische Pflanzenwelt dienen und dadurch die Möglichkeit bieten, einheimische Pflanzen zu Heilzwecken zu sammeln, um die teuren Importe zu vermeiden. Als J.Ch.G. Baumgarten aus der Niederlausitz 1793 nach Hermannstadt kam, konnte ihn Lerchenfeld auf Grund seines umfassenden Wissens in die siebenbürgische Pflanzenwelt einführen. Baumgarten widmete dem Andenken Lerchenfelds später in seiner Flora Siebenbürgens (1816) seine neu entdeckte Silene lerchenfeldiana.

Lerchenfelds Flora, die eine Beschreibung von 400 Arten umfasste, war um 1790 bereits sehr weit gediehen. Als nächster Schritt zu ihrer Fertigstellung entstanden in den Jahren 1791-1794 vorwiegend aus der Hand des ihm befreundeten Malers Franz Neuhauser d. J. kunstvolle, naturgetreue, in Gouache gemalte Pflanzen, die meist typisch siebenbürgische Arten darstellten. Außer den Blütenpflanzen entstanden auch Illustrationen zu Lerchenfelds Beobachtungen über Pilze „Observationes ad fungos“. Das Manuskript zu Lerchenfelds Flora ist leider spurlos verschwunden. Die Herausgabe des erwähnten Herbarium vivum, zu dessen Fertigstellung die Landesregierung den beiden Botanikern Lerchenfeld und Sigerus für ihre Sammelreisen ein Vorgespann zur Verfügung gestellt hatte, war schließlich an einem Finanzpatent des Landtages im Jahr 1810 gescheitert.

So haben unterschiedliche Umstände materieller, gesundheitlicher und auch politischer Art Joseph v. Lerchenfeld daran gehindert, die Ergebnisse seiner langjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit zu veröffentlichen. Als er vor nunmehr 200 Jahren am 16. Januar 1812 im Alter von nur 59 Jahren starb, war lediglich sein Verzeichnis von Bäumen und Sträuchern Siebenbürgens in der Arbeit Johann Gottlieb Zieglers über das Waldwesen in Siebenbürgen „Dissertatio de re sylvestri“ 1806 im Druck erschienen. Es blieb seinen Nachfolgern überlassen, Lerchenfelds Leistungen für die Wissenschaft zu würdigen. Der Botaniker Ferdinand Schur hat Mitte des 19. Jahrhunderts Teile aus dem Nachlass ausgewertet und bekannt gemacht. Lerchenfelds Untersuchungen über Pilze wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Klausenburger Professor August Kanitz in Zusammenarbeit mit Stephan Schulzer v. Müggenburg ausgewertet und daraus 6 für die Wissenschaft neue Arten beschrieben. Ein 16 Faszikeln mit über 1800 Bögen umfassendes Herbar, gehört auch heute zum Bestand der klassischen Sammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums in Hermannstadt, ebenso wie ein fünfbändiges „Herbarium vivum“. Sein Name steht im Fries der Eingangshalle des Museums zusammen mit anderen geistigen Vätern der Naturwissenschaften in Siebenbürgen.

Erika Schneider


Hinweis zu Neuhausers Bild

„Gemalt auf Veranlassung von Peter Sigerus (Mitte des Bildes mit Tasche) zur Erinnerung an den mit dem Professor am Staatsgymnasium in Hermannstadt Lerchenfeld gelegentlich eines naturwissenschaftlichen Ausfluges aufgeführten Scherz, wonach der den Professor auf dem Rücken tragende Rumäne in der Mitte des Baumstammes angelangt, den ängstichen Professor mit den Worten „nu mai pot“ (=ich kann nicht mehr) mit dem Abgleiten ins Wasser erschrecken sollte“. Links von Sigerus stehend J.C. Eder und sitzend Dr. Baumgarten.

(Notiert von Julius Bielz auf der Rückseite des Bildes nach Erzählung des Vorbesitzers Emil Sigerus; gegenwärtig im Besitz des Brukenthal Museums Hermannstadt)

Bewerten:

14 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.