14. Oktober 2012

Wie aus Otilia Ana wurde / Essays von Ana Blandiana

Zwischen dem ersten Gedicht, für das der 17-Jährigen ein Schreibverbot auferlegt wurde, und ihrem runden Geburtstag in diesem Jahr liegen 53 Jahre, in denen die Schriftstellerin, Lyrikerin, Essayistin Ana Blandiana 48 Bücher veröffentlicht hat und ihre Werke in 24 Sprachen übersetzt wurden. „Dieser Jubiläumsband zu ihrem 70. Geburtstag soll die Vielseitigkeit der Schriftstellerin dokumentieren“, schreibt die Herausgeberin Katharina Kilzer in ihrem Vorwort zu „In einer spanischen Herberge“. Der erste Teil des schmalen Bandes enthält Texte von, der zweite Texte über Ana Blandiana, die am 15. März 1942 in Temeswar als Otilia-Valeria Coman geboren wurde.
Nach dem Einstieg mit dem Essay Fragmente über mich selbst, in dem sie erklärt, wie sie zu ihrem Künstlernamen kam („aus der Notwendigkeit der Camouflage“), gewähren die Texte im ersten Teil einen Einblick in Blandianas Gedankenwelt: Zensur, Literatur und immer wieder Freiheit sind die Themen, die sie umkreist, zu fassen, zu verdeutlichen versucht. „Sie, die Freiheit, ist nicht gut und nicht böse, ist nicht gefährlich und nicht wohlwollend, ihre Eigenschaften hängen immer von dem ab, was man hineintut“, schreibt sie in Die unsichtbare Freiheit und folgert: „Letztendlich geht es nicht um die Frage, was Freiheit ist, sondern was wir sind und wie wir mit ihr umgehen.“ Die Wichtigkeit der Verantwortung des Einzelnen, die hier anklingt, zeigt sich deutlich in ihrem persönlichen Engagement für das Memorial Sighet, eine Gedenkstätte in der kleinen Stadt Sighetu Marmației im Norden Rumäniens, über die sie im Essay Kann man Erinnerung lernen? schreibt. Dieses „Handbuch der Erinnerung“, die „Fibel, die uns das ABC der Erinnerung lehrt“, wie Blandiana die Gedenkstätte nennt, ist auf den Ruinen eines ehemaligen politischen Gefängnisses errichtet worden und nicht nur Mahnmal, sondern ebenso Museum und bedeutende Begegnungs- und Forschungseinrichtung zum Kommunismus.

Interessante Beobachtungen macht sie auch An einer Bushaltestelle: „Es ist schon seltsam, welch günstiger Ort eine Bushaltestelle ist, um zu beobachten, dass sich die verändernde Welt, gleich wie unterschiedlich, aus den gleichen Scherben immer neu zusammenfügt.“ Stoff für einen Essay bietet ebenfalls ein Aufenthalt im Schriftstellerhaus in Neptun am Schwarzen Meer: Eis-Architektur ist so besonders, weil Blandiana zum Schreiben partout im Winter ans Meer wollte. Die eigenartige Stimmung skizziert sie auf wenigen Seiten so glasklar, dass man sich selbst in der Villa am Meer wähnt, mit ihr Tütensuppe isst und aus dem Fenster schaut, vor dem sich die Wellen türmen.

Mehr als einen Text pro Tag sollte man nicht lesen, denn man braucht ein wenig Zeit, um Blandianas Gedanken nachzuspüren und ihre Ein- und Ansichten in sich zum Klingen zu bringen. Für die Prosa in diesem Band gilt, was Hans Bergel in seiner Würdigung der Dichterin zum 70. Geburtstag in dieser Zeitung (SbZ Online vom 15. März 2012) über ihre Lyrik schreibt: „Abgründig und zugleich fasslich, mythisch und zugleich modern.“

Die sehr persönlichen Texte im zweiten Teil des Buches sind kleine lyrisch-literarische Kunstwerke, Skizzen über Ana Blandiana von der Publizistin Maria Herlo, die über Begegnungen mit der Schriftstellerin schreibt, von Dr. Helmut Müller-Enbergs, der die Früchte von Anas Ernte begutachtet, und von Katharina Kilzer, Herausgeberin des vorliegenden Bandes, die einen Besuch in Blandiana gemacht hat, dem Dorf, das Otilia-Valeria Coman ihren Namen gab und eine „wundersame Welt“ ist: „unerschlossene Naturpfade, ein Wildbach, der über hervorquellende Äste und glitzerndes Gestein ins Tal hinab fließt, Holzbrücken, schmale Hängebrücken und Stege zum Bach, kleine rote, blaue und weiße Häuschen, verborgen hinter viel zu großen Zäunen, die die prallbedeckten Pfirsich- und Mirabellen-, Kirsch-, Aprikosen- und Nussbäume sowie sonstiges Gebüsch und Gestrüpp verstecken. Eine Enten- und Gänseschar watschelt die Gasse entlang. [...] Hier trifft Idylle Geschichte, Natur Vergangenheit und Gegenwart und sie verschmelzen miteinander.“ Die gebürtige Banaterin Kilzer hat in ihrem Text ein Stück Blandiana eingefangen und so einen würdigen Abschluss für diesen Essayband gefunden, der ein Querschnitt durch das Werk der Schriftstellerin ist – eben auch ein Stück Blandiana.

Doris Roth


Ana Blandiana, „In einer spanischen Herberge. Essays“, herausgegeben von Katharina Kilzer, Edition Noack & Block, Berlin, 2012, 128 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-86813-010-2.

Am 26. Oktober wird das Buch „In einer spanischen Herberge“ in Heidelberg vorgestellt: SbZ Online vom 9. Oktober 2012.
Ana Blandiana: In einer spanis
Ana Blandiana
Ana Blandiana: In einer spanischen Herberge: Essays

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Schlagwörter: Blandiana, Essayband, Rezension

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