25. November 2012

Die Wahrnehmung Siebenbürgens und des Banats in Europa

Im siebenbürgischen Kallesdorf/Arcalia/Árokalja trafen sich zwischen dem 26. August und dem 2. September 2012 rund 30 Studierende und junge Wissenschaftler aus ganz Europa zur 27. Internationalen Siebenbürgischen Akademiewoche von Studium Transylvanicum. Die Tagung wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Institut für deutschsprachige Lehre und Forschung an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca, dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg und dem Archiv der Honterusgemeinde (AHG) Kronstadt veranstaltet.
Das Thema lautete: „Die europaweite Rezeption Siebenbürgens und des Banats in Geschichte und Gegenwart“. Ein Schloss im mauro-byzantinischen Stil, das vor der Enteignung der ungarischen Adelsfamilie Bethlen gehörte und sich aktuell im Besitz der Universität Klausenburg/Cluj-Napoca/Kolozsvár befindet, diente als Tagungsstätte.

Den Anfang machte DR. ENIKÖ DÁCZ (Andrássy-Universität Budapest). Sie sprach über das Siebenbürgen-Bild des siebenbürgisch-sächsischen Journalisten und Politikers Lutz Korodi (1867-1954), der aufgrund seiner Konflikte mit der ungarischen Regierung in der Nationalitätenpolitik die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg im Berliner Exil verbrachte. FRANK BAUER (Univ. Tübingen) stellte daraufhin sein Promotionsvorhaben über die Wahrnehmung der im Königreich Ungarn lebenden deutschen Minderheiten im deutschen Sprachraum 1848-1914 vor. Bauer konzentriert sich dabei auf Reiseberichte, Reiseführer und Reisehandbücher, z. B. den Baedeker.
Die Teilnehmer der 27. Siebenbürgischen ...
Die Teilnehmer der 27. Siebenbürgischen Akademiewoche vor dem Bethlen-Schloss in Kallesdorf. Foto: Thomas Șindilariu
DR. DR. GERALD VOLKMER (IKGS an der LMU München) stellte das Siebenbürgen-Bild des Informationsbüros vor, das von 1877 bis 1908 im k.u.k. Außenministerium für die Sammlung und Auswertung politischer Auslandsinformationen zuständig war. Volkmer arbeitete die Beeinflussung des Siebenbürgen-Bildes der österreichisch-ungarischen Diplomaten durch die Berichte der in Siebenbürgen und Rumänien tätigen Agenten des Informationsbüros heraus.

Den ersten Sitzungstag schloss das Referat MIRCEA ABRUDANS (Univ. Klausenburg) über das Siebenbürgen-Bild des rumänischen Nationalhistorikers Nicolae Iorga vor dem Ersten Weltkrieg ab. Im Zentrum stand Iorgas Bericht über seine Siebenbürgen-Reise im Jahr 1906, der sich auf die Lage der siebenbürgischen Rumänen konzentrierte. Der zweite Tag der Akademiewoche stand im Zeichen der Presse und der Literatur. NORA CHELARU (Univ. Jassy) referierte über die deutschsprachige Presse in der Bukowina und deren Berichterstattung über Siebenbürgen. Erste deutsche Zeitungen wurden in der Bukowina in den 1860er Jahren gegründet, die enge Beziehungen zur siebenbürgischen Presse unterhielten.

FRIEDERIKE MÖNNINGHOFF (Univ. Bremen) untersuchte die Wahrnehmung Rumäniens und der Revolution von 1989 durch die deutsche Presse. Stereotype Darstellungen, wie etwa die „rumänische Grausamkeit und Despotie“, gesellten sich zur Dämonisierung Ceaușescus. SILVIA PETZOLDT (Univ. Jena) verglich in ihrem Vortrag das literarische Werk des Sachsen Paul Schuster mit jenem des Ungarn András Sütő, vor allem die darin vorkommenden imaginären Bilder vom Anderen. Beide wuchsen als Angehörige einer Minderheit in Siebenbürgen auf und verarbeiteten in ihren Werken die Erinnerungen an ihre Kindheit im Nachkriegsrumänien. Am Nachmittag berichtete der Dichter und Filmemacher FRIEDER SCHULLER (Berlin) über die Rezeption seiner siebenbürgischen Heimat und seine Erfahrungen als Journalist und Schriftsteller im kommunistischen Rumänien. In einer angeregten Diskussion mit der Berliner Literaturwissenschaftlerin MICHAELA NOWOTNICK beschrieb er die alltäglichen Freiräume, die ihm die liberaleren Jahre des Ceaușescu-Regimes (1968-1978) ermöglichten, aber auch die Überwachung durch den Geheimdienst Securitate, dem er so manchen „Streich“ spielen konnte. Nach seiner Ausreise 1978 in die Bundesrepublik Deutschland kehrte er öfters nach Siebenbürgen zurück, um seiner Heimat in Dokumentationen und Spielfilmen ein Denkmal zu setzen.

Am Mittwoch, dem 29. August, stand eine Tagesexkursion nach Klausenburg auf dem Programm. Nach dem Empfang beim Rektor der Universität Klausenburg, Prof. Dr. Ioan Aurel Pop, führte die Historikerin Dr. Edit Szegedi die Tagungsteilnehmer fachkundig durch diese kulturell, ethnisch und konfessionell vielfältige Stadt. Der Donnerstagmorgen des 30. August war der Wahrnehmung der rumänischen Roma gewidmet. PAVAO HUDIK (Berlin) präsentierte unter dem Titel „Rumänen in Berlin: Arbeitsbilder eines Berliner Psychologen“ seine Erfahrungen mit den aus Rumänien stammenden Roma. Durch die anschauliche Art des Vortrages konnten die Zuhörer die konkreten Schwierigkeiten, sowohl der Roma als auch der Sozialarbeiter, leichter erfassen. Diese Ausführungen ergänzte CRISTINA NASTASE (Berlin) in ihrem Vortrag „Die öffentliche Wahrnehmung der rumänischen Roma in Berlin in Rundfunk und Presse“. Anhand von Zeitungsartikeln und kurzen Videoausschnitten zeigte sie, wie die Medien entweder ein demagogisches/rassistisches oder ein philanthropisches/beschönigendes Roma-Bild entwerfen, die beide gleichsam gefährlich sind, weil sie der Realität nicht entsprechen und weder den Berliner Bürgern noch den Roma helfen, konkrete Maßnahmen zu einem reibungslosen Zusammenleben zu ergreifen. MELANI BARLAI (Budapest) stellte die „Roma-Politik im europäischen Vergleich“ vor. Dabei wurden die Unterschiede in den einzelnen Staaten der Europäischen Union bezüglich der Minderheitenschutzgesetze oder der Gesetze zum Schutz der Roma-Minderheiten deutlich.

Am Nachmittag wurde – auf Pferdewägen – die sächsische Kirchenburg Lechnitz erreicht, die sich heute im Besitz der reformierten ungarischen Gemeinde befindet. Nach deren Besichtigung folgte eine Führung durch die örtliche Weinkellerei. Höhepunkt der Exkursion war die Besichtung der romanischen Basilika von Mönchsdorf. Die kunsthistorische Bedeutung des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Baus erläuterte der Akademieteilnehmer ROBIN GULLBRANDSSON (Landesmuseum Jönköping/Schweden).

Den nächsten Tag leitete der Vortrag von ANGELIKA BEER (Berlin) ein: „In der Begegnung mit Anderen sich selbst verorten – Beobachtungen von Georgius de Hungaria im Osmanischen Reich des 15. Jahrhunderts“. In seinem Werk Tractatus de moribus, condictionibus et nequicia Turcorum berichtet der aus Siebenbürgen stammende Georg über seine im Osmanischen Reich – zwangsweise – verbrachte Jugend. Angelika Beer untersuchte anhand dieser ersten umfassenden Beschreibung des Osmanischen Reiches durch einen „Abendländer“ dessen Bild vom Christentum und vom Islam.

Den Bogen zum Banat schlug IOANA SCRIDON (Univ. Klausenburg) in ihrem Vortrag „Die Geschichte der Zipser im Banater Bergland – eine historisch-geographische Perspektive auf die Kolonisierungsprozesse“. Scridon verdeutlichte, wie die Verschmelzung der aus der Zips stammenden Deutschen mit den österreichischen Kolonisten in den Bergbaukolonien des Banats neue Bräuche und kulturelle Ausdrucksformen schuf. STÉPHANIE DANNEBERG (LMU München) stellte das Bild des Banats und Siebenbürgens in den französischen Schriften des späten 18. und des 19. Jahrhunderts vor. Im Zentrum stand insbesondere das Bild des interethnischen Verhältnisses, vor allem in den Texten von Desfeuilles/Lassaigne und Auguste de Gérando. Obwohl die französischen Reiseberichte des 19. Jahrhunderts nie frei von Stereotypen waren, z.B. der „rein“ erhaltenen Latinität der Rumänen, zeigte Stéphanie Danneberg, dass sich die Autoren um Sachlichkeit bemühten.

PHILIPPE BLASEN (Centre de Documentation sur les Migrations humaines, Luxemburg), referierte über „Die Siebenbürger Sachsen im Blick der Luxemburger“. Blasen versuchte darzustellen, dass das Interesse der Luxemburger an den Siebenbürger Sachsen und deren Urheimatthese, die besagt, dass die Sachsen aus Luxemburg stammen, hauptsächlich zwei Gründe hat. Einerseits litt die Luxemburger Elite am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts an den territorialen Verlusten des Großherzogtums und freute sich über die Existenz einer „Kolonie“ in Siebenbürgen. Andererseits nützten die Luxemburger Intellektuellen das an die Urheimatthese gebundene Interesse der Siebenbürger Sachsen an der luxemburgischen Sprache, um sich von diesen eine luxemburgische Linguistik erarbeiten zu lassen.

Zum Abschluss des wissenschaftlichen Teils der Tagung sprach MARINEL KOCH-TUFIS (Graz) über „Die Wahrnehmung der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Lage Siebenbürgens und des Banats durch ‚Staatsdiener‘ in den 1770er Jahren“. In seinem Vortrag verglich er die Berichte zweier „Staatsdiener“ Kaiser Josefs II. über die kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen und strategischen Merkmale Siebenbürgens und des Banats und rekonstruierte das Bild, welches die österreichische Obrigkeit zu der damaligen Zeit von diesen Regionen hatte.

Am Samstag, dem 1. September, besuchten die Akademieteilnehmer Bistritz, durch das Thomas Hartig vom Demokratischen Forum der Deutschen führte. Auf der Rückreise wurden die Kirchenburgen von Senndorf, Deutsch-Budak sowie Minarken besucht, die Robin Gullbrandsson kunsthistorisch erläuterte.

An dieser Stelle gebührt zwei Förderern Dank, die diese Akademiewoche erst durch ihre finanzielle Zuwendung möglich gemacht haben. Neben dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. an der LMU München ist hier das Haus des Deutschen Ostens München zu nennen. Für die Vorbereitung und Durchführung sei stellvertretend für das gesamte Organisationsteam Petra Rezac gedankt.

Frank Bauer, Philippe Blasen

Schlagwörter: Akademiewoche, Studium Transylvanicum, Landeskunde

Bewerten:

18 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.