7. Februar 2013

In vino veritas

Das wohl Beste am neuen Filmbündel von Günter Czernetzky „In vino veritas“ scheint seine Titelaussage zu sein: „Im Wein liegt die Wahrheit“. Der Film, nein, die zahleichen Filme dieser neuesten DVD beschönigen nichts. Sie zeigen den rapiden Niedergang einer jahrhundertelang niveauvollen Weinkultur im siebenbürgischen Weinland. Statt Wein gibt es dort das Weinen, siehe auch den Untertitel: „Weinland ohne Weinberge“. Bis auf löbliche Ausnahmen.
Die Serie ist Dr. Hans Ambrosi (1925-2012) gewidmet. Kenner wissen, wer Ambrosi war. Wer es nicht wusste, weiß es auch nach Ansehen des Films nicht. Das Muster der meisten Filme ist: Eine Totale des jeweiligen Ortes und die Kirche, öfters aus verschiedenen Positionen gefilmt, alles untermauert mit fast stereotypen Sätzen zur Gründung und Geschichte des jeweiligen sächsischen Dorfes bzw. der Kirche und der früheren deutschen Bewohner des Ortes, manchmal monoton, manchmal einladend gesprochen, leiten über zum Thema Weinbau. Dabei spielt der Weinbau zumindest bei den gezeigten und interviewten Personen eine wichtige Rolle. In unterschiedlichen Facetten. Eine Konstante dabei: Früher waren diese Orte berühmt durch ihren Weinbau, seit die Sachsen weggezogen sind, ist auch der Weinbau fast überall zu Ende. In Birthälm („Vom Bürgermeister zum Winzer“) gab es ca. 300 ha Weinberge, heute wohl noch etwa 1 ha.
Die neuen Bewohner der Dörfer beklagen meist die Auswanderung der Sachsen: „Die Sachsen haben gearbeitet und sie hatten Erträge. Heute sind andere Menschen hier, die nicht arbeiten wollen, die lieber stehlen. Alles, was ihnen in die Hände fällt. Die Polizei? …“, meint Traian Vesa aus Almen („Tagediebe und Räuber“). In Bogeschdorf („Der „heruntergekommene“ Investor“) versucht Helmut Gaber als Sommer-Rückkehrer den Weinbau wiederzubeleben. In Bulkesch („Von Reben und Schweinen“) hält Vasile Călugăr fest: „Die Sachsen waren ein fleißiges Volk, sie haben überlegt gehandelt, sie hatten mehr Vernunft, sie waren maßvoll, nicht wie wir Rumänen. Der Rumäne, was er auch hat, er lässt los, ob es gut ist oder nicht …“. Ionel Lăpădatu (80) aus Durles („Ein Sänger als Winzer“) weiß zu erzählen, wie sehr Wein, Weib und Gesang zusammenhängen. „Der liebende Trinker“ in Hetzeldorf belegt ungewollt auch die negativen Seiten des übermäßigen Trinkens (und Rauchens): Alkoholismus ist das Ergebnis. In Langenthal wirbt ein rumänischer Patriot für seine Ethnie („Ein Winzer als Dichter“), während in Meschen („Din tată-n fiu“ – Vom Vater zum Sohn), gezeigt wird, was man bezüglich Weinbau von den Sachsen lernen konnte. In „Mortesdorf blüht auf“ – eine wirklich geglückte Episode – wird einerseits festgehalten, dass „mit den Sachsen auch der Weinberg verschwunden“ ist, aber die Rückkehr zum Sachsentreffen im August 2012, die dabei zu vernehmenden freudigen und ernsten Töne sind ein Glanzlicht. „Es war einmal in …“ Großprobst­dorf, da gab es noch Sachsen als Weinbauern, da gab es noch Weinberge voller Weinstöcke, heute trinkt man eher Bier. In der ehemals berühmten Weinbaugemeinde Reichesdorf („Ein Winzer – ein Original“) gibt es noch den einen oder anderen Sachsen, auch Sommersachsen, die die Pracht des Weinbaus durchschimmern lassen, aber „die Weinbauterrassen sind heute Schafweide“. In Kleinschelken („Wunden der Winzer“) erstellen Martin und Georg Draser ein erfahrenswertes Panorama der Weinbaukunst in ihrem Heimatdorf bis zu dessen Untergang nach 1990. Dagegen blüht in Seiden (Jidvei) der Weinbau. Ein beherzter Umbruchsgewinner, Liviu Necsulescu, führte exzellente Weinbaubedingungen und Weinbautradition mit zeitgemäßem Unternehmertum zusammen und besitzt einen der modernsten und renommiertesten Weinbaubetriebe Rumäniens. („Ein Bojar als Winzer & Wohltäter“). Er zeigt stolz sein Weinbauimperium (2000 Arbeitsplätze, 4500 Flaschen pro Stunde werden abgefüllt) und verkündet fast wie ein rumänischer Politiker: „Mich interessiert nicht das Geld, mich interessiert, etwas für die Gemeinschaft zu tun.“ Seiden kann allerdings die eindeutige Tendenz in den ehemals sächsischen Dörfern des Weinlandes nicht umkehren. Dennoch: Auch der Verfall hat seinen Reiz.

Die beigefügte Bonus-DVD hat es in sich: Hier sind einige beispielhafte Beiträge, die viel vom möglichen Groll über den allgemeinen Niedergang des Weinbaus in früher sächsischen Orten des Weinlandes relativieren: Etwa der herrliche Beitrag über das Heimattreffen im August 2012 in Mortesdorf. Oder der Film über das solide Weinbauprojekt von Heiner Oberrauch „Villa Vinèa – Castel Vinum Mica“. Er zeigt die auch in Siebenbürgen präsente Wandlungsfähigkeit. Und die Szenen aus dem beispielhaften Film von 2007 „Schönau – Ein Dorf fährt heim“, profihaft erarbeitet (Aufnahmen, Schnitt, Musik, Kommentar) von Bernhard Ebner, mit seiner weit ausgreifenden Reportage über das Dorf, seine Geschichte, seine Weinbauzukunft, über den harten Kampf im Bereich Rückgabe von Vermögen an die Kirche, seine leise Hoffnung auf Rückkehrer, … und ein wiederbelebtes, außerhalb Schönaus kaum bekanntes Rinnenfest. Lediglich der Schlusssatz liegt dem Schreiber dieser Zeilen schwer im Magen: „Es wird wohl das letzte Mal sein, dass das Rinnenfest in Schönau gefeiert wird. Das sehen die Sachsen so, aber auch die Rumänen. Nicht nur Tradition und Brauchtum gehen verloren, mehr noch, eine Lebensart, die es nur in Siebenbürgen gab, stirbt mit einer alten europäischen Kulturlandschaft.“ Warum so viel Pessimismus? Den hinterlassen nicht einmal die Weinszenen im Film „Wunden“ aus Reichesdorf 1994 oder die prägnanten Aussagen des Weinbaukenners Johann Schaas aus dem gleichen Ort in der Episode von 2011 „Mein Dorf, meine Kirche und meine Geschichten“. Zum Abschluss wird der Mediascher Hermann Oberth als „ein Siebenbürger auf dem Weg …“ ins All organisch eingebaut.

Die einzelnen Beiträge, wieder von Student(inn)en der Universität „Lucian Blaga“ aus Hermannstadt erarbeitet, zeigen viel Einfühlungsvermögen und beachtliche Qualität. Das Projekt wurde gefördert über das Haus des Deutschen Ostens München sowie vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Unverkennbar bleibt das lobenswerte und größtenteils erfolgreiche Bemühen von Günter Czernetzky, siebenbürgisch-sächsische Landstriche unserer Tage von jungen rumänischen Filmemachern filmisch festzuhalten.

„In vino veritas“ erscheint trotz anfänglicher Schwachstellen insgesamt als eine ausgesprochen wertvolle, weil sehr realistische Filmproduktion. Wie schon öfters bei Günter Czernetzky kritisch angemerkt: Durch das Fehlen von Untertiteln bei den meisten rumänisch sprechenden Akteuren wird der Kreis der potentiellen Zuschauer stark eingeschränkt.

Horst Göbbel



Die DVD „In vino veritas“ (mit Bonus DVD), Variante RO/DE (Laufzeit 120 Minuten) kann zum Preis von 15 Euro (zzgl. Porto) bestellt werden via Mail: rubiconGbR[ät]gmx.de, oder postalisch bei Bettina Schubert, Fritschestraße 77, 10585 Berlin, in Notfällen unter Telefon: (0179) 1176456.

Schlagwörter: DVD, Czernetzky

Bewerten:

114 Bewertungen: o

Neueste Kommentare

  • 08.02.2013, 06:54 Uhr von orbo: Ich fin de dieses Mal den Beitrag von Horst Goebbel durchaus ausgewogen, wenn auch positiver als ... [weiter]
  • 07.02.2013, 12:49 Uhr von azur: Hoffentlich steht diese tolle (und vermutlich kostenlose?) Werbung für Herrn Czernetzkys Geschäfte, ... [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.