5. November 2013

Horst Samsons neuer Gedichtband: „Im löchrigen Boot des Exils“

Der Banater Schriftsteller Horst Samson kann dichten, wie er selbst zuweilen betont. Im Unterschied zum Teufel. Im Buch „Kein Schweigen bleibt ungehört“ (seinem zweiten Gedichtband im Pop Verlag Ludwigsburg) versammelt er größtenteils unveröffentlichte Gedichte aus der Zeit in Rumänien sowie aus jener nach seiner Auswanderung in die Bundesrepublik. Vereinzelt geben Jahreszahlen einen Hinweis, aus welcher Periode die Gedichte stammen.
Das Manko des Gedichtbandes ist so gewollt, es ist eine lose ungeordnete Sammlung, die verwirrend wirkt, aber der Dichter erklärt es in der Nachbetrachtung damit: „Auch ich war in jener Zeit nicht chronologisch geordnet“ (S. 153). Daraus kann aber auch ein Vorteil erwachsen, denn die Erfahrung des Exils wird so näher gerückt an die Erfahrung der Fremdheit im eigenen Land. Und so verwischen sich die Zustände zu einer allgemeinen existenziellen Malaise. Schon das erste Gedicht „Exil“ bringt diese zur Sprache: „Die Fremde rast durchs Gehirn, das Nichts/ Zwischen zwei Sprachen/ Auf dem gespannten Faden. Wo willst du hin?“ (S. 7). Es ist 1987, im Jahr der Emigration, entstanden und könnte hüben wie drüben „zu Hause“ sein.

Der Band besteht aber hauptsächlich aus der Gegenüberstellung zwischen Rumänien in den 80er Jahren und dem Westen, der Bundesrepublik, Ende der 80er Jahre. Das autobiografisch geprägte lyrische Ich bewegt sich in der einen wie in der anderen Welt unsicher. Da gibt es die Unfreiheit in Rumänien, die Samson ganz klar benennt: „Niemand darf reden“ (S. 50). Die Dichter werden einerseits besungen, andererseits belogen. Den Zeitungen kann man nicht trauen, sie sind „dressiert“ und die „Erfolge brennen darin lichterloh“. Der Geheimdienst ist allgegenwärtig, die „Technik im Telefon schläft nie“. Und der Zensur kann man nur mit einer „Kriegserklärung“ begegnen, indem man zurückdichtet. Selbst „Die Wände horchen,/ ob wir noch da sind, und trauen/ Ihren Ohren nicht“ (S. 63). In diesem Land gehen einem die Träume aus und die Hoffnung, „wächst unaufhaltsam/ in die Erde“ (S. 16). Die Folge davon ist: „Wir ducken uns/ Unter die Haut. Ringsum explodieren/ Die Wörter“ (S. 16). Die Gedichte bleiben unveröffentlicht, man schreibt für die Schublade und mit kalter Tinte.

Der Rückzugsort des lyrischen Ich ist selbst prekär, besteht aus „grauen Zweigen, Papier und Altweibersommer“. Das Schweigen ist belastend und zweisprachig. Die Lage ist für die Dichter gefährlich, sie werden „an ihren Worten aufgehängt“. So kommt es zu einer Auswanderungswelle in den Westen oder in die Verzweiflung: „Und auf großen Geldscheinen/ Rudern westwärts die Freunde“ (S. 10), und andere übersiedeln nur in die Schnapsflaschen. Auch das lyrische Ich entscheidet sich, zu gehen: „Der Landsegen hängt schief/ Über meinem Gedicht. Ja ich gehe/ Mit meinem Schreibtisch unterm Arm/ Ins mögliche Nichts“ (S. 13). Es geht den verlogenen Sätzen davon und den Reden, aber es geht in die Ungewissheit und eine Tür fällt hinter ihm zu.

Doch auch der Westen ist unwirtlich, „Zwischen Eisenbett und Heimweh“ (S. 61), vermutlich im Durchgangslager. Wenn es draußen in den Läden weihnachtet, klebt der Sohn an der Scheibe der Auslage und „in der Brieftasche herrscht stillenacht“. Der Dichter wird zum herbeigelaufenen Pfennigreiter. Und er wird im Westen mit der deutschen Geschichte konfrontiert, etwa auf dem Parteitagsgelände am Dutzendteich in Nürnberg „Ein anderer, schreit lauter jetzt: ‚Ich,/ Ein Deutscher, ich klage euch an!’“(S. 38). Die Briefe an die Zurückgebliebenen beklagen Existenznöte: „ich bin uralt geworden in einem Jahr,/ Schreibe […] Um das nackte Geld“ (S. 40). Das lyrische Ich stinkt mit den Arbeitslosen um die Wette zum Himmel, oder aber es rennt als müder Krieger von Amt zu Amt. Die Wünsche werden nicht erfüllt und die Entfremdung ist nunmehr eine Wurzellosigkeit: „Hier hängen wir, Freunde, wie Glaskugeln/ An imaginären Tannen – voller Wünsche, frierend im/ Dezemberwind, versuchen Wurzeln zu schlagen,/ Statt zu zerklirren“ (S. 43). Die Verlorenheit greift über: „Du und ich hier/ Ausgesetzt im Sand. Weit und breit/ keine Wolke, nirgendwo ein Schiff“ (S. 45).

Auch im Westen sind keine Wunder zu erwarten, die Fremdheit nimmt überhand, denn „die Heimat hat keinen Platz mehr im Mund“. Auch hier trifft das lyrische Ich auf eine kleine Hölle, auch hier ist das Gedicht nicht unschuldig und nicht frei von Leid, es redet „in Narben“. Und dennoch, trotz dieser existenziellen Zwangslage, die sich im Westen nun auch breit macht, schimmert an mancher Stelle die Hoffnung: „Gedichte/ Sind ein Zuhause/ Für alle/ Die keins haben“ (S. 126).

Neben diesem allgegenwärtigen Fremdsein finden wir aber auch das schöne Gedicht über den Vater, der in den Krieg zieht („Pünktlicher Lebenslauf“), Gedichte als Erinnerungen an Albrechtsflor, an Zuhause, etwa an eine Schweineschlacht im Banat, jene über das Kinderzimmer oder eine Kinderzeichnung, die nicht ganz unbeschwert sind, oder jenes über die Treibjagd auf die Wörter, den Tatort des Schreibens oder über die Literatur. Horst Samson nimmt seine Leser in diesem Band wieder einmal mit auf die Reise zurück nach Rumänien, in eine dunkle Zeit und stellt diese der Erfahrung im „goldenen“ Westen gegenüber, der blechern wirkt. Es sind beeindruckende Gedichte, die eine Fremdheit in allen Dingen zum Vorschein bringen.

Edith Ottschofski




Horst Samson: Kein Schweigen bleibt ungehört. Gedichte, Ludwigsburg, Pop Verlag, 2013, 161 Seiten, 14,99 €, ISBN 978-3-86356-055-3.
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Schlagwörter: Samson, Gedichtband

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