17. April 2017

Zendersch – siebenbürgische Bildergeschichten

Zendersch ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Gemeinde. Einerseits freilich aufgrund ihrer spezifischen Geschichte im Zwischenkokelgebiet und der ab 1944 für Teile dieser Region so untypisch verlaufenden Entwicklung. Andererseits aber bietet Zendersch Prototypen der Dokumentation der Ortsgeschichte: 1985 erschien die wohl am stärksten ausdifferenzierte Monographie einer sächsischen Gemeinde und setzte Maßstäbe für zahlreiche ihr folgenden Ortschroniken. Und nun erschien eine Bilddokumentation, die ähnlichen Beispielcharakter erlangen könnte: „Bildergeschichten aus Zendersch. Siebenbürgisches Dorfleben im Wandel der Zeit“.
Wie schon bei beim Werk „Zendersch – eine siebenbürgische Gemeinde im Wandel“ (München 1985) waren auch hier Georg Weber und seine Frau Renate Weber die treibenden Kräfte. Der aus Zendersch stammende namhafte Münsteraner Soziologe Georg Weber hatte die Einführung zu diesen Bildergeschichten noch 2012 verfasst – er erlag 2013 seiner Krankheit und konnte die Fertigstellung des Buches leider nicht mehr erleben. Renate Weber und Dietlinde Lutsch haben schließlich die Mühe auf sich genommen, das große Vorhaben fortzuführen und zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Es wurden weit mehr als 800 Bilder ausgewählt und mit nicht geringem Aufwand Zeitpunkt und dargestellte Personen bestimmt, wofür die Bearbeiterinnen unzählige Nachfragen tätigen mussten. Entstanden ist ein Familienalbum einer ganzen Gemeinde von den ersten erhaltenen Fotografien um 1900 bis heute.
Der reiche Bilderfundus wurde thematisch gegliedert und innerhalb der Abschnitte, soweit es sich anbot, chronologisch geordnet. Zunächst wurden „Dorf und Kirche“ aufgenommen, so dass – neben der Kirche mit Inneneinrichtung und Friedhof – ein großer Teil der Höfe, Gebäude und Straßenzüge abgebildet sind – neben Besonderheiten wie den Gassenhöfen und traditioneller Beständigkeit lässt sich hier auch manch bedenklicher Wandel der jüngsten Zeit erkennen. Dann geht es schon los mit jenen Bildern, die für die Zenderscher ein Familienalbum sind, in dem jeder gerne blättern und suchen wird – für alle anderen aber öffnen sich hier vielfältige und verheißungsvolle, sonst in dieser Form ungewohnte Fenster: für Vergleiche zur eigenen Gemeinde mit der Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten, für Volkskundler, deren Blick vielleicht dem Wandel von Tracht, Kleidung oder Frisuren gilt, für Geschichtsinteressierte, die das Abbild der Zeitläufte auf Alltagsfotos suchen, für Fotografiespezialisten, die den Wandel der Sehgewohnheiten an einem Ort und innerhalb einer Gemeinschaft über vier bis fünf Generationen beobachten können. Auf den Abschnitt „Familie“ – mit Bildern von Großfamilien über Eheleute, Einzelporträts bis Gelegenheitsaufnahmen – folgt „Kindheit und Jugend“, sodann die Kapitel „Kirchliches Leben“ und „Soziales Leben“, die beide zugleich das breite Spektrum des sächsischen Brauchtums abbilden. Besonderes Interesse verdient das Kapitel „Arbeiten und Wirtschaften“, weil es in früheren Zeiten nur ausnahmsweise und nicht systematisch auf Lichtbildern festgehalten wurde.

Hier zeigt sich der besondere Wert dieser Sammlung, da durch die eifrige Beteiligung der Zenderscher im Wortsinne ein recht gutes Bild des dörflichen Arbeitslebens entsteht: von dem in Zendersch bedeutenden Weinbau über Backen, Schlachten, Imkerei, Weben und Waschen bis zum Vieh und zum Markt. Das Kapitel „Kriegswirren und ihre Folgen“ enthält wohl die beeindruckendsten Bildzeugnisse: Der Erste und der Zweite Weltkrieg sind mit Soldatenbildern, Abschieds- und Besuchsbildern – nicht selten letzten Aufnahmen – vertreten, Schriftzeugnisse, Gefallenentafeln, Gräber kommen hinzu. Und an dieser Stelle bekommt auch die Zerstreuung ein Gesicht: im Herbst 1944 wurde der nahe an der damaligen Grenze zu Ungarn gelegene Ort evakuiert, fast alle Zenderscher Sachsen flüchteten Richtung Westen, auf teils unterschiedlichen Wegen. Es folgen Bilder aus Schlesien, aus Böhmen, aus Niederbayern und Oberösterreich, wo es sie hinverschlagen hatte. Rund ein Drittel der geflüchteten Zenderscher wurden von sowjetischen Truppen zwangsweise wieder nach Rumänien zurückgeschickt, wo sie nun mehr schlecht als recht wieder in ihrem Heimatort unterkamen. Diese nun finden sich etwa auf Fotos vom rumänischen Militär wieder. Wie die Zenderscher fortan in vielen Ländern, teils auch auf verschiedenen Kontinenten lebten, und ganz allmählich wieder zueinander fanden, bildet das letzte Kapitel „Zerstreuung und Neusammlung“ ab – trotz der unterschiedlichen Lebenswelten lässt es die Gemeinsamkeiten und vor allem die Bedeutung der Zusammenkünfte der Familien wie der größeren Gemeinschaft erkennen. Das erste Treffen der Zenderscher fand 1977 in der Bundesrepublik statt, sie gehörten somit zu den ersten Ortsgemeinschaften, die regelmäßige Zusammenkünfte organisierten. Trotz der Zerstreuung hatten in den 1960er Jahren noch über 500 Sachsen in Zendersch gelebt, 1993 verließen die letzten beiden den Ort. Zu den heutigen Zenderschern werden gute Beziehungen gepflegt, auch dies lässt sich an den Bildern bei Begegnungen erkennen. Die weltweit zerstreut lebenden sächsischen Zenderscher sind bestrebt, ihre baulich gut gesicherte Kirchenburg zu erhalten, so dass auch der Erlös aus dem Verkauf des Bilderbuches diesem Zweck zugutekommt.

Das Buch wurde nicht mit zu viel Text überladen, wohl aber sind – über die siebenseitige Einführung hinaus – jedem Kapitel eine gelungene einseitige inhaltliche Zusammenfassung sowie gelegentliche Erklärungen besonderer Themen oder auch Bilder beigegeben. Der Bildband findet im Übrigen nicht nur auf der Internetpräsenz der Zenderscher www.zendersch.de, sondern auch auf einer eigens für dieses Buch eingerichteten Seite bei Facebook rege Resonanz. Die Reisempfehlung in die Bilderwelt von Zendersch sei jedoch nicht nur für die Zenderscher, sondern ganz breit ausgesprochen.

Harald Roth

Dietlinde Lutsch, Renate Weber und Georg Weber: Bildergeschichten aus Zendersch. Siebenbürgisches Dorfleben im Wandel der Zeit. Hermannstadt, Bonn: Schiller Verlag 2016 (zu bestellen in der Erasmus-Buchhandlung), 327 Seiten, 40,00 Euro, ISBN 978-3-944529-90-5

Schlagwörter: Rezension, Zendersch, Bildband

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