24. Juni 2019

Verdienstvoller Pfarrer und Familienforscher: Nachruf auf Dr. Christian Weiss

Christian Weiss wurde am 29. Juli 1931 in Kronstadt als Sohn des blinden Musikers und Organisten der Obervorstädter Kirche in Kronstadt Adolf und seiner Gattin, der Fotografin Martha Weiss (geb. Müller), geboren. Immer wieder von schweren Krankheiten heimgesucht, erwarb er in der Kindheit eine Behinderung des linken Beines, die erst im Erwachsenenalter mit orthopädischem Schuhwerk kompensiert werden konnte. Die Familie war durch die Nähe zur pietistischen Gemeinschaft und vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Umstände immun gegen den Nationalsozialismus.
Konfirmator Dr. Konrad Möckel (1947) wurde für Christian Weiss nach dem in Klausenburg 1951-1955 absolvierten Studium am Vereinigten Protestantisch Theologischen Institut mit Universitätsgrad auch Vikariatsmentor (1955-1957) in Kronstadt. In Klausenburg hatte Weiss Kontakte zur Klausenburger Schriftenmission geknüpft, die noch umfangreiche, aus der Vorkriegszeit gedruckte oder importierte theologische und geistliche Literatur auf Lager hatte. An diese Erfahrung anknüpfend, war er 2003 bis 2018 Schriftführer der Bibelmission des Martin Luther-Bundes Württemberg e.V. Sein pfarramtlicher Dienst führte ihn von Agnetheln (1958-1964), Roseln (1964-1977), Kelling (1977-1993) abschließend nach Kleinschelken (1993-1996 sowie fortgeführt im Ruhestand bis zur Auswanderung 2000) – mit weiteren nun zur Diaspora gewordenen Kirchengemeinden (Alzen, Leschkirch, Reußdörfchen sowie Aushilfsdiensten in Marpod, Holzmengen, Großau, Neppendorf, Hamlesch und im Banat).

Zwischen 1972 und 1976 unterrichtete er als Sprachlektor für alte Sprachen am deutschsprachigen Zweig des Theologischen Instituts in Hermannstadt und wurde in Klausenburg im Februar 1975 mit einer als vorzüglich bewerteten Arbeit zu „Ruach, Pneuma, Geist im Alten Testament“ in Biblischer Theologie promoviert. Seit 1964 war er mit seiner Frau Getrud (geb. Fabritius, verw. Essigmann) verheiratet; mit der Tochter aus erster Ehe wurden dem Ehepaar noch zwei weitere Töchter geschenkt.

Jugendarbeit, Kirchenchor und Mitarbeit an dem neuen Kirchengesangbuch waren Schwerpunkte seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer, er amtierte als Dechant des Unterwaldes (1978-1986). Dazu kam die seit 1986 ausgebaute Initiative der Arbeit mit Suchtkranken, die er als Präsident des Blauen Kreuzes (1990-2000) in Rumänien und des im Februar 1990 gegründeten „Vereins der Helfer Alkoholabhängiger und anderer Drogensüchtiger“ leitete.
Dr. Christian Weiss, aufgenommen von seinem ...
Dr. Christian Weiss, aufgenommen von seinem Schwiegersohn Matthias Schubert, 2011.
Persönlich begegneten wir uns im Frühjahr 1994, als ich bei Familie Weiss in der Negoi-Straße 2 in Hermannstadt Quartier fand. Wir haben einen „Draht“ zueinander aufgebaut und sind uns näher gekommen im Austausch über die schwierige Zeit nach 1945. Dabei haben wir uns schätzen gelernt. Als ich dann 2003 an Christian Weiss die Überlegung herantrug, die Leitung der Sektion Genealogie des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde zu übernehmen, hat er rasch eingewilligt. Er hatte eine konkrete Vorstellung davon, wie die Sektion modernisiert und auf ein großes Ziel ausgerichtet werden könne. Trotz seines schon fortgeschrittenen Alters konnte er die Vorteile und Möglichkeiten der Computergenealogie vielen erläutern und plausibilisieren. Er nannte sein ambitioniertes Projekt: Siebenbürgische Genealogie. Er suchte und fand vielfältige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Unterstützer. Er organisierte Projekttreffen in Bad Kissingen, zu denen Dutzende strömten, um sowohl für ihre Heimatorte als auch für das Projekt die Daten zu erfassen und sich in genealogischen Fragen fortzubilden. Da es sich meist um Senioren handelte, konnte er über das Haus des Deutschen Ostens (HDO) Förderungen speziell auch für diese computergestützte Fortbildungsarbeit einwerben – über viele Jahre. Er war kein geborener Teamplayer, was zweifellos zu nicht immer lösbaren Spannungen geführt hat. Dennoch bleibt es sein Verdienst, die Sektion zukunftsfähig gemacht zu haben, selbst wenn die Zeit einer gedruckten Publikation wie der Zeitschrift Siebenbürgische Familienforschung, für die er vielfältig Beiträge einwarb, selbst schrieb und die er bis zur Einstellung 2016 redigierte, abgelaufen ist.

Parallel dazu hat er mit vielfältiger Unterstützung von Landeskirche, IKGS und Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) und im Auftrag des AKSL die „Matrikelaktion“ durchgeführt. Bis in den Sommer 2018 war er mit Begleitern und Helfern meist über viele Wochen am Stück in Siebenbürgen unterwegs, investierte Zeit, Kraft und Geld, um systematisch alle noch erreichbaren Matrikeln zu erfassen und fotografisch zu dokumentieren, die durch die widrigen Umstände des 20. Jahrhunderts in verschiedene Institutionen zerstreut worden waren. Er war mit dieser jedes Mal ungemein anstrengenden, mehrwöchigen Matrikelaktion sehr erfolgreich und hat mit diesem Dienst an der Gemeinschaft schließlich wirklich fast alle Quellen fotografisch sichern können. Seine Ergebnisse der insgesamt elf angelegten Reisen sind eine ungeheure, bewundernswerte Leistung, für die ihm der AKSL, aber auch die künftige genealogische Forschung zu bleibendem Dank verpflichtet sind.

Er hat – ganz zu Recht – darauf bestanden, dass die geltenden Datenschutzgesetze ohne Abstriche eingehalten werden, was nicht alle verstehen konnten. Aber sein digitaler Nachlass wird in exakt diesem Sinne vom Arbeitskreis verwaltet und betreut. Das sind wir ihm schuldig. Es standen Christian Weiss – trotz mancher Irritationen – die großen, auch geistesgeschichtlichen und theologischen Zusammenhänge vor Augen. Der Ausgangspunkt der Matrikelführung in den siebenbürgisch-sächsischen Pfarrämtern war die Analogie zum „Buch des Lebens“, das in der Offenbarung des Johannes 3,5 genannt ist. Über die von ihm beständig betonten wissenschaftlichen Dimensionen sah er auch das geistliche Anliegen dieser Kirchenbücher und warb dafür. So soll an diesen Satz im Gedenken an Dr. Christian Weiss, seine Anliegen und sein Wirken erinnert werden und ihm die Erfüllung seiner Hoffnung erbitten sein: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.“

Dr. Ulrich A. Wien

Schlagwörter: Nachruf, Weiss, Sektion Genealogie, Gundelsheim, Pfarrer, Familienforscher

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