14. Oktober 2019

Flaneur und schreibender Kavalier: Sammelband mit Beiträgen zum Werk Richard Wagners

Eine gewundene Treppe, die in die Höhe wächst, ziert den im letzten Jahr im Friedrich Pustet Verlag erschienenen Sammelband „Wendemanöver. Beiträge zum Werk Richard Wagners“. Herausgegeben von Enikő Dácz und Christina Rossi, beruht er auf einer internationalen Tagung, die anlässlich des 60. Jubiläums des Germanistik-Lehrstuhls Temeswar 2016 stattgefunden hat. Neben literaturwissenschaftlichen Beiträgen vor allem über die Prosa Wagners vereint er auch ein paar neue Gedichte des Autors, ein Poem Johann Lippets und ein Porträt von Felicitas Hoppe.
Den Titel „Wendemanöver“ verbindet Christina Rossi im Vorwort mit den zahlreichen Genrewechseln und thematischen Neuausrichtungen Richard Wagners, der in der Temeswarer Literaturszene angetreten war, um „die tradierten Auffassungen von Literatur zu demontieren und neue Wege der literarischen Äußerung zu beschreiten“. Auch der Band selbst will ein Wendemanöver markieren und die Rezeption Wagners umpolen, damit dieser nicht mehr vorwiegend als Autor der deutschen Minderheit aus Rumänien, sondern „als deutscher Schriftsteller, dessen Werk einen wichtigen Stellenwert in der deutschen Gegenwartsliteratur einnimmt“, wahrgenommen wird.

Nach einer kurzen Beschreibung des Archivs des Autors „als Vermächtnis an die Literaturwissenschaft“ von Christina Rossi, letztlich auch als Ort, „in dem der Künstler sein Scheitern, seine Versuchsanordnungen und seine Abgründe dokumentiert“, folgen die Interpretationsansätze, die den Hauptteil des Bandes ausmachen. Darin widmet sich Andreas Konheisner der Kürzestprosa Richard Wagners, die bis heute in der Forschung kaum wahrgenommen wurde. Er sieht sie als Medium der Chiffrierung, die dem Autor erlaubt, Kritik an Politik und Gesellschaft zu üben und so, laut Wagner, sowohl die Umklammerung der Provinz als auch das kommunistische Verbot zu überwinden. Die bereits in Rumänien gesellschaftskritischen Kürzestprosatexte ermöglichen es dem Autor später, sich in die Berliner Gesellschaft einzuschreiben. Außerdem taucht darin zum ersten Mal die Figur des Flaneurs auf. Umfangreich, breit gefächert, bis heute unterschätzt sei die Kürzestprosa Richard Wagners, so Konheisner. In „Die Archäologie der Person“ befasst sich Robert Elekes mit zwei Gedichtbänden Wagners und betont vor allem das Erlebnis des Risses, der Wunde, die sich im Gewohnten auftut und zu der die dokumentarischen Gedichte aus „Hotel California I“ auffordern. In „Hotel California II“ werden laut Elekes die Risse des Alltags verdeutlicht, wobei eine Gegensubjektivität entsteht, die sich der Subjektivität des Diktators widersetzt. Weiterhin analysiert Christina Rossi drei Romane Wagners, indem sie Überlegenheit und Objektivität oder aber erzählerische Unzuverlässigkeit und Ambivalenz sowie Zuschreibungen und Fremdbestimmtheit herausarbeitet. Wagners Romane zelebrieren dabei, so Rossi, eine „regelrechte ironische Apotheose des intellektuellen Mittelmaßes“. Dominik Zink hingegen vergleicht Richard Wagners Roman „Habseligkeiten“ mit der „Atemschaukel“ Herta Müllers, wobei er in beiden Romanen ausführlich die Inkommensurabilität der Erinnerung an die Deportation analysiert. Intensiv befasst sich Beate Petra Kory mit der dreifach gespiegelten Identität im Roman „Miss Bukarest“, um zu dem Schluss zu kommen, dass bei Wagner nur durch offenes Anerkennen der eigenen Wurzeln diese überwunden werden können. Markus Fischer beschreibt die von Wagner verfassten Lemmata wie beispielsweise „Heimat“ im Buch „Die deutsche Seele“, und Ágnes Simon-Szabó wendet sich der Habsburg-Bibliothek zu. Zum Abschluss beleuchten gleich drei Beiträge den Roman „Herr Parkinson“ aus unterschiedlichen Perspektiven: Monika Leipelt-Tsai, Brigid Haines und Ioana Crăciun vergleichen ihn mit anderen Werken über Parkinson, betonen den Tabubruch in der Literatur durch die Thematisierung der Krankheit und die Fertigkeit des Romans, das Erlebte sprachlich kunstvoll zum Ausdruck zu bringen.
In einem launigen Scherzo endet der Band mit dem gewinnenden Porträt des schreibenden Kavaliers von Felicitas Hoppe, aber auch mit eigenen Gedichten von Wagner und einem poetischen Zitatezusammenschnitt von Johann Lippet.

„Im groben Umriss der eigenen Person“, um mit Wagner zu sprechen, gewährt dieser Band einen ausführlichen literaturwissenschaftlichen Überblick über das Schaffen des Ausnahmetalents, das nicht nur die Aktionsgruppe Banat, sondern auch die deutsche Literaturlandschaft geprägt hat mit seinem Bild des beobachtenden Flaneurs. Die Lyrik ist dabei leider etwas zu kurz gekommen, dafür wurde aber Wagners letztes Prosawerk facettenreich beleuchtet.

Edith Ottschofski

Enikő Dácz, Christina Rossi (Hgg.): „Wendemanöver. Beiträge zum Werk Richard Wagners“. Mit literarischen Texten von Felicitas Hoppe, Johann Lippet und Richard Wagner. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2018, 240 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-7917-3021-9.

Schlagwörter: Rezension, Richard Wagner, Literatur, IKGS

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