5. Juli 2020

Provokanter Titel, lesenswertes Buch: Kai Brodersens Geschichte des antiken Dakien

Der Titel „Dacia felix. Das antike Rumänien im Brennpunkt der Kulturen“ macht neugierig, denn er wirft gleich mehrere Fragen auf: War das römische Dakien, waren dessen geknechtete Bewohner wirklich „glücklich“? Kann man von einem „antiken“ Rumänien sprechen, wenn sich dieser Staat in seiner heutigen Form erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat? Stand Dakien im 2. und 3. Jahrhundert tatsächlich im „Brennpunkt der Kulturen“ und waren, im Umkehrschluss, seine Bewohner kulturlos? Der Titel mag einer Marketingstrategie des Verlages geschuldet sein, er mag zum Widerspruch reizen, eines erreicht er aber gewiss: Er lädt zum Lesen ein. Und das lohnt sich.
Der Autor dieses spannenden Buches ist seit 2008 Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt, deren Präsident er in den Jahren 2008-2014 gewesen ist. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Mannheim, Newcastle, London, Hermannstadt und Perth, ist Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig, aktuell Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er gehört zu den profiliertesten Althistorikern Deutschlands. Dass er sich der Darstellung des römischen Dakien zugewandt hat, erweist sich für die Geschichtsschreibung insgesamt und für die rumänische Historiographie im Besonderen als ein Glücksfall. Er betrachtet diese Randprovinz des Römischen Reiches im Kontext der allgemeinen Geschichte jener Zeit und rückt sie damit in den Fokus weltgeschichtlicher Betrachtungen, wendet sich aber auch der Wirkungsmacht dieser Historie im heutigen Rumänien zu, das er einleitend mit viel Empathie als ein europäisches Land vorstellt.

Brodersen behandelt in diesem Buch zwei aufeinander bauende Geschichten: jene des römischen Dakien – darüber, wie Decebals Reich der Daker nach zwei blutigen Kriegen, die Kaiser Trajan geführt hat, zu einer Provinz des Römischen Reiches wurde, und wie sich diese Provinz in den 165 Jahren (106-271 n. Chr.) ihrer, historisch betrachtet, relativ kurzen Existenz entwickelt hat – und jene eines Geschichtsmythos, der aus dem dakisch-römischen Erbe der heutigen Rumänen erwachsen ist und bis heute seine Wirkung auf Mentalität und Politik des Landes und seiner Mehrheitsbevölkerung entfaltet. Die Hymne der Republik Rumänien besingt, dass „in diesen Adern noch Römerblut fließt,/ dass wir in unseren Herzen stets mit Stolz einen Namen tragen:/ den Sieger seiner Kämpfe, den Namen von Trajan!“ (Übersetzung auf S. 33).

Für den einen Strang seiner Geschichtsdarstellung des römischen Dakien zieht der Verfasser vor allem die schriftlichen Quellen der damaligen Zeit heran, die er wie kein zweiter kennt – Brodersen gehört zu den ­besten Übersetzern antiker Geschichtsschreiber und Geographen, der griechischen wie der lateinischen –, ignoriert jedoch keineswegs die archäologischen Befunde, die zahlreich erhalten gebliebenen Inschriften und Münzen oder die aussagekräftige Trajanssäule in Rom, die über die Dakerkriege in bildhauerischer Vollendung wie in einem in Stein geschlagenen Film berichtet. Seine leserfreundlich geschriebene Darstellung greift regelmäßig auf ausführliche, in bestes, eingängiges Deutsch übersetzte Zitate aus den Werken antiker Autoren zurück, belebt, veranschaulicht und untermauert damit die Aussagen des Historikers. Herodot, persische Tontafeln, griechische und lateinische Inschriften, Strabon, Plutarch, Caesar, Plinius der Ältere, Pompejus Trogus, Arrian, Diodor, Jordanes, Pompejus Trogus, Sueton, Cassius Dio, Horaz, Tacitus und viele andere Autoren bzw. Geschichtsquellen sprechen zum Leser und überraschen durch ihre Zahl und Vielfalt.

Der Autor schildert die Geschichte der Daker vor der Römerzeit, widmet sich ihren Kontakten zur griechischen, persischen und makedonischen Wirtschaft, Politik und vor allem Kultur, schildert eingehend und spannend die Konflikte zwischen Burebista und Caesar, die einen ersten Höhepunkt des dakisch-römischen Aufeinanderprallens markieren, und geht dann detailliert auf Ursachen, Ablauf und Folgen der militärischen Auseinandersetzungen zwischen König Decebal und Kaiser Trajan ein. Die Errichtung der Provinz Dakien unter Trajan, deren Reorganisation unter Kaiser Hadrian, die Ausbeutung ihrer Reichtümer an Gold und Salz, die Zuwanderungen aus anderen Regionen des Reiches, die Integration der neuen Bewohner und die kreative Mischung unterschiedlicher Kulturen werden ebenso ausführlich thematisiert, wie die Aufgabe der Provinz nach kaum mehr als eineinhalb Jahrhunderten. Als die Provinz 271 n. Chr. zumindest vom römischen Militär und der Verwaltung geräumt wurde, hielt das Imperium wenigstens formal – Brodersen spricht in dem Zusammenhang von einer „Finte von Römern gegen Römer“ (S. 200) – an ihrer Weiterexistenz fest, indem sie zwei Regionen südlich der Donau umbenannte. Eine dort geprägte Münze Aurelians bezeichnet diese neuen Provinzen gar als „DACIA FELIX“ (S. 199).

Womit der Leser erneut vor der Frage steht, weshalb der Buchtitel das Bild eines – vorgeblich – glücklichen Dakien auf dem Gebiet des „heutigen Rumänien“ suggeriert, wenn sich doch die Münzinschrift auf ein Territorium außerhalb des heutigen Staates bezieht und das Begriffspaar bis dahin in dem Buch nicht vorkommt. Das Zitat steht auch im Gegensatz zum Titel eines Unterkapitels, der die von Cassius Dio überlieferten letzten Worte von Kaiser Septimius Severus unter Bezug auf Dakien aufnimmt: „bereichert die Soldaten und verachtet den Rest.“ (S. 188f.)

In einem „Ausblick“ kommt Brodersen auf die Bedeutung der dakisch-römischen Vergangenheit für Mentalität und Politik im heutigen Rumänien zurück, denn diese habe „in der seit dem 19. Jahrhundert politisch aufgeladenen Frage nach den ‚ältesten‘ Rechten am Grund und Boden eine nachgerade entscheidende Bedeutung erhalten“. (S. 201) Der Autor hatte in einem einführenden Kapitel über die rumänische Geschichte die „Deutung der antiken Geschichte des Karpatenbogens als integraler Teil der Geschichte einer Nation“ als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet (S. 37). Nun zieht er Bilanz und zeigt auf, dass sich auch nach dem Abzug der „Römer“ einige Entwicklungen nachweisen lassen: das Lateinische blieb offenbar in Gebrauch, die römische Rechtskultur wirkte weiter, das Christentum setzte sich durch, allerdings wohl eher als Folge der Christianisierung der Goten. Aber: „Auch diese parallelen Entwicklungen innerhalb und außerhalb des verbleibenden Imperium Romanum erlauben eine abschließende Klärung der politischen Frage nach der römischen Kontinuität in Dakien nicht.“ (S. 202)

Dieses lehrreiche und lesenswerte Buch ist zwar nicht, wie in einem Werbetext behauptet, „die erste deutschsprachige Darstellung der Geschichte des antiken Dakiens“ – ich erinnere mich gerne an die Lektüre von Cons­tantin Daicovicius Buch „Siebenbürgen im Altertum“ (Bukarest 1943) während meiner Studentenzeit – wohl aber ein profund recherchierter, zeitgemäß konzipierter und spannend geschriebener Beitrag zur Geschichte Siebenbürgens und Rumäniens.

Konrad Gündisch

Kai Broderesen: „Dacia felix. Das antike Rumänien im Brennpunkt der Kulturen“. Verlag wbg Philipp von Zabern, Darmstadt, 2020, 240 Seiten. ISBN 978-3-8053-5059-4, 40 Euro (32 Euro für Mitglieder der wbg, auch als E-Book erhältlich).

Schlagwörter: Buch, Wissenschaft, Geschichte, Daker, Rumänien, Antike

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