1. September 2022

Die Störche von Seiburg, beobachtet und erzählt von Ingrid Brang

Während der Corona-Lockdowns warteten die Medien immer wieder mit Nachrichten über Menschen auf, die sich in der erzwungenen Isolation zur Untätigkeit verbannt fanden und an ihrer Situation zu verzweifeln drohten oder dieses sogar taten. Es gab natürlich auch sehr viele Gegenbeispiele von Menschen, die plötzlich in ganz neuen Betätigungsfeldern Freude und Erfüllung fanden. So erging es auch Ingrid Brang, aus Reps gebürtig und schon seit 1963 in Deutschland lebend.
Nach ihrer Pensionierung widmet sich die ehemalige Lehrerin der Genealogie und bearbeitet im Rahmen des Siebenbürgischen Genealogieprojekts die Matrikeln von Seiburg, dem Heimatort ihres Schaaser-Urgroßvaters. Durch die Isolation zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion gewann Ingrid Brang viel Raum für eine noch intensivere Beschäftigung mit dieser Materie, weckte in ihr jedoch auch das Bedürfnis, den alten Schwarten mal den Rücken zuzukehren. Beim virtuellen Besuch von Seiburg entdeckte Ingrid Brang die auf dem Kirchturm installierten Webcams, deren eine das Storchennest in der Ortsmitte im Visier hat. Bei ihrem ersten „Besuch“ des Nests am 6. Mai 2021 brütete die Störchin bereits (oder war es der Storch?). Ingrid Brangs Interesse war geweckt und so begann ihre aufregende Reise durch das Storchenleben in jenem Sommer. Es wurde ihr bald klar, dass beide Partner abwechselnd brüteten und dass es also nicht möglich sein würde, die Störchin von ihrem Partner zu unterscheiden. Der Zaungast war mit den beiden schon bald auf Du und Du, und flugs wurden die Adebare auf die Namen Martha und Klepetan getauft. Mehrfach am Tag „besuchte“ Ingrid Brang nun ihre Störche im entfernten Seiburg, speicherte Screenshots akribisch mit Datum und sekundengenauer Uhrzeit und notierte ihre Gedanken zu dem Gesehenen.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass die Storchen-Beobachterin kürzlich auf einem Genealogen-Seminar in Bad Kissingen auf Werner Schmitz traf, der genau wie sie familiäre Wurzeln in Seiburg hat. Ein Wort gab schnell das andere – und so reifte der Plan, das Protokoll eines Storchensommers in Buchform herauszubringen. Entstanden ist ein Kleinod, für das Ingrid Brang als Autorin Bilder und Gedanken dazu lieferte, Werner Schmitz aber für die digitale Verbesserung der Screenshots, das Layout und die Produktion verantwortlich zeichnete.

Über die Webcam beobachtete Ingrid Brang die Seiburger Storchenfamilie knapp dreieinhalb Monate lang, vom ersten Besuch am 6. Mai bis zu dem Tag, an dem sie das Nest endgültig verweist vorfand, dem 15. August.

Auf fast 90 Bildern erleben wir nun wie Ingrid Brang das Leben im Nest bei Sonne und Regen, im Morgengrauen, am helllichten Tag und in der Dämmerung, und wir teilen das Staunen der Autorin über täglich neue Entdeckungen. Mit Spannung erwarten wir den Tag, an dem man die Eier zum ersten Mal sehen kann. Während bei diesen Vögeln zwei bis drei Eier die Norm sind, legt die Seiburger Störchin fünf Eier, und kaum zwei Wochen nach Beginn der Beobachtungen schlüpft das erste Junge, zum Schluss kommen alle fünf lebend zur Welt, wobei das Nesthäkchen erkennbar kleiner geraten war als seine vier Geschwister. Ingrid Brang tauft es „Fritzi“ und beobachtet sein Heranwachsen besonders genau, zeigt uns anhand von Bildern nicht nur die unendliche Mühe der Elterntiere für das Wohl und Wehe des Nachwuchses; nein auch die vier älteren Geschwister schützen Fritzi, wann immer es geht. Immer wieder schlüpft er zwischen die Leiber der vier Älteren – und holt schließlich auf, so dass er am Ende nicht mehr wirklich von seinen Geschwistern zu identifizieren ist.

Viele Bilder sind mit kurzen, prägnanten Texten versehen, die erkennen lassen, wie sehr die Autorin sich in den Alltag der Seiburger Storchenfamilie buchstäblich eingelebt hat. So sehen wir die Jungen aufwachsen und staunen, wie viel Platz doch in dem Nest vorhanden ist, wenn man aufeinander Rücksicht nimmt. Und eines Tages ist die Mission der Eltern offenbar erfüllt – sie übernachten nun anderswo, überlassen das Nest dem Nachwuchs. Gelungene Schnappschüsse zeigen, wie die Jungstörche das Fliegen üben, bis der erste – ihn hat Ingrid Brang „Korbinian“ getauft – um den 21. Juli, grade mal zwei Monate nachdem er geschlüpft war, sich als erster aus der Geborgenheit des Nestes wagt. Gut drei Wochen später sind sie alle weg. Es werden vier bis fünf Jahre ins Land gehen, ehe die Jungen wieder zurückkehren, weiß die Autorin beim „Abschied“ zu erzählen. Die Eltern aber sind am 2. April 2022 wieder da – „Es geht weiter!“

Alles in allem ein herzerfrischendes Buch, gediegen produziert, das ich allen Freunden der Natur wärmstens anempfehlen möchte, aber auch allen Eltern, die ihren Kindern die spannenden Einblicke in das Leben eine Storchenfamilie ermöglichen wollen. Der Preis pro Stück beträgt 11 Euro plus Versand. Zu bestellen bei Ingrid Brang, Tischardter Straße 30, 72622 Nürtingen, oder per E-Mail: stoerche.seiburg [ät] schmitz-w.de.

Hansotto Drotloff

Schlagwörter: Neuerscheinung, Seiburg, Störche

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Neueste Kommentare

  • 01.09.2022, 12:31 Uhr von Johann Kremer: eine Rezension wie man sie sich öfter mal wünscht!! danke dafür. der Zweck ist erreicht, ich ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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