Bemerkenswerte Neuerscheinung: Anita-Andreea Széll: „Vom Abenteuer des Schreibens. Im Gespräch mit dem Schriftsteller Hans Bergel“
Im Verlag der Universität Babeș-Bolyai in Klausenburg ist rechtzeitig anlässlich des hundertjährigen Geburtstagsjubiläums des Schriftstellers Hans Bergel (1925-2022) ein außergewöhnliches, 240 Seiten starkes Buch erschienen: „Vom Abenteuer des Schreibens. Im Gespräch mit dem Schriftsteller Hans Bergel“.
Das Gespräch mit Bergel führte über viele Jahre Dr. Anita-Andreea Széll, Germanistin an der Philologischen Fakultät in Klausenburg. In der „Nachbemerkung“ (S. 231) schreibt sie, dass die publizierte Interviewreihe Ergebnis eines langen Briefwechsels (2011-2022) mit Hans Bergel war. Széll ist eine ausgewiesene Kennerin des Bergel-Werkes, hat sie sich doch 2003 in ihrer Masterarbeit mit Bergels Roman „Der Tanz in Ketten“ auseinandergesetzt. In der Zeitschrift Germanistik im Europäischen Kontext veröffentlichte sie 2014 ihre Überlegungen über Bergels Lyrikband „Der schwarze Tänzer“, wo sie bereits aus dem Briefwechsel mit Bergel zitiert.
Von Beginn an war die Korrespondenz mit Hans Bergel als work in progres angedacht. Széll, die ein halbes Jahrhundert jüngere Frau, las nach und nach Bergels Bücher und stellte die Fragen. Er, der alte, weise Mann, versuchte sie zu beantworten. Literaturkenner denken sicherlich an Bettine von Arnim und ihr gewagtes Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“.
Aus dem Briefwechsel wird in der Bearbeitung der Germanistin Széll „ein Gespräch“; es wird Oralität und dadurch eine Lebendigkeit des Ideenaustausches erzeugt. Das Gespräch Széll-Bergel erstreckt sich über zehn Themenbereiche, die jeweils einen eigenen Titel haben.
Wie heißt es doch bei Bertolt Brecht in einem Gedicht: „Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde! / So was nimmt man doch nicht mit sich fort.“
Der Text, also das Gespräch, als Frage-Antwort-Wechsel ist auf den konzentrierten Inhalt fokussiert. Das „Drumherum“, was eine Korrespondenz ausmacht, ist somit weggelassen. Dadurch bleibt nur die Essenz, das ist die Frage und die darauf gegebene Antwort, und diese bleiben zeitlos, für ewige Zeiten gültig.
Hans Bergel hat es als Schriftsteller durch seine unterschiedlichen Texte – seien es Romane, Novellen, Essays etc. – geschafft, Brücken zwischen Menschen, Brücken zwischen Generationen, zwischen Kulturen, Sprachen, zwischen Ost und West, ja, zwischen Orient und Okzident zu bauen. Er ist einer der wenigen Schriftsteller siebenbürgisch-sächsischer Abstammung, der oft in die Landessprachen seiner Heimat – rumänisch und ungarisch – übersetzt wurde. Wie kein anderer seiner Generation wurde er nicht nur in Deutschland geehrt (Bundesverdienstkreuz 1986), sondern auch in Rumänien, nicht zuletzt durch die Verleihung des Titels Dr. h.c. durch die Universität Bukarest. Im ersten Kapitel des Buches „... was ich als Schriftsteller zustande brachte“ erwähnt Anita Széll, dass Bergels Dankansprache 2001 im Festsaal der Bukarester Rechtsfakultät großes Aufsehen erregte, da er die gesamte Kultur Rumäniens in ein völlig neues, den dortigen Kulturhistorikern unbekanntes Licht stellte. Dazu Bergel: „die Rede hat hinsichtlich meiner Orientierung als Europäer programmatischen Charakter“ (S. 203).
Als Bergel auf die „fast wissenschaftliche Genauigkeit“ seiner Naturschilderungen angesprochen wird, lautet seine Antwort: „Ich gehöre zur ,Gattung‘ der Erzähler, denen an der Berücksichtigung des Realen einschließlich seiner Schattenseiten, der Dämonien, Traumwelten und Irrationalismen gelegen ist, die dazu gehören“ (S. 27).
Auf die Frage, welche Lehrmeister er in jungen Jahren hatte, welche Autoren ihn in seinem Schreiben beeinflussten, nennt Bergel an erster Stelle Heinrich von Kleist, dann Hemingway, Flaubert, Stifter und Sadoveanu und die Russen im „Anpacken großer epischer Formen“.
Schriftsteller bzw. Kulturschaffende haben selten die Gelegenheit ein „Gespräch“ mit einem Gegenüber über mehrere Jahre hindurch zu führen. Ein seltener Fall dieser Art, in dem ein älterer Dichter über viele Jahre einen aufmerksamen Zuhörer hatte, ist Johann Wolfgang Goethe. Seine Gespräche, Gedanken und Äußerungen wurden durch Johann Peter Eckermann aufgezeichnet und sind als kostbare Wortperlen erhalten geblieben.
Ähnlich sollte man auch das Gespräch Széll-Bergel betrachten. Durch die Fragen, die mal gewagt, mal provokant, aber immer so formuliert sind, dass Bergel darauf sehr oft ausholend durch die Ermutigungen der Fragerin – „Sagen Sie mehr darüber“ oder „Sagen Sie Näheres darüber“ – antworten konnte.
Die Gespräche mit der Germanistin Széll boten Hans Bergel die Möglichkeit, auf seine Belesenheit, sein humanistisches Kulturverständnis und seine immense Weite des Kulturhorizontes zurückzugreifen. Die Themen sind vielfach und reichen vom antiken Griechenland bis zu den biblischen Gegenden Israels, von Homers Beschreibung Trojas bis zu Goethes italienischer Reise. Ein wichtiges Moment im Leben Bergels ist das Treffen, die Freundschaft und das Gespräch mit dem Juden Manfred Winkler. Darüber sagt Bergel: „Das Schöne unserer Beziehung war das Fehlen jeglicher Tabus. Es gab nichts, worüber wir nicht ohne Zurückhaltung hätten sprechen können und gesprochen haben“ (S. 69).
Eine hervorragende Idee, den Autor aufzufordern, einige wenige Sätze zu den eigenen Werken zu formulieren, bietet das Kapitel „Geschichte in Geschichten“; so postuliert Bergel zu seiner frühen Novelle „Fürst und Lautenschläger“: „mein wildestes Lied auf die Freiheit“ (S. 58). Diese Äußerungen zum eigenen Werk sind gute Gelegenheiten für den Autor, nichts dem Zufall zu überlassen und Urteile selbst zu kreieren, die später Literaturwissenschaftler gerne wiederholen werden.
Sehr hilfreich für die Leserschaft wäre es gewesen, bei der großen Anzahl erwähnter Namen von Dichtern, Schriftstellern, Künstlern etc. am Ende des Buches ein Namenregister, wenn nicht sogar ein Register der Ortsnamen anzulegen.
Als „Nachwort“, oder besser gesagt, statt eines Nachwortes, wird ein bis jetzt unveröffentlichter Brief des Rechtshistorikers Hans Hattenhauer an Bergel veröffentlicht. „Zum Abschied“ werden Fotos von Konrad Klein dem „Gespräch“ beigegeben.
In ihrer „Nachbemerkung“ betont Anita Széll, dass die Gespräche mit Hans Bergel neben den Informationen auch einen geistvollen und abwechslungsreichen Dialog zu mehreren Werken des Autors beinhalten. Darüber hinaus bieten die „Gespräche“ die Bekanntschaft mit dem unermesslichen Kosmos des Bergelschen-Wissens und Denkens, das nähere, ja intime Kennenlernen eines Künstlers, der seine „schriftstellerische Arbeit niemals als Arbeit empfunden habe, sondern seit jeher als ein ,Abenteuer‘ ins Ungewisse hinein“ (S. 220).
Das „Abenteuer des Schreibens“ ist für den Leser ein angenehmes und spannendes Abenteuer des Lesens.
Josef Balazs
Anita-Andreea Széll: „Vom Abenteuer des Schreibens. Im Gespräch mit dem Schriftsteller Hans Bergel“. Mit einer Einführung von Joachim Otth, Fotos von Konrad Klein. Presa Universitară Clujeană, Cluj-Napoca, 2025, ISBN 978-606-37-2468-8.
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