19. Oktober 2022

Wenn sich Geschichte, Geografie und die Kunst der Fotografie paaren: Bildband „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ von Martin Rill

Gewichtig ist das von Martin Rill in Dinkelsbühl beim Heimattag 2022 vorgestellte Buch: 2570 g! Der Bildband „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ steht in einer Reihe mit den Bänden „Siebenbürgen im Flug“ (1997), „Das Burzenland“ (1999), „Hermannstadt und das Alte Land“ (2002), „Das Repser und das Fogarascher Land“ (2014), „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“ (2018), „Schäßburg und die Große Kokel“ (2020).
Öffnet man das imposante Buch, begegnet dem Leser eine physische Karte, so dass anhand der markierten 25 Ortschaften südlich der Großen Kokel die Verortung innerhalb Siebenbürgens und Rumäniens gewährleistet ist. Es sei hinzugefügt: Die Große Kokel ist mit 246 Kilometern der längste Nebenfluss des Mieresch in Siebenbürgen. Sie entspringt in den Ostkarpaten in einer Höhe von 1455 m über dem Meeresspiegel und vereinigt sich bei Blasendorf mit der Kleinen Kokel zur Kokel.

Der Historiker Martin Rill, einer der besten Kenner der Geschichte Siebenbürgens, präsentiert mit diesem Band die Kulturlandschaft des Weinlandes in Siebenbürgen als Teil eines lebendigen europäischen Erbes. Unmittelbar nach der Wende engagierte sich Rill für die Sicherung des Kulturerbes Siebenbürgens. Das Abenteuer begann mit einem von der Bundesrepublik Deutschland geförderten Projekt: eine Foto-Inventur einer ganzen Region. Als ein kongenialer Partner für diese Pioniertat fand sich der Schweizer Luftbildfotograf Georg Gerster, der laut Neuer Zürcher Zeitung „uns gelehrt hat, die Welt von einer neuen Seite zu sehen“. Im September 1994 und im März 1995 überflog er zusammen mit Martin Rill 241 Ortschaften der Siebenbürger Sachsen. Dabei entstanden 8000 Luftaufnahmen. Die ersten Früchte dieser Zusammenarbeit wurden 1997 in dem Band „Siebenbürgen im Flug“ publiziert.
Mortesdorf. Flugaufnahme von Geog Gerster ...
Mortesdorf. Flugaufnahme von Geog Gerster
Der Siebenbürgischen Zeitung sagte Gerster 2003: „Es ist immer verlockend, an einem Vorhaben beteiligt zu sein, das keine Eintagsfliege ist, sondern auf Dauer angelegt ist. Den letzten Band dieser monumentalen Bestandsaufnahme werde ich sicher nicht mehr erleben. Andererseits haben Martin Rill und ich von vornherein einen ,Klavierauszug‘ geplant, der die Siebenbürger mit ihrem Siedlungserbe konfrontieren würde. Meine Begeisterung für die Arbeit wurde noch durch viele Begegnungen mit sympathischen und besonderen Menschen am Boden angefacht.“ Gerster hat noch die Herausgabe einiger Bände mit seinen Fotografien erlebt. Die letzten Veröffentlichungen nicht mehr; er ist 2019 verstorben.

Durch die Herausgabe regionaler Bildbände hat sich Martin Rill bleibende Verdienste erworben, sind sie doch zu einem monumentalen Lebenswerk gewachsen, die die Zeiten überdauern werden. So auch der aktuelle Band „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ mit 836 Farbabbildungen, einer Übersichtskarte und 25 Ortsgrundrissen. Die 25 Orte werden alphabetisch angeordnet: Abtsdorf, Almen, Arbegen, Birthälm, Bußd, Donnersmarkt, Eibesdorf, Frauendorf, Großkopisch, Haschagen, Hetzeldorf, Kleinkopisch, Kleinschelken, Marktschelken, Mediasch, Meschen, Mortesdorf, Nimesch, Pretai, Reichesdorf, Schaal, Scholten, Schorsten, Tobsdorf und Wurmloch.

Das Vorwort von Pfarrer Gerhard Servatius-Depner aus Mediasch weist kenntnisreich auf das gern zitierte Buch des Engländers Charles Boner: „Siebenbürgen Land und Leute“, Leipzig, 1868, hin. Darüber hinaus betont er, dass Martin Rill durch sein Buch „nicht nur auf den großen geschichtlichen Schatz aufmerksam macht“, sondern auch das Alte mit dem Neuen zu verbinden versteht.

Es wurde öfters darauf hingewiesen, dass der Herausgeber Rill in all seinen Bildbänden, so auch im aktuellen Band, seinem Konzept treu bleibt: das gleiche Format, in etwa die gleiche Seitenanzahl, die gleiche äußere Aufmachung. Ausgangspunkt sind die 50 Flugaufnahmen, die Georg Gerster im Jahr 1994 mit seiner analogen Nikon-Kleinbildkamera gemacht hat. Ergänzt wurden diese aus der Vogelperspektive entstandenen Bilder mit Aufnahmen von Martin Rill aus den Jahren 2018 bis 2021. Es sind Fotos von der jeweiligen ­Kirchenburg mit den Wehrtürmen und Ringmauern, vom Pfarrhaus, Schule, Friedhof etc. Dadurch entsteht aus den einzelnen Mosaiksteinchen ein Panorama-Bild der siebenbürgischen Orte des Weinlandes. Eine Meisterleistung des Herausgebers Rill!
Kirchenburg in Kleinschelken. Foto: Martin Rill ...
Kirchenburg in Kleinschelken. Foto: Martin Rill
Unbedingt hervorzuheben ist auch die kartografische Ausstattung des Bandes durch Mara Atomei. Als Ergänzung zu den Flugaufnahmen gelingt es Mara Atomei, das Gesamtbild der Orte in farbig-physischer Darstellung mit wenigen Ortsbezeichnungen plastisch zu zeigen.

Martin Rill schafft es, für jeden der 25 Orte des Weinlandes mit viel Fleiß und Akribie historische Daten, beginnend mit den zahlreichen archäologischen Ausgrabungsfunden, zusammenzutragen. So zum Beispiel in Reichesdorf, wo im Jahre 1859 ein Bauer beim Pflügen einen Fund von 20 dakischen Silbermünzen entdeckt hat. Oder in Schaal, wo 1880 eine unter Kaiser Alexander Severus geprägte römische Bronzemünze zu Tage kam. In Eibesdorf wurde 1875 ein kleines Tongefäß mit 156 Münzen aus der römischen Kaiserzeit ausgegraben. Oder in Meschen stieß man 1999 bei archäologischen Grabungen in der Kirchenburg auf Spuren einer eisenzeitlichen Siedlung. Darüber hinaus konnte man einen Vorgängerbau der heutigen Meschner Kirche nachweisen, eine Holzkirche mit Nischengräbern aus der Ansiedlungszeit.

Das alles deutet darauf hin, dass das Territorium des heutigen Siebenbürgen, konkreter auch des Weinlandes um Mediasch, seit den Anfängen des menschlichen Siedelns und der Zeit der Völkerwanderung ständig bewohnt war.

Der Historiker Rill durchsucht alle geschichtlichen Quellen, ohne sie konkret anzugeben, in denen die Orte des Weinlandes erwähnt werden, so auch die ersten urkundlichen Erwähnungen und den jeweiligen Kontext dazu. Als Beispiel sei die älteste Urkunde Bußd betreffend genannt: 1356 wird Comes Simon von jeglicher Haftung in einem Mordfall freigesprochen. Hese von Almen hatte seinen Landsmann Michael ermordet und war nach Scharosch geflüchtet. Als er sich gegen die Gefangennahme zur Wehr setzte, wurde er durch Comes Simon getötet.

Rill bleibt bei seinen Angaben nicht in der historischen Vergangenheit haften; seine Recherchen und Datensammlungen reichen bis in die Gegenwart. Es werden konkrete Zahlen der letzten Volkszählungen angeführt, so dass die aktuelle demografische Entwicklung des jeweiligen Ortes nachvollziehbar wird.

Der für die Geschichte Siebenbürgens interessierte Leser erfährt im „Geschichtlichen Überblick“ am Ende des Bandes, kurz zusammengefasst auf drei Seiten, Grundsätzliches bzw. die Historie des Weinlandes, eingebettet in die Gesamthistorie Siebenbürgens. So wird erwähnt, dass „bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Kolonisten begonnen hatten, die Holzkirchen durch Steinbauten in romanischem Stil zu ersetzen. In fast allen Gemeinden der Zwei Stühle haben sich an den Kirchen bis heute romanische Elemente aus der Ansiedlungszeit erhalten. Ebenfalls haben sich Abendmahlsgeräte und Glocken aus dem 14. Jahrhundert erhalten.“

Über den Weinanbau in dieser sonnenreichen Region Siebenbürgens werden auch konkrete Hinweise geliefert. Hier sei stellvertretend für alle anderen Weinorte Großkopisch genannt: „Mit 743 Joch Weingärten belegte Großkopisch flächenmäßig den Spitzenplatz unter den sächsischen Weinbaugemeinden. Es wurden die Sorten Mädchentraube, Königsast, Riesling, Gornisch, Traminer, Ruländer, Muskateller, Neuburger und Portugieser angebaut. Durch den Vormarsch der Reblaus 1884 ging der Weinbau massiv zurück. [...] Trotz aller Bemühungen setzte zum Ende des 19. Jahrhunderts auch hier die Auswanderung nach Amerika ein.“

Der Band „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ von Martin Rill ist ein einmaliges Wissens-Kaleidoskop über 25 Orte des Weinlandes in Siebenbürgen, eine Publikation, die in keiner Bibliothek fehlen darf.

Josef Balazs

Georg Gerster und Martin Rill: „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“. Hg. Martin Rill, Verlag Buchversand Südost, 2022, 58,99 Euro, ISBN: 978-3-00-071597-6, erhältlich im Buchhandel oder beim Buchversand Südost, Seebergsteige 4, 74235 Erlenbach, Telefon: (07132) 9489048, Fax: (07132) 3488197, E-Mail: info[ät]siebenbuergen-buch.de, Internet: www.siebenbuergen-buch.de

Faltblatt des Bildbandes „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ (pdf-Datei zum Herunterladen)

Schlagwörter: Rezension, Bildband, Mediasch, Weinland, Martin Rill

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