27. August 2023

Perlen in glänzender Fassung

Brigitte Hermanns kreativer Geist ruht selten. Immer sieht die gebürtige Hermannstädterin etwas an ihrem Weg, eine Form, eine Farbe, eine Landschaft, eine Blume. Diese Eindrücke sammelt sie leidenschaftlich, in Form von Fotos, die sie zu Kunstwerken ausarbeitet. Mit ausdauerndem Fleiß und unbeirrbarer Entdeckerfreude hat sie auch das Werk des siebenbürgischen Schriftstellers Walter Johrend durchforstet. In sage und schreibe 35 Gedichtbänden, die dieser über die Jahre in rumänischer Sprache veröffentlicht hat, hat sie Schätze gefunden und Perlen gesammelt, auf dem Titelbild ihres Gedichtbands als Muschel versinnbildlicht.
Es ist jedoch eine Jakobs- oder eigentlich Pilgermuschel, die als archetypische Form der Muschel gilt. Der heilige Jakobus, als Schutzpatron der Pilger, erhielt die Muschel postum zugedacht und trägt sie in Darstellungen an der Kleidung. Aber nicht nur eine Person, die eine Wallfahrt unternimmt, ist ein Pilger, das veraltete Wort Pilgrim bedeutete ursprünglich „in der Fremde sein“. Vielschichtig sind die „Vernetzungen“. Denn tatsächlich, auch in einem der Gedichte Johrends, „Marfa Point“, wird Bezug genommen auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Und wir erfahren, dass der Autor selbst, in „Ein gelber Traum“ eine gerippte Muschel als Talisman um den Hals trägt.

Die Lektüre von Johrends Lyrik habe sie beeindruckt, lässt Brigitte Hermann (den Lesern dieser Zeitung auch als Brigitte Kräch bekannt) das Publikum ihrer Buchvorstellung in der Aula der Brukenthalschule in Hermannstadt am späten Nachmittag des 7. Juni 2023 wissen. So sehr, dass sie sich inspiriert fühlte, einige seiner Gedichte ins Deutsche zu übertragen. Übersetzen muss sie sie dazu erst einmal, aber das reicht ihr nicht. Sie überträgt sie in ihre eigene poetische Sprache, was schon bei ungebundenen lyrischen Texten eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Duktus, Rhythmus und Klang sich reimender Verse aber in eine andere Sprache zu überführen, und ihnen auch hier wieder Charakter, Gleichmaß und Harmonie zu verleihen, das ist die Königsdisziplin.

Bei der Autorenlesung in Hermannstadt kommt die sonore Stimme Walter Johrends von einem Tonband, das er für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt hat. Abwechselnd erklingt die tiefe männliche Stimme mit der hellen, klar artikulierenden Brigitte Hermanns. Selbst für die Zuhörer, die das Rumänische nicht so beherrschen, wird der ansprechende Wohlklang der Gedichte in beiden Sprachen erlebbar, erst recht für alle mit Zweisprachigkeit Gesegneten, wie es die meisten Siebenbürger Sachsen ja sind, als doppelter Genuss.

„Vernetzte Passwörter“ hat Brigitte Hermann den 114 Gedichte umfassenden Band genannt. Lebhaft vorstellbar ist es für Leser und Leserin, wie die Autorin, die selber Dichterin ist, nach Ausdrücken gesucht haben mag, in Betracht gezogen, verworfen und endlich sich für den einen, ihr passend scheinenden entschieden. Wie viele solcher gefundenen „Passwörter“ hat sie schließlich verknüpft, bis aus Wörtern wieder Worte entstanden sind, ein neues, ein adäquates Gedicht, eines, das die Botschaft des rumänischen Originals erfasst, versteht, transportiert und noch sensibler widergibt. Denn solches traut sie der deutschen Sprache zu, die ja auch Johrends Muttersprache ist.

Aus zehn Gedichtbänden hat die Autorin eine Auswahl getroffen, die in chronologischer Reihenfolge nach dem Erscheinungsdatum in die Anthologie eingeflossen sind. Jedem Abschnitt ist ein kurzes Zitat zum Originalband vorangestellt, mal aus einer Stellungnahme Dritter, mal vom Dichter selber, der seine Leserschaft Anteil haben lässt unter anderen an „erotischen und geschichtlichen Perspektiven“ (Văcărescu) seines erweiterten Lebensraumes bis nach Malta, Griechenland, Italien, Spanien und Namibia. Und auch er lässt Perlen rollen, sogar heiße, in „Katalanischer Stille“ und „Unübersetzbar“ nämlich seine Augen über Hüften, „in viel zu tiefe Dekolletés“ und weiter abwärts, wo die silberne Perle der Geliebten im Gebüsch „Nipponischer Bilder“ gesucht wird.

Viel ist von weiblichen Reizen die Rede, und es gibt wahlweise Bardolino oder Sauvignon Blanc, der „hellgelb leuchtet wie das Weiße im Auge vor dem Ausbruch der Gelbsucht“. Je nach bereister Gegend stehen auch heimische Elixiere von Ouzo bis Whiskey zur Verfügung, während „aus Maisfeldern Kürbisse weit in die Donau rollen wie zu späte Tränen“. Jeder Ort wird intensiv mit allen Sinnen wahrgenommen, Stimmungen, Historie und Eigenheiten der Landschaften und ihrer Bewohner mit der ihm eigenen „Schärfe der Wahrnehmung… in klangvolle Resonanz gebracht“ (Guga). Der Dichter gibt „mit lyrischer Grazie… Zeugnisse einiger Zeiten und eines intensiv gelebten Lebens“ (Văcărescu), „frei von jedwelcher Hemmung… witzelt und ironisiert er über Vergangenheit und Gegenwart“ (Guga). Dazwischen erscheint immer wieder die Liebe, im leidenschaftlichen Ansprechen der Ersehnten, manchmal in ihrer Unerfüllbarkeit als Flucht in den Rausch der Sinne.

In der Natur entstehen echte Perlen immer dann, wenn ein Fremdkörper z. B. in eine Austernmuschel gelangt und von ihr nicht mehr ausgespült werden kann. Die Muschel versucht dann, diesen Fremdkörper abzukapseln und umschließt ihn wieder und wieder mit dem Perlmutt, aus dem sie auch die Innenseiten ihrer Schalen bildet. Und so hat Brigitte Hermann die von ihr gefundenen Kostbarkeiten auf ihre Weise mit einer zusätzlichen Schicht des eigenen Ausdrucks überzogen und veredelt. Durch ihre individuelle Sprache, in die sie manche im Original viel derbere und drastische Ausdrucksweise verfeinert, hat sie daraus ihre persönliche Perlensammlung gemacht.

Perlen stehen für Schönheit und Reichtum, in diesem Fall der Sprache, darüber hinaus sind sie auch Symbol für Weiblichkeit, Liebe und sogar Weisheit. Brigitte Hermann hat den Texten eine weibliche Komponente hinzugefügt und mit großer Hingabe und viel Wissen schimmernde Schmuckstücke aneinandergereiht zu etwas, was die Autorin nach ihrem ersten Gedichtband „Untiefenfrei“ von 2022 nun als ihr zweites Buch vorstellt.

Susanne Thrull

„Vernetzte Passwörter. Gedichte von Walter Johrend“, Anthologie und deutsche Fassung von Brigitte Hermann, Armanis Verlag, Hermannstadt, 2023, 180 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 9786060690993, erhältlich in der Erasmus-Buchhandlung in Hermannstadt, deutsche Festnetznummer: (0228) 90919557, E-Mail: erasmus [ät] schiller.ro.

Schlagwörter: Rezension, Gedichtband

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