7. September 2023

Haferlandwoche der Nachhaltigkeit

Die Kulturwoche Haferland fand vom 3. bis 6. August in zehn Dörfern zwischen Kronstadt und Schäßburg statt: Arkeden, Keisd, Hamruden, Reps, Deutsch-Kreuz, Radeln, Meschendorf, Klosdorf, Bodendorf und Deutsch-Weißkirch. „Nachhaltigkeit im Haferland“ – mit diesem Motto soll nach zehn Jahren Tradition und sächsischem Brauchtum in den zehn teilnehmenden Gemeinden eine neue Ära eingeläutet werden ...
Gäste in Deutsch-Kreuz, von links: ...
Gäste in Deutsch-Kreuz, von links: Bundesvorsitzender Rainer Lehni, britischer Botschafter Andrew Noble, Prinz Alexander von und zu Liechtenstein, Veronica Schmidt, Prinzessin Astrid, Sofia Folberth, deutscher Botschafter Dr. Peer Gebauer, BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius, Forumsvorsitzender Martin Bottesch. Foto: Peter Baumgartl
Doch was bedeutet Nachhaltigkeit im Kontext dieser elften Ausgabe des inzwischen aus der Region nicht mehr wegzudenkenden Kulturevents? Nachhaltigkeit heißt, die Bedürfnisse der gegenwärtigen Gesellschaft zu befriedigen, ohne auf Kosten der zukünftigen Generation zu leben. Nachhaltigkeit beinhaltet Elemente des Bewahrens, aber auch des Fortschritts und der Weiterentwicklung – dies alles vor der einzigartigen Kulturlandschaft Siebenbürgens, dem altbewährten, doch modern-europäischen Zusammenleben der Ethnien und einer auf unserem Kontinent inzwischen beispiellos gewordenen Biodiversität, die wiederum den traditionellen Methoden der Landwirtschaft gedankt ist. Vergangenheit und Zukunft, Bewahren und Fortschritt bilden einen ständigen Kreislauf.

Die Haferlandwoche fand zum ersten Mal unter der hohen Schirmherrschaft von Prinz Alexander und Prinzessin Astrid von und zu Liechtenstein statt. „Siebenbürgen ist eine Überraschung für uns“, sagte Prinz Alexander auf der Pressekonferenz am letzten Tag der Haferlandwoche in Deutsch-Kreuz. „Ich glaube nicht, dass es noch Landschaften und eine wilde Natur wie hier in Europa gibt. Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen, die wir in Westeuropa in Sachen Umweltschutz gemacht haben.“ Gemeinsam mit ihrer Tochter, Prinzessin Theodora, engagieren sich Prinz Alexander und seine Frau seit langem für kulturelle Erneuerungs- und Umweltschutzprojekte, darunter ein Wisentreservat in Rumänien.

Vorbilder von nah und fern

Ein Musterbeispiel für Nachhaltigkeit ist die Naturkläranlage in Deutsch-Weißkirch, abgeguckt von einer Partnergemeinde in Belgien, vor Ort umgesetzt mit deutscher Expertise, finanziert von der Stiftung von Prinz Charles, wie die Initiatorin des Projekts, Caroline Fernolend, Direktorin der Stiftung Mihai Eminescu Trust (MET), erzählt. Die Anlage hat das Rathaus bis heute keinen Pfennig gekostet und der Gemeinde einen enormen Zuwachs an Lebensstandard beschert. Jedes Haus, selbst in der Ziganie, ist an die Kanalisation angeschlossen. Verblüffend einfach das Prinzip: drei Teiche wurden gegraben und Schilf aus dem Straßengraben angepflanzt – die nötigen aeroben und anaeroben Bakterien kommen dann ganz von alleine. Kein bisschen Geruch – und seit zwölf Jahren jeden Monat gute Analysewerte. Gesamtkosten: 4600 Euro – einmalig. Caroline Fernolend überrascht mit einer Neuigkeit: Deutsch-Weißkirch soll energetisch unabhängig werden! Freilich kein leichtes Unterfangen in einem UNESCO-Kulturerbedorf, in dem alles authentisch bleiben muss. Solarpaneele auf Tonziegeldächern – unmöglich. Aber kreative Denker finden Lösungen: In Italien, erzählt sie, gibt es schuppenförmige Tonziegel mit eingebauten Solarelementen. Und wieder will die Deutsche Bundesstiftung für Umwelt bei der Umsetzung helfen, zusammen mit der Universität in Trier.

Auf einer ganz anderen Ebene schlägt ein Diplomat Lösungen für Siebenbürgen vor: S.E. Reuven Azar, Botschafter Israels in Bukarest, berichtet in Deutsch-Kreuz von bewährten Pilotprojekten in seinem Land. Das Haferland brauche eine führende Hand, suggeriert der Diplomat – und verweist auf die Hauptherausforderungen Israels: die Speicherung von Sonnenenergie und das Recycling von Brauchwasser. Ersteres werde bereits in einem Kibbuz realisiert, durch unterirdisches Aufbewahren von Dampf unter hohem Druck, der nachts wieder abgegeben wird – ein Modell, das sich auch für siebenbürgische Dörfer bewähren könnte. Zur Wiederaufbereitung von Abwasser gebe es bereits ein rumänisch-israelisches Pilotprojekt in Buzău.

Die evangelische Kirche in Reps wurde nach langen Jahren der Restaurierung, die letzten drei im Rahmen eines von der EU finanzierten Projekts im Wert von über zwei Millionen Lei, in einem Festgottesdienst am 4. August wiedereingeweiht.Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland wurde bei der Haferlandwoche durch den Bundesvorsitzenden Rainer Lehni und die stellvertretende Bundesvorsitzende Ingwelde Juchum vertreten.

Kulturgruppen aus Bayern

Gelebte Gemeinschaft sieht heute anders aus als früher. Aber es gibt einen gemeinsamen Kern. Kondensationskeim für Menschen mit ähnlichen Werten, die dennoch unterschiedlicher nicht sein könnten, ist das Vorzeigedorf Deutsch-Weißkirch. Am Samstagvormittag, dem 5. August, tanzen Trachtengruppen aus Bayern zur Musik der Landshuter Blaskapelle am Platz vor der Kirchenburg, generalstabsmäßig organisiert von Margot Wagner aus Ingolstadt, 1972 aus Siebenbürgen ausgewandert, die sich an die jährlichen Siebenbürgenfahrten zur Verwandtschaft amüsiert erinnert: „Es gab keinen Platz mehr zum Sitzen im Auto, alles war voller Mitbringsel.“
Gemischte Tanzgruppe und Blaskapelle aus Bayern ...
Gemischte Tanzgruppe und Blaskapelle aus Bayern bei ihrem Auftritt in Deutsch-Weißkirch. Foto: George Dumitriu
Beim anschließenden Besuch der Naturkläranlage erzählt Caroline Fernolend vom Weißkircher „Dorfparlament“, von dem ausgelagerten Autoparkplatz, von der gelebten Gemeinschaft im Winter, wenn keine Touristen kommen, von den 17 zugewanderten Familien und der WhatsApp-Gruppe mit über hundert Mitgliedern, wo man gegenseitig Hilfe anbietet und sucht. „Es klingt utopisch, aber es ist wahr: Wir denken hier ans Gemeinwohl!“

Auf dem Rückweg schlendern wir zur Kunstscheune im Haus Nr. 160. Acht Künstler haben dort ihre Ausstellung, inspiriert von Deutsch-Weißkirch, zu Musik eröffnet – nun studieren die Besucher interessiert ihre Werke: den Dorfhirten, die Pensionswirtin, die Kühe ... Ein „alter Bekannter“ ist Konzertpianist Johann Markel, der mehrmals im Jahr auch mit Musikerkollegen zum Üben ins elterliche Haus kommt, in dessen Hof die Kunstscheune steht, und gelegentlich, auch im Rahmen der Haferlandwoche, Konzerte gibt. Neu hinzugekommen: die quirlige Malerin Katie – Katharine Alecse – aus Ohio, die in Deutsch-Weißkirch „eigentlich nur Prinz Charles zum Tee treffen wollte“ und inzwischen hier verheiratet ist, mit Kleinkind: „Viscri ist the perfect place to make a baby!“ Dann die junge Chorleiterin Marlies Markel, ehemalige Berufsschullehrerin aus München, seit zwei Jahren Kirchenkuratorin, mit zwei kleinen Kindern, der Ehemann ein einheimischer Sachse ... In ihrem Chor singen die amerikanische Katie und die sächsische Ursula mit, Caroline Fernolends Tochter, die ihren Job im deutschen Bundestag für Deutsch-Weißkirch aufgegeben hat und derzeit ihren Mutterschutz genießt. Ihr fünfmonatiger Jan-Martin wird von der Presse als jüngster Haferland-Besucher gefeiert, älteste Besucherin ist die 101-jährige Sofia Folberth aus Deutsch-Kreuz. Nachhaltigkeit – das bedeutet Kontinuität, aber auch Veränderung und Austausch. In Deutsch-Weißkirch fließt dies alles kreativ ineinander, dies nicht nur in der Künstlerszene.

Das Haferland der Geschichten

Auf den Fahrten von einem zum anderen Ereignis in den zehn organisierenden Gemeinden verpassen wir auch vieles: Die Naturwanderung zur Bauernburg in Keisd mit Picknik, organisiert von der dortigen Frauennachbarschaft – Rumäninnen, die den Brauch von den Sachsen abgeguckt und neu definiert haben, um die Dorfgemeinschaft mit allerlei Bildungs- und sozialen Projekten zu unterstützen. Die Konzerte in Klosdorf, Deutsch-Kreuz und Hamruden... Die Bälle an fast jedem Abend, gut besucht auch von den ausgewanderten Sachsen.

Dafür lernen wir in Bodendorf die Tschangos von Siebendörfer (Săcele) kennen, die bei den Sachsen eine Art Leibeigenenstatus innehatten, weil ihnen die ungarische Krone ihre (eigentlich zehn, nicht sieben) Dörfer im Tausch gegen geliehenes Geld vermacht hatten. So kam es, dass die ungarischsprachigen Tschangos mit den Sachsen eng zusammenlebten, ihre Tracht von diesen inspiriert war, und evangelisch wurden (im Gegensatz zu den katholischen Tschangos der Moldau und im Ghimeș-Tal), bis sie das ungarische Dekanat 1886 vom sächsischen Bistum abkoppelte. Trotz Leibeigenenstatus nahm man ihnen den Grund und Boden nicht weg, den sie allerdings auch nicht verlassen durften; sie genossen ungewöhnlich viele Freiheiten, waren aber auch zu bestimmten Dienstleistungen verpflichtet. Wie die Sachsen nehmen bei den Tschangos Schule und Kirche einen hohen Stellenwert ein. Ihre Häuser ähneln sich im Stil, nur die dekorativen Symbole sind verschieden, typisch der Pflug, der in Săcele noch an vier, fünf traditionellen Tschango-Häusern zu sehen ist.

Erstaunlich der Besucherandrang im abgelegenen Meschendorf: keine Stellplätze mehr entlang der Dorfstraße, in der Kirche nicht mal mehr Stehplätze. Die ehemalige Dorflehrerin Hermine Antoni, die in Meschendorf stets die Sommermonate verbringt, stellt wie jedes Jahr ihre prächtige Trachtensammlung in der Kirchenburg aus, liebevoll im Bering drapiert und mit ständig neuen Stücken. Inzwischen engagiert sich auch ihre in Deutschland lebende Tochter Hermine Hellbeck vor Ort für die Schulbildung von Dorfkindern. Ihre Stiftung „Meschendorfs Kinder“ für Afterschool und Ferienaktivitäten ist offizieller Partner der Haferlandwoche.

Die Geschichten, die an diesen Tagen ins Aufzeichnungsgerät wandern, geplante und überraschende, zeigen die Facetten der Haferlandwoche jenseits der Pressekommuniqués, Besucherstatistiken und illustren Gäste. Geschichten mit Menschen, die hinter den Kulissen mindestens ebenso sehr Helden der Haferlandwoche sind wie ihre im Rampenlicht stehenden, prominenten Begründer.

Nina May

Schlagwörter: Haferland, Kulturwoche, Deutsch-Kreuz, Prinz Alexander, Nachhaltigkeit

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