29. September 2023

Alfred Schadt: „Kronstadt zwischen altvertraut und fremd“

„Warum kehren wir eigentlich an die Orte unserer Vergangenheit zurück? Ist es Nostalgie, Erinnerung, Neugierde, und was erwarten wir uns davon für die Zukunft?“ Es ist diese Frage, welcher der Autor des Buches „Kronstadt zwischen altvertraut und fremd. Fünfzig Jahre Reisen in die Vergangenheit“ nachgeht und anhand seiner Reisen über fünfzig Jahre in die „alte“ Heimat zu ergründen versucht. Viele unserer Landsleute fahren regelmäßig auch nach Jahrzehnten in ihre Heimat. Auch wenn die Gründe sehr unterschiedlich sein mögen, stellt sich jedem Einzelnen die Frage: warum?
In seinem sehr persönlichen Buch versucht der Autor die Veränderungen seiner Beziehung zu seiner Heimatstadt und Gründe hierfür zu beschreiben. Als Kind vermittelt ihm der Besuch seines Onkels aus Deutschland das Bild einer anderen Welt, eines Gelobten Landes, das über die Jahre zum Sehnsuchtsort wird. Als sich nach vielen Jahren der Traum von der Ausreise erfüllt, stürzt ihn die Konfrontation mit der neuen Realität in eine tiefe psychische Krise: „Von einem Tag auf den nächsten war aus mir, dem sächsischen Jungen aus Bartholomä, ein Fremder unter Fremden geworden, ein Flüchtling, Vertriebener, Rumäne, bestenfalls Rumäniendeutscher …“

Bei seiner ersten Reise „nach Hause“ sucht er Halt und erkennt, wie weit er sich bereits nach kurzer Zeit von früher entfernt hat. „Hier war ich nicht mehr zu Hause, und doch war es meine Heimat, hier war mir alles vertraut, hier hatte ich meine Freunde und vor allem meine Freundinnen.“

Halt findet er bei seiner Freundin und späteren Ehefrau, die ihm die Zuversicht in eine gemeinsame Zukunft gibt. Sie heiraten, gründen eine Familie und sind bemüht sich zu integrieren, bzw. zu assimilieren. Anzeichen, nicht wirklich dazuzugehören, werden geflissentlich übersehen. Erst über fünfzehn Jahre später, in Rumänien hatte die blutige Revolution stattgefunden, gerät Kronstadt wieder ins Blickfeld, als sie ihrem Sohn die Stadt und das Land ihrer Herkunft zeigen wollen. Die Begegnung mit einem alten Freund stellt auch eine persönliche Beziehung wieder her.

Als Lehrer unternimmt er jetzt mit seinen Schülern Studienfahrten nach Siebenbürgen, sie beschließen einen Schüleraustausch. Dieser wird nach einigen Jahren je durch eine hasserfüllte, fremdenfeindliche Aussage von Elternseite beendet. Er zieht sich zurück und es vergehen weitere Jahre, in denen er sich zwar mit der Geschichte, Kultur und Literatur Siebenbürgens beschäftigt, aber nicht wieder dahin reist.

Er geht in Rente, wird Redaktionsmitglied der Neuen Kronstädter Zeitung und beschäftigt sich auch aktiv mit seiner Heimat, schreibt Beiträge zu Kronstadt, lernt Leute kennen, die Gleiches tun. Und er reist wieder, allein oder gemeinsam mit seiner Frau, regelmäßig in seine Heimatstadt, lernt Kronstadt neu kennen.

Sein Fazit: „,unser Kronstadt‘ gibt es nicht mehr. Es ist von anderen übernommen worden und lebt so auch ohne uns weiter… Erst wenn wir das ,neue Kronstadt‘ mit all seinen Veränderungen und Facetten akzeptiert haben, sind wir angekommen.“

Die zahlreichen Bilder, die meisten aus dem Fotoarchiv des Autors, sind sorgsam ausgewählt und unterstützen den Text, teils vertraute Erinnerungsbilder, wie der Blick auf die Innenstadt, oder ins Burzenland, Honterus oder der Bartholomäer Kirchhof, andere wirken fremd, die Purzengasse heute oder Wandmalereien, wiederum andere stellen früher und heute gegenüber, Hidromecanica und AFI-Mall, einige zeigen auch den Verfall von Bekanntem, so das Bartholomäer Strandbad. Stimmungsbilder zeigen Vertrautheit und persönliche Bilder glückliche und zuversichtliche Momente. Zeichnungen von Bettina Schadt vervollständigen die gelungene bildliche Gestaltung.

Die Sprache ist sachlich, fast emotionslos, lässt aber den Leser die Gefühle des Autors nachempfinden. Bei den einzelnen, teils sehr kurzen „Kapiteln“ hätte man sich gelegentlich weitere, detaillierte Ausführungen gewünscht. Ein Anhang enthält Auszüge aus Erzählungen des Autors, in denen er einzelne Begebenheiten bei seinen Reisen nach Kronstadt literarisch verarbeitet. Für uns Leser bietet das Buch einen Anreiz, dem Erzähler auf seinen Reisen in die Heimat während eines halben Jahrhunderts zu folgen oder seine Erfahrungen mit den eigenen zu vergleichen.

Ortwin Götz

Alfred Schadt: „Kronstadt zwischen altvertraut und fremd. Fünfzig Jahre Reisen in die Vergangenheit“. Berlin, 70 Seiten, acht Euro zzgl. Versand; zu bestellen beim Autor, Giselherstraße 19, 16321 Bernau bei Berlin, schadtalfred[ät]gmail.com, Telefon: (0 33 38) 7 09 29 10 oder (0160) 4 37 57 67.

Schlagwörter: Buch, Kronstadt, Erinnerungen

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