9. März 2025

Sprengkraft des Liedes bei Hans Bergel: Zum Freiheitsgedanken im Volkslied „Et såß e klie wäld Vijjeltchen“

Mit ihrer neugeschaffenen Reihe „Hegt wird gesangen!“ setzt sich Angelika Meltzer verdienstvoll für die Erhaltung und Pflege unseres siebenbürgischen Liedgutes ein, ein Anliegen, das sie schon mit der Herausgabe der Liedersammlung „E Liedchen hälft ängden“ verfolgt hatte.
In Hans Bergels Novelle „Fürst und ...
In Hans Bergels Novelle „Fürst und Lautenschläger“ spielt das Lied vom kleinen wilden Vögelein eine zentrale Rolle spielt.
In der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 1 vom 21. Januar 2025, Seite 10 (siehe auch SbZ Online vom 26. Januar 2025), bespricht sie eines der ältesten und wohl auch schönsten Lieder in sächsischer Mundart „Et såß e klie wäld Vijjeltchen“. Da finden sich gut dokumentierte Angaben zur Herkunft und weiten Verbreitung des Liedes im deutschen Sprachraum, zu Parallel-Varianten und Bearbeitungen wie auch zur Deutung des Textes. Das Vöglein fungiert da meist als Trägerin von Liebesbotschaften. Auch für Meltzer ist das Lied zunächst eine Liebesballade, ein Zwiegespräch zwischen Mann und Frau, in der die Frau, das Vijjeltchen, sich durch keine Verlockungen von Reichtum („gelbes Gold“ und „grüne Seide“) (be)zwingen lässt. Es besteht auf seiner Freiheit. Das Vöglein also, als früher Vorläufer heutiger Emanzipations- und Gender-Anliegen.

Nun kann dieses angebliche Minnelied aber auch anders gedeutet werden: das Vöglein als Verkörperung des Freiheitsgedankens, des Strebens nach Selbstbestimmung jenseits von Geschlechterrollen. Das erklärt vielleicht auch die Zähigkeit, mit der sich das Lied über die Jahrhunderte durchsetzte. Es war ja das Streben nach Freiheit, das die Siedler in das Land jenseits der Wälder lockte und sie befähigte, sich über Jahrhunderte dort zu bewähren.

Diese Deutung des Liedtextes hat auch Hans Bergel (1925-2022) erkannt, als er das Lied vom freiheitsliebenden Vöglein in den Mittelpunkt seiner Novelle „Fürst und Lautenschläger“ rückte. Die Novelle mit ihrer hintergründigen Botschaft sollte dem jungen Schriftsteller zum Verhängnis werden, denn sie ist voller Anspielungen auf die gesellschaftlichen Zustände im repressiven Rumänien jener Zeit. Seine Novelle greift jenen historischen Moment aus der Geschichte Kronstadts auf, da der despotische Fürst Gabriel Báthory (1580-1613) die Stadt Kronstadt widerrechtlich für drei Tage besetzte (1612). Da tritt ihm ein furchtloser Lautenschläger entgegen, der die Bevölkerung mit Spottliedern auf Báthory zum Widerstand aufwiegelt. Von diesem fordert der Fürst, ihm mit einem Loblied zu huldigen, was der Sänger trotz vielfacher Lockangebote verweigert. „Ich bin keine Hure, und meine Kunst erstrecht nicht.“ Stattdessen schleudert er dem durch Kaiserliches Gebot zum Abzug gezwungenen Fürsten das Lied von dem kleinen Vögelein, das sich nicht verbiegen lässt, höhnend nach. Die Doppelbödigkeit dieser Aussage hat Bergel seinem damaligen Freund Schlattner gelegentlich eines gemeinsamen Hotelaufenthalts (1956) verraten. Der tyrannische Fürst, das sei der repressive Staatsapparat und der unbeugsame Lautenschläger, das sei er selber, und die Kunst (das Vögelein) sei nicht käuflich.

Das erfahren wir aus dem Vorwort zur Neuauflage des Buches von Stephan Sienerth (Edition Noack & Block in der Frank & Timme GmbH, Berlin 2024). Den inzwischen zugänglichen Securitate-Akten entnimmt Sienerth, dass der verhaftete Freund Schlattner diese Deutung unter Drohung, Zwang und Sinneswandel dem Geheimdienst verraten hatte, was schließlich 1959 zur Verhaftung und langjährigen Gefängnisstrafe Bergels führte. Dieses „kleine wilde Vöglein“ ziert den Umschlag der Neuauflage des Buches und könnte als Metapher des Freiheitsgedankens zum Wappentier der Siebenbürger Sachsen taugen.

Prof. Heinz Acker

Schlagwörter: Hans Bergel, Freiheit, Hegt wird gesangen

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