19. März 2006

Ungleiche Gemeinsamkeiten: Seminar über rumäniendeutsche Zeitgeschichte

Ein erstes Seminar zu dem Thema "Rumänien und seine Deutschen" fand vom 5. bis 10. März in der Bildungs- und Begegnungsstätte "Der Heiligenhof" in Bad Kissingen statt. Die in dieser Zeitung veröffentlichte Seminarankündigung stieß bei den Lesern auf sehr großes Interesse, so dass trotz schwieriger witterungsbedingter Anreise knapp 60 Mitglieder fast aller deutschen Volksgruppen aus Rumänien - Banater und Sathmarer Schwaben, Buchenland- und Bessarabiendeutsche, Siebenbürger Sachsen -, aber auch andere interessierte Bundesbürger in Bad Kissingen zusammenkamen.
Alle diese Siedlergruppen gehörten lediglich in der Zwischenkriegszeit zu einem gemeinsamen "großrumänischen" Staat. Um in dieser Zeit ihre politischen Interessen als Deutsche verfolgen zu können, schlossen sie sich zu einer Vertretergruppe zusammen, verloren sich jedoch in Deutschland nach dem Krieg vielfach wieder aus den Augen. Durch die unterschiedlichen Zeitpunkte der Auswanderung kamen sie jeweils mit einem anderen Status nach Deutschland: als Umsiedler, ehemalige Soldaten und Deportierte, als Flüchtlinge oder Aussiedler. Eine "rumäniendeutsche Identität" entwickelte sich erst im Laufe des Kommunismus, vor allem unter den schwäbischen und sächsischen Intellektuellen, die aber nach der Aussieldung in Deutschland "ortlos" geworden war.

Die Teilnehmer des Seminars zum Thema rumäniendeutsche Zeitgeschichte vor dem Heiligenhof in Bad Kissingen.
Die Teilnehmer des Seminars zum Thema rumäniendeutsche Zeitgeschichte vor dem Heiligenhof in Bad Kissingen.

Intensive Gespräche und Diskussionen löste allein schon die kurze Vorstellungsrunde der Teilnehmer aus, aufgrund des spannenden Inhalts ihrer zeithistorisch gefärbten Lebensläufe. Das fünftägige Programm begann dann auch mit einer kurzen allgemeinen Einführung in die jeweilige Geschichte der einzelnen deutschen Volksgruppen, die viele neue Einblicke eröffnete, angefangen mit der Ansiedlung im 12., 17., 18. und 19. Jahrhundert bis zur Umsiedlung 1940 (aus der Bukowina und Bessarabien) und Flucht 1944 (Nordsiebenbürgen) oder der nach 1977 verstärkt beginnenden Auswanderung bis zum Fall des Kommunismus 1989. Weitere vertiefende Vorträge nahmen historische Fakten und Details genauer unter die Lupe. Prof. Dr. Krista Zach referierte über die "Rumänisierung" der katholischen Kirche in Bukarest im 20. Jahrhundert, Dr. Cornelius Radu Zach sprach über die Situation der Deutschen in "Großrumänien", Dr. Michael Kroner hielt zwei Vorträge über die Deportation der Rumäniendeutsche in die Sowjetunion 1945-1949, Ursachen, Hintergründe sowie über die Installation des Kommunismus und die deutsche Minderheit Rumäniens von 1945 bis 1989. Ausgesprochen informativ und von persönlichen Erlebnissen gefärbt waren der Zeitzeugenbericht von Christof Hannak über die Deportation in den 1950er Jahren innerhalb Rumäniens und vom ehemaligen Schäßburger Stadtpfarrer und Dechanten Dr. August Schuller über die Situation der Evangelischen Kirche A.B. unter kommunistischer Herrschaft.

Des Weiteren wurden mehrere Filme zur Lage deutscher Siedlergruppen in Ostmitteleuropa vorgeführt, unter anderem der Film des Dokumentarfilmregisseurs Günter Czernetzky Die Russen kommen, der mit beeindruckenden Zeitzeugeninterviews und historischen Aufnahmen die Evakuierung der Sachsen aus Nordsiebenbürgen im Herbst 1944 nachzeichnet.

Dass während des Seminars die Geschichte, kulturelle Eigenheiten und individuelle Erlebnisse aller Deutschen aus Rumänien besprochen wurden, fand großen Anklang bei den Teilnehmern. Nur so konnten ein Teil vielfach unbekannter oder verfälscht beigebrachter Historie revidiert und ein Stück Vergangenheit aufgearbeitet werden. Diese tief eingebrannten geschichtlichen Episoden prägen selbst nach sechzig Jahren das Lebensgefühl der Betroffenen nachhaltig, trotz der unterschiedlich gemachten Erfahrungen während der Umsiedlung, Flucht oder Aussiedlung nach Deutschland.

Ungeachtet des vielschichtigen Programms, blieb ausreichend Zeit für Freizeitunternehmungen, auch wenn das Singen von Volksliedern im Kaminzimmer und die Gespräche im hauseigenen Weinkeller abends nicht enden wollten. Unter Leitung von Ulrich Kukuk, Pädagogisch-Technischer Assistent des "Heiligenhofs", fand eine äußerst interessante Besichtigung der Kurstadt statt sowie eine weitere Rundfahrt um Bad Kissingen mit Einkehr bei einem fränkischen Winzer. Diese Einkehr wird aufgrund der humorvollen und weinfachkundigen Anmerkungen des Seminarteilnehmers und "Weinpapstes" Dr. Hans Ambrosi vielen unvergessen bleiben.

Aufgrund der Initiative des siebenbürgisch-sächsischen Studienleiters des "Heiligenhofs" Gustav Binder, werden auch in Zukunft solch wichtige, die Vergangenheit aufarbeitende Seminare stattfinden. Den Wünschen der Teilnehmer entsprechend, soll sogar eine "rumäniendeutsche" Reihe ins Jahresprogramm aufgenommen werden.

Nicole Opațchi


Schlagwörter: Tagungen, Zeitgeschichte

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